Nur kurze Zeit nach dem denkwürdigen BRICS-Meeting in Johannesburg treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G20 an diesem Wochenende in Delhi. Fast alle BRICS-plus-Aspiranten sind vertreten, nur Äthiopien und Iran fehlen. Brasilien, Indien, Südafrika, China, Russland gehören zum bisherigen Kreis der ständigen BRICS-Mitglieder, Argentinien, Saudi-Arabien, Ägypten und die Arabischen Emirate zum künftigen. So stößt in der indischen Hauptstadt der „Westen“ auf den „Anti-Westen“, konferieren Staaten des Globalen Nordens mit mit einigen der führenden Nationen des Globalen Südens.
Ohne Wladimir Putin und Xi Jinping
Zwei Politiker allerdings werden durch Abwesenheit glänzen – Wladimir Putin und Xi Jinping. Für den Präsidenten Chinas sind die Beziehungen mit Gastgeber Indien zu sehr von Spannungen belastet. Auch scheint er wenig Neigung zu verspüren, US-Präsident Joe Biden zu begegnen, sodass Premier Li Qiang die chinesische Delegation führt. Selbst per Videoschalte will Xi nicht dabei sein. Eine gewisse Kompensation dürfte im Oktober das in Peking anberaumte Belt-and-Road-Forum sein, zu dem alle Länder geladen sind, die an Chinas „Neuer Seidenstraßen“-Initiative teilnehmen. Auch Russlands Staatschef hat sein Kommen zugesagt, während aus den westlichen Industriestaaten wohl kein ranghoher Gesandter dabei sein will.Sollten die Führer der USA und Chinas die Gelegenheit einer Zusammenkunft suchen, würde sich die im November beim Treffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC bieten, zu der beide Weltmächte gehören.
Weil der UN-Sicherheitsrat bei der Entscheidung über Krieg und Frieden nicht mehr funktioniert – daher der Gewaltvorbehalt der Vereinten Nationen faktisch ausgehebelt ist –, erscheint das G20-Format wichtiger denn je. Zumindest handelt es sich um das einzige Forum, bei dem die G7- und die BRICS-Staaten noch miteinander sprechen und eine Verständigung suchen können.
In dieser Woche gab es zudem einige Regionalkonferenzen, auf denen sich Staatengruppen artikuliert haben, deren Meinung die G20 gewiss nicht unberührt lassen. Auf einem Klimagipfel in Nairobi konferierten die afrikanischen Staaten über eine gemeinsame Strategie für Energiewende und Klimaschutz. Einige davon haben die USA und die EU beim Übergang zu erneuerbaren Energien weit abgehängt. Zeitlich parallel tagten die ASEAN- Staaten in Jakarta, um China teils heftig zu kritisieren. Grund waren jüngst in Peking veröffentlichte Karten, auf denen ganz unverblümt maritime Grenzen verschoben wurden. Malaysia, Indonesien, Vietnam, die Philippinen und Brunei haben ihren Unmut über diese Ansprüche mehr oder weniger scharf vorgetragen. Sie taten das vermutlich auch in dem Bewusstsein, dass die ASEAN bereits seit 20 Jahren mit China über strittige Gebietsfragen im Südchinesischen Meer verhandelt, ohne dass je greifbare Ergebnisse zustande kamen. Russland enthielt sich übrigens jeder Reaktion, als China auf dem Papier auch eine Insel im Grenzfluss Ussuri reklamierte.
Erfolge als Raumfahrtnation
Indien hingegen hält sich beim Thema Grenzkorrekturen selten zurück. Um ein seit Jahr und Tag umstrittenes Terrain im Himalaya wurde zuletzt 2020 ein kleiner Grenzkrieg mit China geführt, bei dem es Gefallene auf beiden Seiten gab. Konflikte wie diese können jederzeit erneut ausbrechen und eskalieren, wie das Beispiel Kaschmir zeigt. Doch dürfte sich Indien als Veranstalter dieses G20-Gipfels Mäßigung auferlegen. Die Regierung von Premier Narendra Modi hat jedes Interesse, sich als Führung einer Weltmacht der Zukunft zu präsentieren. Da kommen die jüngsten Erfolge in der Raumfahrt nur recht. Indien ist inzwischen das bevölkerungsreichste Land und erweckt mit seiner Ökonomie den Eindruck, ein erwachender Riese zu sein, dessen Wachstumsraten gegenwärtig die Chinas übertreffen. Jedenfalls buhlen die westlichen G7-Staaten ebenso wie die Schwellenländer um Indiens Gunst. Eines ist kaum zu erwarten: Dass die in Delhi versammelten Staatsoberhäupter und Regierungschefs einen Weg aus dem gegenwärtigen globalen Chaos finden.
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