Die 13. Monatsrente ist ein linker Sieg in der notorisch wirtschaftsliberalen Schweiz

Meinung Über Jahrzehnte konnten konservative, wirtschaftsliberale und rechtspopulistische Kräfte in der Schweiz ihren politischen Einfluss ausbauen. Der Sieg eines linken Referendums zur Rente kommt einem Traditionsbruch gleich
Die Schweizer Gewerkschaften haben Grund zu feiern
Die Schweizer Gewerkschaften haben Grund zu feiern

Foto: Peter Schneider/picture alliance/Keystone

Beim Renten-Referendum am Wochenende gab es einen deutlichen, um nicht zu sagen: sensationellen Sieg über die bürgerlich-konservative Gegnerschaft in der Bevölkerung, in der Regierung und im Bundesparlament. Zum Schluss waren mehr als 58,2 Prozent Ja-Stimmen zur Einführung einer 13. Monatsrente für alle Pensionäre zu verzeichnen. „Für“ war das Motto der Volksinitiative – „für ein besseres Leben im Alter“.

Als das Ergebnis feststand, war die Sensation perfekt, weil in der Geschichte der seit 1874 geltenden Verfassung eine Initiative von links noch nie gewonnen hat in einem notorisch wirtschaftsliberal geprägten Gemeinwesen. Ein regelrechter Traditionsbruch für die Linke und die Gewerkschaften in einem Land, in dem die Avantgarde des europäischen Rechtspopulismus, der auf Fremden- und Ausländerfeindlichkeit beruht, erfunden wurde. Bereits 1970 lancierten Rechte und Konservative eine Volksinitiative gegen die „Überfremdung“ der Schweiz und den Untergang des „bodenständigen Schweizertums“. Sie ging zwar verloren, aber das Land ist seither von diesem Thema beherrscht. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) stellt im Berner Parlament seit den 1990er Jahren die weitaus stärkste Fraktion. Die seit 1972 bestehende Partei (Front National/Rassemblement National) der Familie Le Pen erreichte dieses Ziel bisher nie – so wenig wie einst Jörg Haiders FPÖ in Österreich oder andere rechtspopulistische Parteien.

Rekordzustimmung bei Referendum über die Rente

Die Abstimmung vom 3. März 2024 verzeichnete für die eidgenössischen Referenden eine hohe Wahlbeteiligung. In den französisch- und italienischsprachigen Regionen lag die Zustimmung sogar bei mehr als 70, zum Teil mehr als 80 Prozent, was mit Sicherheit in die Geschichte eingehen wird. Zuletzt lag sie 1972 beim legendären Votum über das Frauenstimmrecht so hoch. Vor der Abstimmung hatte die NZZ im üblichen Ton vor einer „brandgefährlichen Rentenerhöhung“ sowie vor einem „Selbstbedienungsladen“ gewarnt. Der absehbare, zusätzliche Finanzierungsbedarf von einigen Milliarden Franken wurde skandalisiert in einem reichen Land, in dem eben noch faktisch unbeschränkte Milliardenbeträge bewilligt wurden zur Rettung von Großbanken, die drohten, pleitezugehen.

Ein am gleichen Tag zur Abstimmung stehendes Rentenreformkonzept der Liberalen Nachwuchsorganisation mit dem wohlfeilen neoliberalen Hausrezept eines erhöhten Renteneintrittsalters statt einer 13. Monatsrente erzielte lediglich 25,3 Prozent Zustimmung. Bürgerliche und Konservative hatten sich schlicht verrechnet und setzten auf einen Bonus aus der Kalten-Kriegs-Stimmung angesichts der heiklen weltpolitischen Lage. Die Einführung der Altersrente in der Schweiz 1948 verdankte sich einer Kompensation des bürgerlichen Lagers an die Linke, die während des Zweiten Weltkrieges auf Opposition verzichtete und die Lasten des Krieges mittrug, vor allem die Rationierung von Lebensmitteln und Leistungen für die Landesverteidigung in Form der Grenzsicherung, die man in der Schweiz „Aktivdienst“ nannte und nennt.

Die Renten in der Schweiz besaßen am Anfang noch ein bescheidenes Niveau, beruhten aber damals schon und bis heute auf einem demokratischen System, das auf Beitragsbemessungsgrenzen verzichtet. Das heißt, alle Einkommensformen werden in jeder Höhe für alle, auch Beamte, gleich belastet. Hohe bis sehr hohe Einkommen sind nicht privilegiert, was zu einem respektablen Umverteilungseffekt von oben nach unten führt. Gerade die Popularität dieses Effekts unterschätzten Bürgerliche und Konservative und setzten dagegen auf atavistische Neidimpulse von marktgewohnten und -gläubigen Bürgern. Momentan beträgt die Minimalrente 1.225 Franken, wobei Menschen, die mit geringen Renten auskommen müssen, sogenannte Ergänzungsleistungen beanspruchen können, die momentan für rund ein Viertel der Rentner und Rentnerinnen in Betracht kommen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden