Die Schreibenden vom „Freitag“: Hausautor:innen von A bis Z

Neue Werke Viele Autor:innen von uns schreiben auch Bücher – hier stellen wir Ihnen die neuesten vor. Ob auf den Spuren von Fußballclubs im Osten oder auf Waffenmessen, Untersuchungen des Klassismus oder lyrische Texte, hier ist für jede:n was dabei
Ausgabe 13/2024
Nikita Teryoshins Fotobuch „Nothing Personal – The Back Office of War“ ist das Resultat von 18 Waffenmessen in 15 Ländern
Nikita Teryoshins Fotobuch „Nothing Personal – The Back Office of War“ ist das Resultat von 18 Waffenmessen in 15 Ländern

Foto: Nikita Teryoshin

A

wie Alles

Für den Freitag schreibt Diedrich Diederichsen gelegentlich über Pop, sein neustes Buch mit dem sexy Titel Das 21. Jahrhundert (KiWi) enthält Äußerungen zu allem, was Kultur so ausmacht. Wir erfahren, was über dem Schreibtisch des Autors hängt – unter anderem die Fotoarbeit Writers Should Be Well Paid von Louise Lawler –, und staunen über die frappierende Nähe und unendliche Ferne verschiedener Beobachtungen in ein und demselben Text (siehe etwa Hip to be square: Du darfst auch Dünkel zu mir sagen aus dem Jahrbuch 2000 von Theater heute). Die meisten Texte sind irgendwann in Zeitungen, Magazinen, Bänden oder Katalogen erschienen, in der Summe ergibt das 1.136 Seiten. „Soll man für die Lektüre dieses Buches sich genauso viel Zeit nehmen, wie der Autor gebraucht hat, es zu schreiben?“, fragt dieser einleitend vor Kapitel XII. Muss man nicht, aber gibt man all den Impulsen nach (dies noch ansehen, das nachlesen, hier endlich mitmachen), läuft es womöglich darauf hinaus. Christine Käppeler

B

wie Business

„Irgendwo zwischen entfesselter Dokumentarfotografie und subjektivem Journalismus“ ordnete der Freitag im Herbst 2016 den Stil des Berliner Fotografen Nikita Teryoshin ein. Eines der damals abgedruckten Fotos aus der Serie Space Time Discountinuum (an der er 2008 anfing zu arbeiten) entstand auf einer Waffenmesse in Polen, und diese Zwischenwelt aus Kriegsgerät, Kommerz und Canapés hat Teryoshin seitdem nicht mehr losgelassen. Acht Jahre und 18 Waffenmessen in 15 Ländern später veröffentlichte er nun sein herausragendes Fotobuch Nothing Personal – The Back Office of War (GOST Books). Die Gesichter der Waffenhändler bleiben im Verborgenen, aber den bizarren Gegensatz zwischen der hochglänzenden Inszenierung ihrer Produkte und ihrem tödlichen Geschäft entlarvt Teryoshin (nikitateryoshin.com)in jedem Bild. Niklas Rock

D

wie Dichtung

Es war Rainer Maria Rilkes Sonett Archaïscher Torso Apollos, das in unserem Autor Björn Hayer zunächst etwas nur Unbestimmtes auslöste, naturgemäß vor allem die bekannte Schlusszeile „Du musst dein Leben ändern“. Mit Rilke beginnt der Literatur- und Theaterkritiker die Dichtung als eine „Welt- und Wahrnehmungsweise“ zu begreifen. Denn wer Lyrik nur auf einer intuitiven Ebene rezipiere, werde ihrer wahren Bedeutung nicht gerecht, so der Autor in seinem lesenswerten Vorwort zu dem Band Die neuen Schöpfer (Gans Verlag).„Weder verstand ich anfangs Hölderlin, noch George, ganz zu schweigen von Paul Celan (...)“, schreibt Hayer hier. Er bleibt der Lyrik treu, entwickelt sich zum geschulten, leidenschaftlichen Leser. Eine Leidenschaft, die sich überträgt, wenn Hayer uns zeitgenössische Lyrik von Marion Poschmann, Esther Kinsky, Steffen Popp bis Alexandru Bulucz (→ NBA) vorstellt, deren Poetologie zugänglich analysiert. Und warum das „Sonett lebt“, erfährt man auch. Katharina Schmitz

