"Denn nichts hält länger als ein Provisorium"

Rezension Lemur und Marten McFly haben mit Provisorium eine erste gemeinsame EP bei Kreismusik veröffentlicht.

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Marten McFly und Lemur
Marten McFly und Lemur

Bild: Jan Rebuschat

„Lemur und Marten McFly eint die Rastlosigkeit.“, beschreibt das Berliner Label Kreismusik die beiden Musiker Lemur (ehemals Frontmann von Herr von Grau) und Marten McFly. Rastlosigkeit vielleicht, aber nicht Planlosigkeit. Bereits seit einiger Zeit machen die beiden Rapper gemeinsam Musik. Ihre erste gemeinsame EP ist am 28. Oktober erschienen und heißt Provisorium, ohne hierbei jedoch wie ein solches zu klingen. Nach eigener Angabe bezieht sich der Name auf die Energie, welcher ein Gedanke in seinem ersten Moment habe, die durch zu viel Überarbeiten und Redigieren verloren geht. Die EP umfasst sechs Lieder. Der rote Faden aller Tracks: Düstere Sounds, kraftvolle Beats und versierte Reimtechnik.

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Der zugänglichste Track der EP ist Lächeln. Dieses Lied konnte man bereits seit vergangenem Jahr hören. Max Hammel von der Österreicher Produktionsfirma infamous pictures fertigte hierzu ein gelungenes schwarz-weiß Video, in welchem unsere beiden Anti-Helden Lemur und McFly als Batman und Robin der Gesellschaft die hässliche Maske aus dem Gesicht reißen: „Ey guck mal ich hab' eine Schutzmaske auf / und verdunkel' alles, was sich da im Brustkasten staut / Jeden Tag wieder Maskenball / Auch weil ich manchmal drüber nachdenk' wen abzuknallen“. Der Beat ist ein klassischer Rap-Beat, doch alles andere als ein abgedroschenes Klischee. Wie sollte es auch anders sein? Mitgewirkt hat hier neben Lemur Majusbeats, den man unter anderem von seinen Zusammenarbeiten mit Pyro One und Sookee kennt. „Scheiße, Ich hab sogar Talent / Guck, jeden Tag ist Fasching und ich verkleide mich als ganz normaler Mensch.“

Geteiltes Ei ist, laut Labelbeschreibung, „ein Track über die gesammelten Lebensweisheiten der beiden.“ Die beiden Musiker sezieren Binsenweisheiten und Sprichwörter auf ihren vermeintlichen Sinngehalt. Das Lied ist die perfekte Plattform für zwei Rapper, die offensichtlich Wortspiele mögen. „Hunde die bellen beißen nicht, zumindest nicht gleichzeitig“ oder „Nur wer mal ein Korn trinkt, ist noch lange kein Huhn / Die kleinen Sünde straft der liebe Gott mit Christentum.“ Auch dieser Beat ist wohl eher typisch fürs Rap-Genre, Freunde der späten „Golden Age“ dürfte er genauso gefallen, wie neuen Hörern. Produziert hat ihn Lemur.

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„Ein fleißig Leben ist ein lobenswertes Streben nach hohen Werten / wir sind stolz, wenn uns to-do-Listen von heute bis zum Tod nerven“. In Hummeln hinterfragen die Rapper gesellschaftlichen Leistungsdruck: „Es geht um Effizienz, permanent schneller rennen / die seltsame Logik von Auf’s Dach zu klettern, wenn der Keller brennt“. Lemur und McFly nehmen sich allerdings nicht aus diesem Druck heraus; es geht Ihnen nicht um schulmeisterliche Besserwisserei mit erhobenem Finger - sie sind selbst Teil der Machine, kämpfen mit denselben Hummeln. Da bedarf es keiner Beschreibung des Labels um zu erkennen, dass Lemur und McFly eine misanthropische Ader haben, aus der viele ihrer Tracks ihr Blut beziehen. Der Beat ist eindeutig Rap, jedoch mit einem dröhnenden synthetischen Bass, wie er in Drum&Bass, Dub, Grime, etc. und inzwischen auch sehr oft im Rap gebraucht wird. Ursprünglich war Hummeln wohl eine Zusammenarbeit von Shaban und Marten McFly. Produziert haben ihn Lemur und Shaban.

