Emmanuel Macron muss Scherben zusammenkehren

Frankreich Die Parlamentswahl zeigt: Die Zeit von „La République – c’est moi“ ist vorbei. In seiner zweiten Amtszeit muss sich der Staatschef auf eine erstarkte und widerstandsfähige Opposition einlassen
Für Emmanuel Macron hat sich in Frankreich nach der Parlamentswahl einiges verändert
Für Emmanuel Macron hat sich in Frankreich nach der Parlamentswahl einiges verändert

Foto: Michel Springler/POOL/AFP via Getty Images

Eine Abwahl ist es nicht, die Emmanuel Macron hinnehmen muss, aber die Aberkennung eines präsidialen Mandats, aus dem sich unbeschränkte Vollmachten ableiten lassen. Die Devise „La République – c’est moi“ hat ausgedient, auch andere gehören dazu. Und sie wollen als Opposition kein politisches Schattendasein fristen. Sie sind legitimiert und dürfen sich Geltung verschaffen, selbst wenn sie eine andere Republik wollen. Gerade dann.

Die zweite Runde der Parlamentswahl beschert dem Präsidentenlager (Allianz Ensemble!) eine Niederlage, die so schnell von absehbaren Rückschlägen nicht übertroffen werden kann. Das Durchregieren, wie es für Macrons erste Amtszeit die Regel war, hat sich erledigt.

Mehrheitsbeschaffer gefragt

Nicht auszudenken, was allein für die Linksunion NUPES hätte möglich sein können, wäre die Wahlbeteiligung im Vergleich zur ersten Runde nicht erneut gefallen, diesmal auf eklatant schlechte 46 Prozent. Zuhause geblieben sind gewiss nicht vorrangig Anhänger Macrons oder Marine Le Pens, sondern ebenso Millionen potentielle Wähler der Linken. Da NUPES mit 131 Mandaten (31,5 Prozent) nicht mit der stärksten Formation in der künftigen Nationalversammlung einzieht, entfällt zwar eine Cohabitation zwischen Macron und einem Premierminister Jean-Luc Mélenchon. Doch soviel steht fest: Es wird zwischen der Ensemble-Fraktion in der Nationalversammlung und der Opposition eine Art Cohabitation geben müssen. Nur, wer käme dafür in Betracht?

Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, die mit 89 Mandaten für ihre Partei nun eine Fraktion bilden kann, wohl kaum. Und die Linksallianz NUPES hat ja gerade überzeugt an Kontur und Zuspruch gewonnen, indem sie den Präsidenten, seinen Regierungsstil und Anspruch auf eine neoliberale Reformagenda heftig attackiert hat. Theoretisch bleiben nur die rechtsbürgerlich konservativen Les Républicains (LR) übrig. Mit ihren Sitzen könnten sie der Mehrheitsbeschaffer sein, andererseits erscheinen sie mit einem Stimmenanteil von landesweit lediglich sieben Prozent viel zu geschwächt, um sich Arrangements nicht teuer bezahlen zu lassen. Jeder Eindruck, willig im Präsidentenlager aufzugehen, würde die Partei weiter marginalisieren und in noch größere existenzielle Nöte bringen.

Mut zur Radikalität

Was NUPES quasi aus dem Stand erreicht hat, das verdient als Erfolg anerkannt zu werden. Es hat sich gezeigt, was mit der gebündelten Kraft linker Parteien und einem „Programm der 650 Punkte“ erreichbar ist, wenn man sich nicht scheut, die Systemfrage zu stellen und Machtkartelle aus Politik, Unternehmerverbänden und Medien anzugreifen. Jean-Luc Mélenchon hat sein Bekenntnis „Antikapitalist“ zu sein, wie eine Monstranz durch den Wahlkampf getragen.

Die Maxime für die Liaison seiner Partei La France Insoumise mit Sozialisten, Kommunisten und Grünen lautet, kein Fraternisieren mit den Verhältnissen, sich nicht in Ideologiedebatten und identitätspolitischen Spiegelfechtereien verlieren, stattdessen die elementaren Interessen der Bürger beachten, denen derzeit allein die überbordernde Inflation das Leben vergällt. Vor den beiden Wahlgängen am 12. und 19. Juni war von Mélenchon stets zu hören: „Ich sage euch nicht, dass wir von heute auf morgen ein Paradies schaffen werden, aber wir werden die Hölle beenden.“

Was jetzt tatsächlich möglich ist, weil Emmanuel Macron nicht mehr so regieren kann, wie er will, und eine noch vor der Präsidentenwahl totgesagte Linke auferstanden ist. Das wäre ohne das Charisma von Mélenchon und die Klarheit seiner Aussagen kaum denkbar gewesen. Dabei ist seine Agenda so zwingend wie logisch. Es sind die realen Verhältnisse und die daraus resultierende Spaltung einer Gesellschaft, die Linken eine Chance bieten, sofern sie den Mut zur Radikalität haben.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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