Doktor Böse: Russlands Reaktionen auf die Nordstream-Recherchen

Komplott Wladimir Putin sprach früh von einer Schuld der „Angelsachsen“. Wie Moskau nach den Veröffentlichungen zu einer pro-ukrainischen Urheberschaft der Nord-Stream-Veröffentlichungen reagiert
Ausgabe 11/2023
Wladimir Putin macht die „Angelsachsen“ für den Anschlag verantwortlich
Wladimir Putin macht die „Angelsachsen“ für den Anschlag verantwortlich

Foto: Imago/Itar-Tass

In Russland ist Skepsis Staatsdoktrin, jedenfalls wenn es um Behauptungen westlicher Medien geht. So ist es auch bei der seit dem 9. März in Deutschland kolportierten Version über die Sprengung der Ostseepipelines. Danach soll ein sechsköpfiges Kommando mit Verbindungen in die Ukraine am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen sein. Die Crew sei im Besitz gefälschter Pässe gewesen und habe Taucher mit Sprengstoff bei den Nord-Stream-Röhren abgesetzt, um die Pipeline wahrscheinlich mit einem Zeitzünder zu sprengen.

Die ukrainische Regierung dementierte umgehend. Präsidentenberater Mychajlo Podoljak: Man habe „natürlich nichts mit den Anschlägen auf Nord Stream 2 zu tun“. Dass die deutschen Ermittler dieser Aussage des Selenskyj-Beraters nicht glauben, zeigt der Hinweis in der Zeit auf die „professionell gefälschten“ Pässe. Kenner der Geheimdienste, zu denen der Autor des Zeit-Textes, Holger Stark, gehört, wissen, dass professionelle Passfälschungen zum Handwerk von Nachrichtendiensten gehören. Insofern ist der Hinweis auf die Fälscher-Profis ein Indiz dafür, dass die deutschen Ermittler den Verdacht hegen, die Täter könnten auf Weisung ukrainischer Geheimdienste gehandelt haben. Autor Stark, dessen ausgeprägte Empathie für deutsche Dienste ihm seit Jahren manche Türen öffnet, deutet an, dass das Thema für die Bundesregierung heikel ist: „Entsprechend vorsichtig, auf Zehenspitzen, tasteten sich die Ermittler in den vergangenen Monaten voran, eng abgestimmt mit der Bundesregierung.“ Mit dieser Formulierung fällt nicht nur unbeabsichtigt ein Schatten auf die Unabhängigkeit der Ermittler. Der Satz deutet einen drohenden Kollateralschaden für das Verhältnis Berlins zu Kiew an, sollte sich der Verdacht erhärten, ukrainische Dienste hätten Terrorismus lanciert.

Russland mag aus der Angelegenheit keinen Honig saugen. Präsidentensprecher Dmitri Peskow kommentierte die Erkenntnisse so: „Was irgendeinen pro-ukrainischen Doktor Böse angeht, der das organisiert hat, so kann man nur schwer daran glauben.“ Einen „solchen Terroranschlag“, so Peskow, könne nur ein „gut geschulter staatlicher Dienst“ organisieren. „Und solche Dienste gibt es nicht sehr viele in der Welt.“ Peskow deutete an, es könne sich um eine Desinformation der „Angelsachsen“ handeln, wie das offizielle Moskau Briten und US-Amerikaner zusammenfassend bezeichnet. Wladimir Putin hatte bereits Ende September die „Angelsachsen“ für den Anschlag verantwortlich gemacht und ihnen vorgeworfen: „Faktisch haben sie eine allgemeine europäische Infrastruktur zerstört. Es ist für jeden offensichtlich, wem das nützt.“ Putin nannte das Ganze eine „beispiellose Diversion“ und einen „Akt des internationalen Terrorismus“. Mitte Oktober hatte das Moskauer Außenministerium Deutschland, Dänemark und Schweden aufgefordert, Russland an ihren Ermittlungen teilnehmen zu lassen. Ansonsten werde man die Ergebnisse nicht anerkennen.

Wie tief das Misstrauen Moskaus gegenüber westlichen Ländern inzwischen ist, zeigte eine Äußerung des Präsidentensprechers vom 18. Oktober, die Ermittlungen westeuropäischer Staaten verfolgten das Ziel, „Russland lügenhaft zu beschuldigen“, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Dabei schließt ein sich bestätigender Verdacht gegen ukrainische Dienste eine Mitwisserschaft von US-Stellen nicht aus. Nur hat sich das offizielle Russland auf die rein „angelsächsische“ Version festgelegt und wird voraussichtlich daran festhalten. In Moskau gilt ein Zarenwort mehr als die Aktenlage deutscher Staatsanwaltschaften.

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