Deutsche Welle: zurück zum Anfang?

China-Redaktion Seit über sechs Jahren sind die China-Programme politisch umkämpft. Plötzlich interessiert sich sogar die "New York Times" für den Auslandssender. Warum nur?

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In den Jahren 2010/2011 feuerte der öffentlich-rechtliche Auslandssender Deutsche Welle vier Mitarbeiter seiner China-Abteilung. Sie hätten als zu chinafreundlich gegolten, erklärten die Entlassenen1). Die Deutsche Welle dementierte und nannte eine Reihe anderer Gründe. Ein Personalrat bestätigte allerdings in einem Artikel des Evangelischen Pressedienstes (EPD), im Wesentlichen treffe die Beschreibung der vier Ex-Mitarbeiter, ausführlich dargestellt in einem Artikel bei der "Neuen Rheinischen Zeitung" am 1. April 2011, durchaus zu.

Das interessierte in Deutschland und der Welt kaum eine Sau, außer die chinesische Presse und den oben genannten EPD.

Es scheint nicht besonderes schwierig gewesen zu sein, die vier Mitarbeiter vor weniger als vier Jahren loszuwerden - die Deutsche Welle arbeitet gern mit befristeten Verträgen für ihre Mitarbeiter, und muss diese im Zweifel nur auslaufen lassen. Zwei der damals entlassenen vier Mitarbeiter klagten; beide scheiterten bis ins Bundesarbeitsgericht.

Diesmal läuft es nicht so geräuschlos für die Deutsche Welle. Die vier "zu chinafreundlichen" Mitarbeiter waren der nationalen und internationalen Presse keine Zeile wert. Aber diesmal scheint es sich um eine china-unfreundliche Mitarbeiterin namens Su Yutong zu handeln. Und da muss man dann schon mal etwas für die Pressefreiheit tun und einen Artikel veröffentlichen. Der "Spiegel" tat das am Mittwoch und bezog sich dabei unter anderem auf Vorwürfe der Bloggerin RoseTang gegen den Sender. Am Donnerstag folgte gar die "New York Times", und auf Chinesisch dann am Freitag der britische Sender BBC.

Auch in China fällt Sus Entlassung keineswegs unter den Teppich. Der "Observer" (Guanchazhe) aus Shanghai berichtet, die Dissidentin Sun Yutong habe den Sender sofort verlassen müssen. Guanchazhe zitiert Su mit den Worten, "von oben" habe es geheißen, man wolle weniger dissidentenorientiert berichten und fügt Sus Einschätzung hinzu, sie passe wohl nicht in diese neue Richtung. Guanchazhe unterschlägt nicht den Vorwurf der Deutschen Welle, die Mitarbeiterin habe Interna veröffentlicht, konzentriert sich aber auf Sus Entlassung und die früheren Entlassungen chinesischstämmiger Redakteure der Deutschen Welle.

Laut "New York Times" schrieb Frank Sieren, einer der führenden China-Spezialisten, im Juni für die Deutsche Welle eine Kolumne, der zufolge einige westliche Medien allzu kritisch gegenüber der Rolle der chinesischen Regierung beim Tian-An-Men-Massaker gewesen seien.

Tatsächlich handelte es sich - was bei Frank Sieren nicht selbstverständlich ist - um einen interessanten Beitrag zur öffentlichen Debatte, veröffentlicht genau am 4. Juni, dem Jahrestag des Massakers. Chang Ping, ein chinesischer Journalist im Exil, schrieb eine Replik, die bei der Deutschen Welle dreizehn Tage später erschien (bzw. wieder-erschien, denn zwischendurch war er offenbar nicht im Online-Angebot gewesen).

Wiederum eine Replik Sierens auf Chang Ping erfolgte am 12. Juni, und auf diese Replik eine erneute Replik Chang Pings.

Begleitet war diese recht zivil gehaltene Diskussion von einer kleinen Twitter-Welle: Support Tank Woman challenging a German columnist who whitewashes June 4, und - hier beginnt der arbeitsrechtliche Konflikt - der Vorwurf der Deutschen Welle, Su Yutong habe Interna veröffentlicht. Kein Unternehmen der Welt lasse sich so etwas gefallen, zitierte die "New York Times" den Pressesprecher der Deutschen Welle, Johannes Hoffmann. Allerdings zitiert das Blatt auch einen nicht genannt werden wollenden Mitarbeiter der Welle, dem (oder der) zufolge Beijing-kritische Artikel wie die Chang Pings immer seltener veröffentlicht würden, während der Einfluss von Kolumnisten wie Frank Sieren zunehme.

Falls das zutrifft, bewegt sich die China-Redaktion nach sechs Jahren womöglich wieder auf etwa die Position zu, die sie bis 2008 eingenommen hatte. Im Sommer 2008 begann eine Protestwelle gegen die angeblich "KP-China-freundliche" China-Redaktion. Diese Proteste fanden - anders als die Entlassung der vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jahren 2010 und 2011 - breite Medienrezeption. Die stellvertretende Redaktionsleiterin, Zhang Danhong, war 2008 in die Kritik geraten: sie habe pro-Beijing argumentiert und dabei (je nach Argument teilweise oder komplett) das richtige Maß verloren.

Tatsächlich gab es in Zhangs Argumentation Punkte, die inakzeptabel waren - zum Beispiel, dass ja nicht nur in China, sondern auch in Deutschland auch Webseiten gesperrt würden, zum Beispiel Kinderpronografie.