K

wie Klassismus

Es gehört zu den eher anstrengenden Begleiterscheinungen von Gegenwartsdebatten: Begriffe werden omnipräsent, ohne dass sie wirklich definiert oder verstanden sind. Dann reden alle mit, und jede:r meint etwas anderes. Klassismus ist so ein Begriff. Die gute Nachricht ist, dass es jetzt Marlen Hobracks gleichnamige Einführung ins Thema gibt (100 Seiten, Reclam). Dort bereitet sie nicht nur die theoretischen Grundlagen von Marx bis Bourdieu verständlich auf, sondern veranschaulicht das gesellschaftliche Problem mit popkulturellen Anknüpfungspunkten und persönlichen Anekdoten. Gerade auch ihr Blick auf die Nachwendezeit in Ostdeutschland (→ Lok Leipzig) ist eine wichtige Perspektive. Bei alldem schafft es Marlen Hobrack – ganz Freitag-Kolumnistin – auch noch, streitbar Position zu beziehen. Ein Gewinn für die Debatte. Benjamin Knödler

L

wie Lok Leipzig

Wenn Frank Willmann den Fußball auf dem Balkan erkundet und in Novi Sad oder Priština von einer Fußballkultur erzählt, die kaum hochklassigen Sport, aber viel Leidenschaft, gelegentlich auch Gewalt bietet, entfaltet der „Osten“ eine sakrale Alltagskraft, die der Westen verloren hat. Der Erzähler ist dabei „Straßenköter“ wie literarischer Groundhopper. Dass es ihn immer wieder in den Osten zieht, hängt mit seiner Jugend zusammen. „Wer wie ich mit den ‚Digedags‘ und der ‚fuwo‘ aufgewachsen ist, wird bei den Worten Dalmatien und Hajduk Split fröhlich mit den Ohren wackeln.“ Ein Teil des Buches Streifzüge durch den wilden Fußball-Osten (Ventil Verlag)erzählt von den Fan-Ritualen in der DDR, Lok Leipzig. 1984, nach der Übersiedlung nach Westberlin, dann der Gang ins Olympiastadion, in dem es irgendwie ostig aussah. So entwickelt das Buch einen Retro-Charme, der sich nicht zuletzt aus den klingenden Namen speist: ZSKA Sofia, das 2021 vom Bundesligalegionär Krassimir Balakow trainiert wurde. Michael Angele

N

wie NBA

Alexandru Bulucz’ dritter Gedichtband Stundenholz (Schöffling & Co.) beginnt kurios, nämlich mit der Beschreibung von Michael „Air“ Jordans spektakulärem Move bei den NBA Finals 1991. Sind diese Sequenzen → Dichtung? Schwer zu sagen. Es genügt ohnehin, sich auf den erzählenden Charakter dieser Poesie einzulassen. Die sei mit dem Daktylus noch am ehesten beschrieben, so der Dichter einmal in einem Interview. Er hält nichts davon, Wörter „überzusemantisieren“, er will kein „Geheimnis-Vergrößerungs-Poet“ sein (also jene Tiefe suggerieren, die Lyrik oft so prätentiös erscheinen lässt). Die autobiografisch grundierten „Gedächtnisgeografien“ oder „Lektüren ohne Erkenntnisgewinn“ des 1987 in Rumänien geborenen Dichters durchzieht vielmehr eine unverrätselte „Grundtraurigkeit“, manchmal auch „Diesigkeit u. Dösigkeit des Glücks sondergleichen“. Katharina Schmitz

