Arbeit: Wie „Quiet Quitting“ überhaupt erst möglich geworden ist

Kolumne Nur so viel arbeiten, wie gerade nötig? Die 4-Tage-Woche und Quiet Quitting sind seit der Pandemie Dauerthemen. Möglich ist das schon jetzt, allerdings nur für eine kleine Gruppe der Arbeitnehmer
Ausgabe 36/2023
Quiet Quitting ist nur da eine Option, wo sich überhaupt einen Gang runterschalten lässt, wo kein Algorithmus jeden Schritt diktiert wie in einem Amazon-Versandzentrum.
Quiet Quitting ist nur da eine Option, wo sich überhaupt einen Gang runterschalten lässt, wo kein Algorithmus jeden Schritt diktiert wie in einem Amazon-Versandzentrum.

Foto: Bernhard Classen/Imago

Sebastian Friedrich ist Freitag-Kolumnist und beschäftigt sich in seinem „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ seit 2013 mit den Ideologien des Alltags. Denise M’Baye und er sind die Hosts des NDR-Philosophie-Podcasts Tee mit Warum. Thema von dessen aktueller Folge: „Quiet Quitting“. Zu Gast ist die Soziologin Nicole Mayer-Ahuja, außerdem wird über Frigga Haug und ihre marxistisch-feministische 4-in-1-Perspektive diskutiert.

Es sollte eigentlich kein Problem sein, wenn Beschäftigte genau das tun, was vertraglich vereinbart ist. Doch der „Dienst nach Vorschrift“ versetzt Personaler aller Länder zunehmend in Panik. Wirtschaftszeitungen geben Tipps für verzweifelte Manager, um nach „Great Resignation“ und „Quiet Quitting“ die Arbeitsmoral der Angestellten zu verbessern, besonders der Generation Z, der zwischen Mitte der 1990er und 2010 Geborenen, die nun auf den Arbeitsmarkt drängen – bzw. gemächlich in dessen Richtung trotten.

Wie so oft in Moraldebatten fällt das Wesentliche unter den Tisch. Quiet Quitting ist nur da möglich, wo sich überhaupt einen Gang runterschalten lässt, wo kein Algorithmus unerbittlich jeden Schritt diktiert. Dienst nach Vorschrift wird vor allem zum Problem in einem Arbeitsumfeld, das vom Ansatz der internen Steuerung geprägt wird.

Freie statt Festangestellte

Es war einst ein Kniff der Strategen in Chefetagen, zunehmend auf Eigenverantwortung zu setzen; aus Festangestellten im Arbeitsalltag Freie zu machen, dank Teams, die sich selbst organisieren und Verantwortung für das Erreichen der gesteckten Ziele tragen, ohne lästiges, zeitintensives Über-die-Schulter-Schauen des Chefs oder gar feste Arbeitszeiten. Ein Mittel, um die Motivation zu steigern, damit, wenn es sein muss, auch mal krank am Projekt weitergearbeitet werden kann, die Deadline hat ja auch keinen Schnupfen.

Nun regt sich mehr Widerstand gegen die indirekte Steuerung, denn nicht nur der Druck, auch der Anteil der von den Unternehmen einkalkulierten Zusatzarbeit ist hoch. Doch die Logik der indirekten Steuerung macht es Beschäftigten überhaupt erst möglich, eine ruhigere Kugel zu schieben – weil eben nicht so sehr kontrolliert wird. Diese Dialektik von Druck und Gegendruck ergänzen veränderte Ausgangslagen: Vor 20 Jahren, in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, wäre ein vereinzelter Protest wie „Quiet Quitting“ kaum möglich gewesen. Heute aber herrscht vielerorts ein Mangel an Fachkräften.

Der sogenannte Arbeitnehmermarkt

Eine demografische Besonderheit, die die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärkt, Ökonomen sprechen von einem Arbeitnehmermarkt: Wenn der Chef keine Vier-Tage-Woche, Sabbaticals und nicht Homeoffice auf Lebenszeit bietet, schlurfen gut Ausgebildete zum nächsten Betrieb.

Was für einige Fachkräfte, etwa in der IT-Branche, zutreffen mag, gilt aber nicht in der Breite: Die Reallöhne sind seit 2020 in fast jedem Quartal gesunken. Trotz Arbeitnehmermarkt.

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