Aber die Kritik chinesischer Dissidentenkreise und eines "deutschen Autorenkreises" an Zhang, die schlussendlich in die Wirtschaftsredaktion wechselte, hatte sich auf die ganze China-Redaktion ausgeweitet. Der damalige DW-Intendant Erik Bettermann beauftragte daraufhin den früheren "Tagesthemen"-Anchor und ARD-Korrespondenten Ulrich Wickert mit einer Auswertung der Berichterstattung der Online-Abteilung der China-Redaktion. Die Vorwürfe tendenziöser Berichterstattung gegen die journalistische Arbeit der chinesischen Redaktion bei der Deutschen Welle entbehren jeder Grundlage, befand Wickert in seinem Untersuchungsbericht, den die Deutsche Welle nie veröffentlichte.

Im Dezember 2008 legte Zhang nach, nachdem sie von der damals noch existierenden eigenständigen Radioredaktion in die ebenfalls eigenständige Online-Redaktion gewechselt war: sie setzte dort auf der offiziellen Website der Deutschen Welle eine persönliche Fehde mit einer chinesischen Dissidenten fort - mit Hilfe eines "Interviews", dessen Fragen sie zuvor einem FAZ-Bericht zufolge selbst formuliert hatte.

Qi Li, ein damaliger Mitarbeiter der China-Redaktion, widersprach in einer 2012 veröffentlichten "Reportage"2): Zhang habe ihm gesagt, die "junge Kollegin", die die Fragen stellte, habe sich "in die entsprechenden Unterlagen eingelesen und dann Fragen formuliert". Gleichwohl deutet auch Qi Li Unbehagen hinsichtlich des Interviews an, was insofern interessant erscheint, als bei allen anderen Angelegenheiten passt kein Blatt zwischen ihn und die drei anderen früheren Redaktionsmitarbeiter passt, und auch nicht zwischen ihn und Zhang Danhong.

Nachdem Qi Li und drei weitere Mitarbeiter 2010/2011 von der Deutschen Welle abgefertigt worden waren, schien "Ruhe" einzukehren - mit einigen Anzeichen, denen zufolge die DW sich wieder von den chinesischen Dissidentenkreisen entfernte, auf die sie inhaltlich zunächst zugegangen war. Matthias von Hein, der - offenbar infolge der "Interview-Veröffentlichung" Zhang Danhongs im Dezember 2008 - seinen Position als Chefredakteur der China-Redaktion hatte räumen müssen, kehrte im Januar 2012 auf seinen alten Posten zurück.

Die Jahre von 2008 bis 2012 stellen sich dar als Jahre politischer Kampagnen und Kämpfe um die Richtung der DW-Chinaredaktion. Daran beteiligte sich 2008 auch ein Großteil der deutschen Presse. Danach schwieg sie ohnehin, obwohl der Nachgang des Konflikts im Jahre 2008 mindestens so relevant gewesen wäre wie sein Anfang. Auf den unveröffentlichten Untersuchungsbericht Ulrich Wickerts wies im März 2009 nur noch Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung" hin. (Anmerkung: der Zeitstempel der SZ vom Mai 2010 bezieht sich möglicherweise auf Updates.)

Nun trifft das Pendel auf seinem Weg zu mehr "Chinafreundlichkeit" zurückschwingende Pendel offenbar Su Yutong, und die "New York Times" findet das überaus berichtenswert. Man darf gespannt sein, ob die Journalisten Sabine Pamperrien und Jan-Philipp Hein so aktiv werden, wie sie es laut Frank Sieren (siehe oben) im Jahre 2008 schon einmal waren.

Vor allem aber möchte man im konkreten Fall der Politik - und was wäre die DW, wenn nicht ein trauriger kleiner Teil der Politik? - nahelegen, einfach mal gut ausgebildete Journalisten ungestört ihre Arbeit tun zu lassen. Als Schaufenster dafür, wie Journalismus funktioniert, wenn er gut ist. Als Stimme der Freien Welt. Als AchwasSiewollen.

Ich kenne Su Yutong nicht persönlich. Sie ist laut "New York Times" Exilchinesin und lebt seit 2010 in Deutschland. Sie mag eine mutige Frau sein, die für ihre Überzeugungen gelitten hat und immer noch leidet. Aber in ihrem Fall drückt sich für mich eine ungute Mischung aus Journalismus und Kampagne aus, die in Deutschland (gefühlt) immer weiter um sich greift und Journalisten, Pressesprecher und Eventmanager immer ununterscheidbarer macht. Die Deutsche Welle hat 2010 bekommen, was sie haben wollte - jede Menge Fokus auf "Menschenrechte". Mindestens vier - womöglich gute - Journalisten wurden dafür in die Wüste geschickt. Und jetzt hat sie von dem, was sie vor vier Jahren bekam, anscheinend zuviel gekriegt.

Vergrößern wir doch unsere politischen Stiftungen: Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung, usw.. Schaffen wir dort Platz für Aktivisten. Aber bitte nicht in den öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Su Yutong wird laut "Süddeutsche Zeitung" - hier zitiert vom Deutschlandradio - klagen. Anders als die 2010 und 2011 entlassenen Redakteure darf sie wohl auf angelegentliche öffentliche Berichterstattung rechnen.

Dazu ist die "vierte Gewalt" ja schließlich da. Also, natürlich nur von Fall zu Fall. Wo kämen wir denn sonst hin?

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1) Mindestens eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Vier waren Freiberufler, aber "fest-frei" angestellt, was einen hohen Grad der Integration in den Arbeitsalltag bedeutet, aber ohne die vollen Arbeitnehmerrechte von Festangestellten.
2)
Li Qi: "China-Albtraum der Deutschen Welle, August-von-Goethe Literaturvelag, Frankfurt a/M, 2012, S. 142f.

Updates


Keine neue Berichterstattung, "Bild-Zeitung, 26.08.14

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