S

wie Sinti

In seiner von Freitag-Autorin Alexandra Senfft aufgeschriebenen Familiengeschichte erzählt der preußische Sinto Romeo Franz von durchlebtem Leid, aber auch erfolgreichem Leben, nicht zuletzt dem eigenen. Großonkel Pauls Geigenbogen, so heißt das berührende Buch (Goldmann), ist die Reliquie eines in Auschwitz Ermordeten. Franz hat als Europaabgeordneter der Grünen und Leader einer Jazzband viel für seine Minderheit tun können. Zum Sinti-und-Roma-Denkmal im Berliner Tiergarten, einem kleinen runden See, in dessen Mitte jeden Tag eine frische Blume liegt, steuerte er die ständig zu hörende Musik bei. Dani Karavan, der bereits verstorbene israelische Künstler (→ Zäsur), der das Denkmal schuf, hatte die Idee eines einzigen langgezogenen Tons. Franz überzeugte ihn aber von einer Tonfolge, die er selbst komponierte und mit jenem Geigenbogen einspielte: „Vibrierend floss das G in ein E und mündete im C. Dreimal innerhalb einer halben Minute veränderte ich diesen lang hingezogenen Ton in eine Wehklage in Halbtonschritten.“ Michael Jäger

V

wie Verluste

Männer in Lebenskrisen, immer wieder erzählt Jan C. Behmann von ihnen, in verschiedenen Variationen. Diesmal geht es um Reuter (edition:behmann). Er ist Angestellter in einem hessischen Verlag. „Print is dead“, heißt es, manche lesen aber noch. Reuter lebt vereinzelt vor sich hin, erwartet wenig vom Leben. Dann trifft er Tabea, die ihm nahekommt und gleichzeitig Distanz hält. Reuter lässt sich ein; wenn er zweifelt, möchte er seinen besten Freund um Rat fragen, aber der ist tot. Mit ihm konnte er schweigen und einfach „Mensch sein“. Reuter wird von heute auf morgen entlassen. Und Tabea schreibt ihm, ihr Experiment Polyamorie sei nun vorbei. Bye-bye. Nach kläglich gescheitertem Freitod fängt Reuter an, sich selbst kennenzulernen. Sein Autor, Jan C. Behmann, rettet im wahren Leben Menschen in medizinischen Notfällen. Nun auch literarisch. Maxi Leinkauf

W

wie Whistleblower

20 Menschen, die für die Wahrheit kämpfen, stellen Christine und Benjamin Knödler in ihrem neuen Buch Whistleblower Rebels vor. Christine Knödler schreibt als Autorin unter anderem über Kinder- und Jugendbücher für die Süddeutsche Zeitung, Benjamin Knödler als Onlineredakteur beim Freitag verdanken wir die stetige Weiterentwicklung unseres digitalen Angebots, außerdem ist er Autor der Kolumne „Podcasttagebuch“. Whistleblower Rebels ist das zweite gemeinsame Jugendbuch von Mutter und Sohn, in dem sie Personen vorstellen, die trotz hoher persönlicher Kosten etwas unternommen haben, um die Welt zum Besseren zu verändern. In einer nie anbiedernden, aber angenehm direkten Sprache erzählen sie von den Stars unter den Whistleblowern und von jenen, deren Namen die wenigsten kennen. Aber das Buch leistet noch mehr, als sie ins verdiente Licht zu rücken: Von der Pflege bis zum Finanzmarkt wird anschaulich, dass man Missstände nicht ohnmächtig hinnehmen muss. Eine empowernde Lektüre – auch für Erwachsene, die meinen, über alles schon Bescheid zu wissen. Christine Käppeler

Z

wie Zäsur

Fassungslosigkeit ist wohl das Wort, das Eva Illouz’ derzeitigen Blick auf die globale Linke am besten beschreibt. Die renommierte israelische Soziologin ist eine lautstarke Kritikerin der israelischen Regierung und schlug sich in der Vergangenheit oft auf die Seite der Palästinenser. Am 7. Oktober letzten Jahres war sie, wie viele Israelis, geschockt und irritiert davon, wie manche, die sich zur Linken zählen, die Verbrechen der Hamas als Widerstand legitimieren konnten oder sie relativierten. Seither schreibt Illouz, auch im Freitag, Texte, in denen sie diese Linke (→ Klassismus) kritisiert, die nicht mehr ihre ist. Einer davon erschien schon Ende Oktober in der Süddeutschen Zeitung und befindet sich nun in dem Band Nach dem 7. Oktober (Edition Tiamat), der zahlreiche Stimmen versammelt, die ebenjener Fassungslosigkeit Ausdruck verleihen. Leander F. Badura

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