Gesellschaften leben von gemeinsamer Sprache: Und wir?

Sprache Die AfD redet wie „normale“ Leute, gepaart mit Hass. Doch anstatt dem eine demokratische Sprache des Kompromisses entgegenzusetzen, hat die Identitätspolitik unsere Gesellschaft fragmentiert. Das hält keine Demokratie lange aus
Ausgabe 31/2023
Sprache als Kommunikationsmittel macht einen entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Affe aus
Sprache als Kommunikationsmittel macht einen entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Affe aus

Foto: Imago/Panthermedia

Soll ein Gemeinwesen halbwegs funktionieren, dann bedarf es sinnstiftender Klammern. Menschen brauchen einen Sinn dafür, dass sie Steuern zahlen. Eine Fußballmannschaft kann so eine Klammer sein, die Liebe zum Heimatdorf, ebenso die vorgestellte Gemeinschaft einer Nation oder – ganz was Neues! – der europäische Gedanke. Das große Band aber, das eine Gesellschaft zusammenhält, ist die gemeinsame Sprache.

Der Versuch jedoch, Gerechtigkeit der Geschlechter durch Grammatik zu erkämpfen, hat die Fragmentierung der Gesellschaft verstärkt. Während in der einen Szene mittels geschlechtsneutraler Pronomen kommuniziert wird (zum Beispiel „xier“ und „dey“), schießen andernorts solche Stilblüten in den Himmel: „protestierende Studierende“ und „verstorbene Drogengebrauchende“.

All diese Teilöffentlichkeiten haben eins gemein: dass sich ihre Gruppen als Opfer von Diskriminierung verstehen und aus dieser Position heraus Ansprüche an die Gesellschaft formulieren. In der LGBTQ-Community ist das so, bei Feministinnen wie auch unter PoC (in Deutschland lebende People of Color). Wenn nun jede dieser Minderheiten für sich vom Staat besondere Rechte erhält, eine Quote etwa, dürfte das gesellschaftliche Leben bald lahmgelegt sein. Tatsächlich haben die identitätspolitischen Debatten der letzten Jahre den Kapitalismus nicht ins Wanken gebracht, offensichtlich aber dazu beigetragen, dass die Gesellschaft heute kaum noch in der Lage ist, die zentralen Themen miteinander auszuhandeln.

Das öffentlich Sagbare wird nach rechts verschoben

Egal ob Klimakrise, Flüchtlinge oder der Ukraine-Krieg – es wird eine Meinung kundgetan, ohne dass gemeinsam (und nachvollziehbar) eine Meinung gebildet wurde. Deutschland als Empörungsgesellschaft, ohne Nuancen.

Wobei die Sprache noch von ganz woanders beschädigt wird: In der AfD-Blase wird deutsche Grammatik zwar in Reinkultur praktiziert, angereichert aber mit Vokabeln wie „Vogelschiss“, „Kopftuchmädchen“ und „Messermänner“. Die Grenze des öffentlich Sagbaren wird mehr und mehr nach rechts verschoben. Wenn sich auf der einen Seite die AfD als „Volkes Stimme“ gerieren darf und ihre Politiker oft genug als einzige auftreten, die in der vermeintlichen Sprache der Mehrheitsgesellschaft reden, und dabei ungestört Hass produzieren und auf der anderen Seite Sprache chiffriert wird und alles Politische primär mit der eigenen Identität begründet wird, sei es eine ethnische, sexuelle oder eine geschlechtliche – dann nimmt die Demokratie Schaden.

Hass und Identitäten sind nicht verhandelbar. Es kann keine Zugeständnisse geben. Demokratie aber lebt vom Aushandeln von Kompromissen.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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