Präsidentschaftswahl in Russland: Antreten darf, wer Sergei Kirijenkos Wohlwollen genießt

Russland Nikolai Charitonow, Leonid Sluzki, Boris Nadeschdin: Wer sind Wladimir Putins mögliche Gegenkandidaten, die der Präsidententschaftswahl in Russland den Anschein politischer Vielfalt geben sollen?
Ausgabe 03/2024
Keine freie Wahl: Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2024 in Russland steht schon fest
Keine freie Wahl: Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2024 in Russland steht schon fest

Foto: Natalia Kolesnikova/AFP via Getty Images

Muss sich Wladimir Putin bei der Wahl am 17. März auf Gegner einstellen? Die Frage klingt absurd. Niemand zweifelt daran, dass der russische Staatschef am Abend des 17. März in Moskau ein offizielles Wahlergebnis von vermutlich 80 Prozent bescheinigt bekommt. Dies entspräche in etwa den Zustimmungswerten für die „Spezialmilitäroperation“ in der Ukraine, wie sie das unabhängige Moskauer Lewada-Institut meldet. Danach unterstützen 74 Prozent der Russen das militärische Vorgehen.

Derzeit ist die Zentrale Wahlkommission in Moskau dabei, die Anträge anderer Bewerber auf Wahlteilnahme zu prüfen. Einige davon haben gute Chancen, ihre Namen auf dem Wahlzettel neben dem Putins zu sehen. Dazu zählen Nikolai Charitonow für die Kommunisten, Leonid Sluzki für die rechtspopulistischen Liberaldemokraten und Boris Nadeschdin für die liberale „Staatsbürgerliche Initiative“. Aussichten auf eine Kandidatur hat Andrei Bogdanow, der für eine Partei namens Freiheit und Gerechtigkeit antritt, die sich linken Wählern als „Partei prinzipiell neuen Typus“ empfiehlt. Ein Blick auf die Vita Bogdanows zeigt, wie im heutigen Russland solche Kandidaturen zustande kommen.

Der Enkeltrick mit Andrej Breschnew

Bodganows Partei nannte sich bis März 2021 Kommunistische Partei Sozialer Gerechtigkeit, die Abkürzung lautete KPdSU. Um die historische Affinität auch visuell in Szene zu setzen, bediente sich die Partei ab 2014 Andrej Breschnews, Enkel des einstigen KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnew. Der Enkel bestach durch große Ähnlichkeit mit seinem Großvater. Der Enkeltrick diente dazu, kommunistische Wähler reiferer Jahrgänge von der KP fortzulocken, nach nirgendwo. Die Idee war wohl in der Präsidentenverwaltung entstanden, dann jedoch starb Andrei Breschnew Mitte 2018.

Dass er mit Kreml-Spitzenbeamten Kontakte pflegt, bekannte der jetzige Aspirant Andrei Bogdanow bereits im Präsidentenwahlkampf 2008. Gewählt wurde seinerzeit Dmitri Medwedew, heute Co-Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. Bogdanow trat bei jenem Votum für eine Demokratische Partei Russlands an, die in ihren Wahlspots lauthals einen EU-Beitritt und „jedem Russen ein europäisches Lebensniveau“ mit 3.000 Euro Durchschnittseinkommen versprach. Ziel der clownesken Vorstellung war es offenbar, mit dem Segen des Kremls der Wahl einen Anschein von Pluralismus zu gönnen.

Sjuganow besser nicht

Für den Eindruck politischer Vielfalt sorgt diesmal nicht zuletzt Boris Nadeschdin. Der promovierte Mathematiker und Physiker befasste sich Ende der 1980er Jahre mit Fragen des Vakuums und soll nunmehr das politische Vakuum in Russland als vitales Biotop erscheinen lassen. Nadeschdin lässt in Interviews anklingen, dass er den Krieg in der Ukraine ablehnt. Doch er tut das so dezent, dass es im Kreml niemanden stört. Nadeschdin sagt zum Beispiel in TV-Talkshows, man müsse „diese Geschichte mit der Ukraine beenden“. Ein softer Kritiker, wie er verhaltener kaum sein kann. Seine Erfahrungen sammelte Nadeschdin nach 1990 in mehreren liberalen, gegenüber dem Kreml zugleich labilen Parteien. 1998 war er Spitzenberater des Ministerpräsidenten Sergei Kirijenko. Moskauer Journalisten verspotteten den damals 35-jährigen Premier als „Kinderüberraschung“. Ein Vierteljahrhundert später ist der Mann gereift und sorgt als für Innenpolitik zuständiger stellvertretender Leiter der Präsidialadministration dafür, dass unangenehme Überraschungen ausbleiben.

Moskauer „Polittechnologen“ wissen, dass auf die Kandidatenliste nur kommt, wer das Wohlwollen Kirijenkos genießt. Im Kreml fiel auch die Entscheidung, die Kommunistische Partei zu drängen, nicht ihren bei traditionellen Linkswählern beliebten Vorsitzenden Gennadi Sjuganow aufzustellen, sondern den farblosen Nikolai Charitonow. Ein Oberst a.D. der Staatssicherheit, der bereits öffentlich erklärt hat, er werde Putin nicht kritisieren. Mehr noch, in seiner Neujahrsbotschaft an die Wähler betonte er fast wortgleich mit dem Präsidenten, die Russen seien „das Siegervolk“, das nun „zu den Quellen seiner Kraft zurückkehrt“. Charitonow hatte bereits bei der vom Kreml minutiös arrangierten Präsidentenwahl im März 2004 kandidiert. Damals wie heute besteht das Ziel der Administration darin, das Ergebnis der Kommunisten möglich kleinzuhalten. Die herrschende Staatsbürokratie – reich geworden durch die Privatisierungen nach 1990/91, hat Angst vor einer linken Opposition und neuer Umverteilung.

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