Biden-Scholz: Trifft sich im Weißen Haus das letzte Aufgebot der Ukrainehilfe?

Meinung Welche Gewissheit kann Kanzler Scholz von seinem Treffen mit Joe Biden mitnehmen? Dass der US-Wahlkampf inzwischen über dem Ukraine-Krieg steht? Ex-Präsident Trump spielt Blockademacht aus. Die EU wird das kaum ändern können
Empfang in Washington: Olaf Scholz trifft Joe Biden im Weißen Haus
Empfang in Washington: Olaf Scholz trifft Joe Biden im Weißen Haus

Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Ist das ein Washingtoner Gipfel der Auslaufmodelle, die sich kaum im Vollbesitz ihrer politischen Kräfte wähnen können und womöglich bald ausgesorgt haben? Der deutsche Kanzler führt eine Koalition, deren desolater Zustand über jeden Zweifel erhaben ist. Sie ist kein Muster für Geschlossenheit und Handlungsvermögen, sodass sie straucheln könnte, bevor die Legislaturperiode ihr verdientes Ende findet.

Vom Ausspielen einer Vetomacht zu reden, mag übertrieben sein

Dem Gastgeber im Weißen Haus wiederum sind soeben mit einer Entscheidung im Kongress die Grenzen im Wahljahr aufgezeigt worden. Donald Trump hat darauf gedrängt, dass im Senat Mitte der Woche ein Finanz- und Maßnahmenpaket mehrheitlicher Ablehnung verfiel, aus dem auch die Ukraine mit 60 Milliarden Dollar bedient werden sollte. Es ist möglich, Regierungsabsichten wirkungsvoll zu blockieren, hat der Ex-Präsident damit unter Beweis stellen wollen.

Vom Ausspielen einer Vetomacht zu reden, mag übertrieben sein, aber weit davon entfernt ist es nicht, hält man sich vor Augen, was es seit Herbst immer wieder an Warnungen gab, sollte der vorgesehene Ukraine-Beistand nicht zustande kommen. Das Weiße Haus richtete mehrfach dringende Appelle an den Kongress und prognostizierte, dass die Ukraine im Krieg mit Russland ohne weitere Alimentierung erheblich an Boden verlieren werde. „Ich möchte klarstellen: Ohne Maßnahmen des Kongresses werden uns im Januar die Ressourcen ausgehen, um mehr Waffen und Ausrüstung für die Ukraine zu beschaffen und Ausrüstung aus US-Militärbeständen bereitzustellen“, so Shalanda Young, Direktorin des Büros für Management und Budgetfragen. Es gäbe „keinen magischen Topf“ mit finanziellen Ressourcen, um diesem Moment gerecht zu werden. „Wir haben kein Geld mehr – und fast keine Zeit mehr.“

Ist dieser Zustand nun eingetreten? Wie man ihn auch immer definiert, so steht doch außer Frage, dass die bisher engsten Verbündeten Kiews schwer unter Handlungsdruck geraten sind.

Jedenfalls kann das der deutschen Lesart jüngster Entwicklungen in Washington entnommen werden, wenn die Europäische Union in die Pflicht genommen wird, in die Bresche zu springen. Was geschieht, üben sich die Amerikaner weiter in Zurückhaltung? Muss man sich darauf einstellen, dass der US-Wahlkampf über dem Ukraine-Krieg steht?

Allerdings verwischen die derzeit bekundeten deutschen Erwartungen an Europa, dass allen voran die Regierung Scholz als selbst erklärte EU-Führungsnation an der Ukraine-Front zunächst einmal die anderen Mitgliedsstaaten zum erhöhten Engagement bewegen muss. Ob das gelingt, ist aus zwei Gründen offen.

Es fehlt die politische Perspektive für den Ukraine-Konflikt

Zum einen ist bereits viel geschehen, mit denen Belastungsgrenzen ausgeschritten wurden. Vor einer Woche erst hat ein EU-Sondergipfel Finanzhilfen von 50 Milliarden Euro zugestanden, mit denen der ukrainische Staat zahlungs- und funktionsfähig gehalten wird. Die Alternative läge im kriegsbedingten Staatsbankrott. Zum anderen fehlt es an einer politischen Perspektive für einen Konflikt, der offenkundig bis auf Weiteres nicht mit einem westlichen Siegfrieden zu enden verspricht. Wie lange und zu welchem Zweck soll unter diesen Umständen durchgehalten werden, zumal die ukrainische Führung erodiert und ein Realist wie General Waleryj Saluschnyj gerade abgesetzt worden ist.

Dass ein forcierter Waffentransfer als unumgänglich angesehen wird, ist nicht zuletzt zwischen Berlin und Paris umstritten, wie erst vor wenigen Tagen beim Antrittsbesuch des neuen Premierministers Gabriel Attal in Berlin deutlich wurde. Frankreich zeigt so wenig Neigung, sich durch Berlin vergattern zu lassen, wie Italien und Spanien, die sich aus Sicht der deutschen Regierung ebenfalls angesprochen fühlen sollten, aber ziemlich taub wirken.

Insofern hat Kanzler Scholz in Washington so wenig anzubieten, wie umgekehrt Joe Biden dies ihm gegenüber tun kann. Der große Erlöser Europa, welcher der Ukraine locker die Kriegsfähigkeit erhält, kann zwar beschworen werden – in Sicht ist er nicht.

Scholz täuscht die Öffentlichkeit darüber hinweg, dass die deutsche Militärhilfe für Kiew und das ab 2024 geltende Zwei-Prozent-Ziel beim Verteidigungsbudget (bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt) nur deshalb noch leistbar sind, weil das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro (nebenbei gesagt: Staatsschulden) in die Berechnung der Verteidigungsausgaben einfließt. Wäre es anders, müsste man sich mit Steuererhöhungen, Sozialabbau und neuen Schulden behelfen. Und was würde das für den Bestand der Regierungskoalition bedeuten? Man kann es sich denken.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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