Die "rote Linie" überschritten?

Syrien Meldungen zufolge sind in Syrien erstmals Chemiewaffen eingesetzt worden. Die Regierung sagt, die "Rebellen" waren es. Diese behaupten erwartungsgemäß das Gegenteil

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Nahe der Stadt Aleppo verdüstert der Rauch nach Kampfgefechten die Luft
Nahe der Stadt Aleppo verdüstert der Rauch nach Kampfgefechten die Luft

Foto: Jack Guez/ AFP/ Getty Images

"Im syrischen Bürgerkrieg ist offenbar eine neue Eskalationsstufe erreicht: Regierung und Aufständische warfen sich am Dienstag gegenseitig vor, bei einem Raketenangriff nahe Aleppo Chemiewaffen eingesetzt zu haben." Das meldet Reuters am heutigen 19. März 2013. Ist damit die "rote Linie" überschritten wurde, was der Westen und Israel mehrfach als Anlass für eine mögliche Intervention beschrieben? Bekommen die "Rebellen" nun endlich das, was sie seit langem wollen, die direkte militärische Unterstützung durch den Westen?

Bisher gibt es nur gegenseitige Vorwürfe, die schwer nachzuprüfen sind. Sicher scheint, dass es Tote gab. Neben der entscheidenden Frage "Cui Bono? - Wem nutzt es?" deutet manches daraufhin, dass die "Rebellen" chemische Waffen eingesetzt haben. Laut Reuters gab es Berichte über Chlorgeruch in der Stadt Chan al-Assal, nachdem dort eine Rakete einschlug. Seit islamistische "Rebellen" im Dezember 2012 eine Chlorgas produzierende Chemiefabrik nahe Aleppo eroberten, wurde befürchtet, dass sie nicht vor dem Einsatz des Gases zurückschrecken, auch als Provokation. Dass sie hinter dem Angriff stecken können, darauf deutet hin, dass laut dem syrischen Informationsminister Omran al-Soabi die Rakete vom Bezirk Nairab in Aleppo aus abgefeuert wurde. Der Bezirk Nairab befinde sich zum Teil unter Kontrolle der "Rebellen".

Dass die syrische Regierung bzw. Armee den Einsatzbefehl gab, halte ich eher für unwahrscheinlich, nicht nur angesichts der westlichen Interventionsdrohung im Fall des Chemiewaffeneinsatzes. Diese wiederholte laut Reuters prompt die britische Regierung: Der "Einsatz oder die Verbreitung von Chemiewaffen würde eine entschlossene Reaktion der Staatengemeinschaft erfordern". Die Nachrichtenagentur zitierte al-Soabi, dem zufolge die syrischen Streitkräfte niemals international verbotene Waffen einsetzen würden, selbst wenn sie über solche verfügten.

"Würde Präsident Assad eine Cruise Missile in seinen Palast einladen?" Diese rhetorische Frage stellte Robert Fisk schon 2003, als die USA Syrien drohten, es anzugreifen. Nachdem dem Land erst der Besitz von Massenvernichtungswaffen vorgewurfen wurde, dann behauptet wurde, dass Damaskus das "Zentrum" des Weltterrorismus sei, mussten angeblich versteckte Mitglieder der ehemaligen irakischen Führung unter Saddam Hussein als Drohanlass herhalten. Fisks eigene Antwort: "Falls Präsident Bashar Assad es Saddam erlaubt hätte, sein Gast zu sein, wäre es das Gleiche, als wenn er eine Cruise Missile in seinen Palast eingeladen hätte." Noch selbstmörderischer wäre heute der Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Armee.

Der ehemalige UN-Biowaffeninspekteur und heute Linkspartei-MdB Jan van Aken erklärte am 6. Dezember 2012: "... niemand - auch das Weiße Haus nicht - wird ernsthaft annehmen, dass Assad eine Scud-Rakete mit Giftgas auf Rebellen abschießen würde. Die militärische Waffe der Wahl wären dann Granaten oder Bomben, die mit Giftgasen bestückt sind. ...
Wir sollten uns hüten, jetzt auf das Chemiewaffen-Getöse einzusteigen und damit einen Bundeswehreinsatz samt »Patriot«-Stationierung in der Türkei zu rechtfertigen. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun - genauso wenig, wie es vor zehn Jahren Biowaffen in Irak gab. Und wir sollten nie vergessen, dass der Irak-Krieg, der mit einer Biowaffenlüge begann, mit über 500 000 Toten endete und ein Land hinterlassen hat, das sich absehbar nicht von den Folgen erholen wird." Das ist drei Monate später nicht weniger zutreffend.

Die israelische Webiste DEBKAfile berichtete am 8. März 2013, dass eine US-geführte Operationszentrale, gemeinsam betrieben von den USA, Israel, Jordanien und der Türkei, geben wird, die Militäreinsätze in Syrien führen soll, "wenn einige oder alle diese Verbündeten" mit chemischen oder biologischen Waffen agegriffen werden. Darauf hätten sich am 5. März US-Kriegsminister Chuck Hagel und sein israelischer Amtskollege Ehud Barak bei dessen Besuch im Pentagon geeinigt. Danach rechnet Hagel mit dem Einsatz chemischer Waffen, auch durch die islamistischen "Rebellen"-Milizen. Der Flugzeugträger USS "Harry Truman" stehe für Militäreinsätze bereit. Vielleicht bzw. wahrscheinlich hoffen die "Rebellen" genau auf solch einen Einsatz.

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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