Meine Musik sticht am deutlichsten aus der EP hervor. Die beiden Musiker beschreiben hierin ihre Musik und stellen klar, dass es ihnen nicht um Sympathie und Belustigung, sondern um Konfrontation und das Aufwühlen der Hörer geht: „Bis hin zu dem Punkt, an dem ihre Schöpfer die Formen, die die Musik annimmt, nicht mehr ganz nachvollziehen können.“ (so das Label). McFly und Lemur sind hier in Bestform: Rohe Gewalt trifft auf handwerkliches Können. Mal langsamer, mal schneller, immer taktgenau. Das Lied lebt auch vom Kontrast: Auf minimal gehaltenem Beat während der Strophen folgt ein wuchtiger Refrain mit hämmerndem Beat und pumpenden Bass. Diesen Track hat Lemur produziert.

Anti-Held: Lemur

Bild: Jan Rebuschat

Das stärkste Lied ist das titelgebende Provisorium: „Verdammt, ich werd’ es immer hassen Dinge fertig zu machen. / Du wirst lachen, doch für mich gibt es kaum ernstere Sachen. / Mit jedem Schritt Richtung Ziel stirbt die Faszination. / Der Traum von Perfektion ist der, der platzt wie Patronen.“ Vielleicht lag den Beiden das Thema besonders am Herzen, man weiß es nicht. Aber aus irgendeinem Grund überzeugen Lemur und McFly hier besonders stark. Gleich beim ersten Hören kann man sich ein springendes Publikum vor der Bühne vorstellen. Und vielleicht ist hier noch am meisten von der Energie zu spüren, die nach den beiden Musikern durch zu viel feilen und überarbeiten verloren geht. Produziert hat den Beat Lemur.

Den letzten Track bildet Wände: „Wände sind da, um sie einzureißen / Selbst die dickste Mauer lässt sich noch in Scheiben schneiden / Hammer und Meißel, Gebäude werden zu Staub / denn nur auf Trümmern lässt sich später mal was Ehrliches bauen.“ Dies ist das düsterste Lied der EP: Der Beat ist getragen, finster und klingt etwas nach Industrie, Giftmüll und Schwermetall. Es wirkt wie eine Abrechnung. Doch geht es den beiden nicht um spezifische Missstände, sondern wohl eher um ein generelles „mach kaputt, was dich kaputt macht“. Auch zu diesem Lied hat Max Hammel von infamous productions ein sehenswertes Video produziert (doch mir gefällt das Video zu Lächeln besser) (an dieser Stelle einen Gruß an Martin, den ich darin als Statisten entdeckt habe). Diesen Beat hat ebenfalls Lemur produziert.

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Lemur und McFly passen gut zusammen, sowohl stilistisch, als auch inhaltlich. Sie sind sympathische Misanthropen. Ihre Vortragsweise ist etwas schnodderig, aber immer taktgenau. Einfallsreich, aber nicht abgehoben. Latent aggressiv und bissig, nie plump provokant. Beide beherrschen das Spiel mit Geschwindigkeiten, Betonungen und Reim-Schemata, ohne dabei verkrampft zu wirken. Auf der EP finden sich keine genre-typischen Themen, also Stichworte wie u.a. Fame, das Game und das „harte“ Leben in der „Hood“ (die es meistens gar nicht gibt). Inhaltlich geht es vor allem um das persönliche Erleben von McFly und Lemur in einer Welt, die sie als unvollkommen empfinden und mit der sie anecken. Teils finden sich Bezüge auf aktuelle Politik (wie z.B. in Lächeln die Verweise auf den Konzern Vattenfall und den Nahost-Konflikt), doch meist geht es um das grundsätzliche Spannungsverhältnis des Einzelnen in der Gesellschaft.

An Lemur muss man loben, dass er seine Musik ständig fortentwickelt und nicht einer vermeintlichen „Golden Era“ anhaftet. Trotzdem hört man eindeutig, dass ihn 1990er-Jahre-Hip-Hop stark beeinflusst hat. Man darf gespannt sein, was in der Zukunft aus Richtung McFly und Lemur kommt - es wird auf jeden Fall kein Provisorium bleiben.

Info

Provisorium ist am 28. Oktober 2016 als Download bei Kreismusik erschienen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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