Olympia in Berlin? Bloß nicht 2036!

Meinung Könnte man wirklich Adolf Hitlers Propagandashow von 1936 durch eine Jubiläumsausgabe vergessen machen? Eine Nummer kleiner wäre besser. Wie wäre es mit den Winterspielen von 2030?
Ausgabe 23/2023
Olympische Spiele wieder in Berlin? Besser nicht
Olympische Spiele wieder in Berlin? Besser nicht

Foto: Associated Press / picture alliance

Die European Championships vorigen Sommer in München waren ein großes Multisportevent. Die nächste vielfältige Veranstaltung mit reichlich Teilnehmenden werden die Special Olympics in Berlin sein, bei denen Menschen mit geistiger Behinderung im Mittelpunkt stehen. Eine breite Allianz von Medien begleitet das Ereignis, es ist absehbar, dass es gute Kritiken geben wird für Deutschland: Was für ein verlässlicher Ausrichter, der alles prächtig organisieren und Begeisterung an den Wettkampfstätten schaffen kann! Das Lob wird nahtlos übergehen in die Diskussion: Wann endlich wieder Olympia hierzulande, und zwar das richtige? Ist doch ein Witz, dass die Spiele zuletzt 1972 nach Deutschland kamen. Man erinnert sich ja kaum.

Für eine Bewerbung gibt es also immer wieder belebenden Rückenwind. Doch das Problem bei der Geschichte: Eine Brise weht nicht lange genug für eine Strategie, die Jahrzehnte durchzuhalten ist. Wenn man sich jetzt entschlösse, für die Ringe in den Ring zu steigen, wäre der frühestmögliche Zeitpunkt für deutsche Sommer spiele das jahr 2036. Denn das Internationale Olympische Komitee hat bis 2032 schon alles vergeben: 2024 Paris, 2028 Los Angeles, 2032 Brisbane. Nichts gegen Australien, das nach Sydney 2000 – das waren fantastische Spiele – mal wieder dran ist: Aber 2032 hätte für Deutschland besser gepasst.

Trotz der Bestrebungen der Rhein-Ruhr-Region wäre natürlich die Weltstadt Berlin der Top-Kandidat für einen neuen Anlauf. Doch „Berlin 2036“ hätte halt den Beiklang von Berlin 1936, den Nazi-Spielen. Obwohl es auch die grandiose Geschichte des schwarzen Amerikaners Jesse Owens gab, der Hitlers Rassenlehre als absurd entlarvte, sind die Spiele von 1936 vor allem wegen des schwülstigen Propagandafilms der Führer-Verehrerin Leni Riefenstahl erinnerlich. 1936 wurde zur Chiffre eines Deutschlands, das man nicht noch einmal haben will, München 1972 sollte und konnte das Bild korrigieren.

Die Sportpolitik hat jedes Gespür verloren

Lange galt es als Konsens, dass das 100-Jährige der Spiele von Berlin und Garmisch-Partenkirchen im Winter 1936 keine Jubiläumsfeierlichkeiten rechtfertigen, sondern Anlass für betretenes Gedenken sind. Umso erstaunlicher, dass man aus der (Sport-)Politik nun immer öfter und lauter vernimmt, am Datum 2036 dürfe man sich nicht stören. Selbst der Sozialdemokratie in Person von Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser ist das Gespür abhandengekommen. Klar, dass die Sportfachverbände nach dem Antrieb von Olympischen Spielen vor der Haustür dürsten – doch welche internationale Wirkung hätte eine deutsche Kampagne genau 100 Jahre nach der größten PR-Show des Tausendjährigen Reichs?

Dass von den Befürwortern einer Bewerbung für 2036 argumentiert wird, das Jahr sei doch genau das richtige, um den Wandel von Land und Gesellschaft seit den unseligen Zeiten aufzeigen zu können, ist schon ein fast infames Zurechtbiegen. Zudem ist beängstigend unklar: Welchen Weg geht das Land in den kommenden Jahren, rückt es nach rechts, wird faschistisches Gedankengut wieder sagbar? Wird 2036 näher an 1936 sein als an 1972?

Ausweichen könnte man 2036 durch die Hinwendung zu Winter-Olympia. Hier sucht das IOC verzweifelt nach Interessenten, noch nicht mal 2030 ist vergeben. Unverdächtige Jahre. Und die wohl letzten, in denen Deutschland klimatisch noch in der Lage sein wird, Winterspiele auszurichten.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden