Ali Al-Dailami über Wagenknecht-Partei: „Ich will diese Menschen zurückgewinnen!“
Interview Er kennt Fluchtmigration, Hartz IV und Leiharbeit aus eigener Erfahrung, galt als vielversprechendes Talent der Linksfraktion. Die verlässt Ali Al-Dailami nun aber mit Sahra Wagenknecht. Ein Gespräch über Corona, Waffen, Gas und Migration
Das Logo stimmt nicht mehr: Ali Al-Dailami ist aus der Linken ausgetreten und baut mit dem Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ eine neue Partei auf.
Foto: Imago/foto2press
Drei Mitglieder der Linksfraktion im Bundestag saßen in Berlin auf dem Podium, um die Gründung des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ vorzustellen. Neben Wagenknecht waren das die bis zuletzt amtierende Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali und der bisherige wirtschaftspolitische Sprecher Christian Leye, die allesamt aus der Partei ausgetreten sind.
Das gilt auch für Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Żaklin Nastić, Jessica Tatti und Alexander Ulrich. Außerdem gehört zu den insgesamt zehn Abgeordneten, die sich bisher für den Start einer neuen Partei entschieden haben und nicht daran denken, der Aufforderung zur Mandatsrückgabe von Parteichefin Janine Wissler sowie Frakti
gilt auch für Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Żaklin Nastić, Jessica Tatti und Alexander Ulrich. Außerdem gehört zu den insgesamt zehn Abgeordneten, die sich bisher für den Start einer neuen Partei entschieden haben und nicht daran denken, der Aufforderung zur Mandatsrückgabe von Parteichefin Janine Wissler sowie Fraktionschef Dietmar Bartsch und den drei direkt gewählten Abgeordneten Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann Folge zu leisten, Ali Al-Dailami. Anfang der 1990er Jahre als Sohn politischer Flüchtlinge aus dem Jemen nach Deutschland gekommen, zog Al-Dailami 2021 über die hessische Landesliste in den Bundestag ein und wurde Sprecher der Fraktion für Verteidigungspolitik. Jetzt ist er einer derer, die am Aufbau einer neuen Partei arbeiten.der Freitag: Herr Al-Dailami, Sie sind seit Anbeginn 2007 in der Linken – warum jetzt nicht mehr?Ali Al-Dailami: Weil sich die Partei in eine Richtung entwickelt hat, die kaum noch vereinbar ist mit dem, was mich einst motiviert hat, einzutreten. Ich war Hartz-IV-Betroffener, eine neue Linke mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, da war für mich klar, jetzt musst du aktiv werden! Aber heute empfinden viele die Linke nicht mehr als die Partei für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Freiheit. Es hat eine große Verwässerung gegeben. Das ist bitter, aber diese Entwicklung macht den Schritt jetzt unabwendbar.Sehen das Ihre Genossen an der Basis in Gießen auch so?Gießen ist die Stadt mit der höchsten Studentendichte in Deutschland, ein „urbanes Milieu“. Lange haben wir es geschafft, vom Studenten über die frühere Schlecker-Beschäftigte und vom Arbeiter bis zum Menschen mit Doktortitel viele zusammen- und einander auch kulturell näherzubringen, ohne dass eine Gruppe dominierte. Zunächst auch dann noch, als sich die Linke unter Bernd Riexinger und Katja Kipping dafür entschied, explizit urbane, aktivistische Milieus anzusprechen ...... das war die Strategie gegen den – demografisch bedingten – Mitgliederschwund im Osten.Ja, aber ich habe immer davor gewarnt zu glauben, man könne einfach die Wähler austauschen. Die Veränderung der Mitgliedschaft wurde im Kreisverband spürbarer, immer jünger, akademischer, urbaner, mit anderen Themen. Vor allem aber litt der Pluralismus, es wurde kein Wert mehr darauf gelegt, das alte, klassisch linke Milieu mitzunehmen. Folglich hat die frühere Schlecker-Beschäftigte die Partei längst verlassen, wie viele andere auch. Diesen schleichenden Prozess hat es auch in vielen anderen Kreisverbänden gegeben.„Viele in diesem Land haben berechtigterweise das Gefühl, Debatten würden in einem sehr verengten Korridor geführt“Ende 2022 zählte die Linke immerhin noch 54.000 Mitglieder. Wie viele Mitglieder wünschen Sie sich denn für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“?Die Anzahl der Mitglieder sagt über die Qualität und Stärke einer Partei nicht unbedingt viel aus. Ich wünsche mir vor allem eine neue Bewegung, eine neue Partei, die die offensichtlichen Leerstellen füllt, dem rechten Zeitgeist und den AfD-Erfolgen entgegentritt.Welche Leerstellen?Frieden, soziale Gerechtigkeit, aber auch Freiheit: Viele in diesem Land haben berechtigterweise das Gefühl, Debatten würden in einem sehr verengten Korridor geführt. Ich habe das in der eigenen Partei gemerkt, als ich mich im Vorstand früh gegen die Corona-Maßnahmen und gegen eine allgemeine Impfpflicht positionierte: Es gab keinen Platz für einen vernünftigen Diskurs, man wurde in die rechte Ecke gestellt, galt als Verschwörungstheoretiker. Da kämpfen gewisse Milieus mit harten Bandagen für das, was ihnen als richtig und gerecht gilt, ohne Toleranz, mit beinahe religiösem Eifer.Sie suggerieren, man könne nicht frei seine Meinung sagen, aber tun heute eigentlich nicht alle ständig genau das?Es geht um den Widerhall. Um die Diffamierungen, die viele Menschen erlebt haben. Das sehen Sie doch auch beim Thema Russland und Krieg in der Ukraine – wie schnell man da mit abweichender Meinung als „Putin-Freund“ gilt.„Waffenlieferungen verlängern diesen Krieg, der auch für Deutschland soziale Verwerfungen nach sich zieht“Sollte Deutschland die Ukraine weiter mit Waffen unterstützen?Auf keinen Fall. Die Ampel-Koalition ist doch nicht ohne Grund mit dem Versprechen angetreten, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Wir erleben, was ich von Anfang an kritisiert habe: Die Waffenlieferungen ziehen das Leid der Menschen immer weiter in die Länge. Die Bundesregierung hat keine einzige Friedensinitiative auf den Weg gebracht, ein diplomatisches Fiasko! Es ist völlig absurd, die Ukraine aufrüsten zu wollen, bis sie gewinnt. Das wird nicht möglich sein. Aber an den Waffenlieferungen haben etliche ein Interesse, darunter auch, Russland langfristig geopolitisch zu schwächen. Das finde ich falsch. Waffenlieferungen verlängern diesen Krieg, der auch für Deutschland soziale Verwerfungen nach sich zieht, etwa teurere Energie.Soll Deutschland wieder Gas aus Russland beziehen?Reden wir doch erst mal darüber, dass die Bundesregierung sich bis heute schwertut, darüber zu sprechen, was mit den Nord-Stream-Pipelines tatsächlich passiert ist. Und, das ist doch klar, für Deutschland als rohstoffarme und exportorientierte Nation waren die günstigen Energielieferungen aus Russland ein Vorteil. Jetzt importieren wir ja immer noch Gas und Öl aus Russland, aber über Umwege und viel teurer. Auch Energie aus Katar zu beziehen oder Partner Saudi-Arabiens zu sein, gilt nicht als Problem – was für eine Doppelmoral. Sollen die Energiepreise hierzulande langfristig bezahlbar sein und wollen wir den Industriestandort sichern, dann braucht es dafür tatsächlich wieder günstigere Angebote – das ist nun mal letztendlich Energie aus Russland.„Sieben der zehn Linken-Fraktionsmitglieder, die jetzt gehen, haben Migrationshintergrund“Wir reden jetzt über Themen, aber eigentlich setzen Sie mit der Partei ja nur auf eine Person.Falsch. Alle, die dabei sind, wie ich, übernehmen Verantwortung. Aber dass Sahra Wagenknecht die populärste Frau der politischen Linken in Deutschland ist, ist ebenso eine Binsenweisheit wie dass es unklug wäre, darauf nicht zu setzen. Ich will mir an Wahlkampfständen doch nicht weiter anhören müssen „Was macht Ihre Partei da mit Frau Wagenknecht, hören Sie auf, sie zu belästigen, was Besseres kann Ihnen doch gar nicht passieren!“.Andere sagen, Wagenknecht und die Partei verschöben den Diskurs weiter nach rechts.Das nervt, denn es stimmt nicht. Ich bin selbst geflüchtet, sieben der zehn Fraktionsmitglieder, die jetzt gehen, haben Migrationshintergrund – dann von deutschen Akademikern, die in ihrem Leben nur in der Politik gearbeitet haben, in die rechte Ecke gestellt zu werden, ist eine Verzerrung der Realität. Der Vorwurf bezieht sich ja meist darauf, Themen zu benennen, die außerhalb dieser linksakademischen Kreise heiß diskutiert werden.Zum Beispiel?Dass die Situation in Stadtteilen beengt geworden ist. Dass bei mir in Gießen wieder Turnhallen für Sport gesperrt und zur Unterbringung von Menschen genutzt werden müssen. Dass die Kapazitäten nicht wegen der Menschen, die jetzt kommen, ausgereizt sind, sondern auch, weil wir mehr als eine Million Ukrainer in Deutschland aufgenommen haben.„Schauen Sie sich die politische Lage in Deutschland heute an – das ist durchaus eine historische Verantwortung“Also, was tun?Es braucht dringend einen Schuldenschnitt für die Kommunen, da bei diesem Zustand von Schulen und einem derartigen Wohnungsmangel Migration und Integration eine Gesellschaft natürlich überfordern. Endlich ein faires europäisches Verteilsystem auf den Weg bringen, aber auch alles dafür tun, dass sich Menschen nicht mehr auf gefährliche und oft tödliche Fluchtrouten begeben.Und dafür wählen dann mehr als 25 Prozent die neue Partei?Umfragen sind nicht mein Indikator. Menschen in meiner Umgebung, aus der Ausbildung oder der Zeit als Leiharbeiter, haben oft ein besseres Gespür als manch ein Politiker, der von oben die Welt erklärt. Ich kenne Leute, die haben zwölf, 13 Jahre nichts gewählt, und dann die AfD. Die sind sicher nicht von heute auf morgen Faschisten geworden, haben aber oft eine berechtigte Wut auf die Ampel. Diese Menschen will ich für den demokratischen Prozess zurückgewinnen, ich will, dass sie sich wieder gehört fühlen und Hoffnung schöpfen. Schauen Sie sich die politische Lage in Deutschland heute an – das ist durchaus eine historische Verantwortung.Verantwortung würden Sie aber erst einmal Ihrer alten Partei gegenüber tragen, heißt es aus dieser: Sie sollen Ihr Bundestagsmandat Nachrückern überlassen, weil Sie dieses der Linkspartei zu verdanken hätten.Dazu wird es nicht kommen. Es gibt auch eine Verantwortung der Partei gegenüber Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Und dieser Aufgabe ist die Partei, gerade im Umgang mit Sahra Wagenknecht, oft nicht nachgekommen, um es nett auszudrücken. Über Jahre wurde ein Flügel bekämpft und ausgegrenzt, der jedoch einen erheblichen Teil der Basismitglieder vertreten hat. Und letztlich gilt immer noch Artikel 38 des Grundgesetzes, wonach Bundestagsabgeordnete weder an Weisungen noch Aufträge gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.
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