Linke Heten, kommt mal in die Puschen – ohne eure Hilfe machen sie uns ein!

Kolumne Die gewalttätigen Angriffe auf queere Menschen haben in Deutschland zugenommen. Wir Queers haben Angst, sagt unser Kolumnist Tadzio Müller
Ausgabe 41/2023
Nur auf Demos mitlaufen, reicht nicht – deshalb: „progressive Kräfte gegen die Klerikalfaschisten“
Nur auf Demos mitlaufen, reicht nicht – deshalb: „progressive Kräfte gegen die Klerikalfaschisten“

Foto: Imago/NurPhoto

Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an. Für den Freitag schreibt er abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Elsa Koester und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.

Sorry, ich weiß, ich bin so ein bisschen ein inhaltliches „One Trick Pony“, aber es geht an diesem Platz schon wieder, im Stilmittel des Quasidialogs mit einem imaginierten Kollektivsubjekt „Deutschland“, um Gewalt gegen Queers, allen voran gegen unsere trans Geschwister.

Gähn, höre ich jetzt aus deiner Ecke: „Alter, hast du nix anderes zu erzählen? Malte, Angriffe auf CSDs, Pink Panthers, immer geht’s um steigende physische Gewalt gegen Queers.“ Warum nicht mal was zu Working Class Queers und steigenden Mieten schreiben? Klar, könnte ich machen, und ja, es ist so, dass jedes soziale Problem uns Queers härter trifft. Aber damit würde ich euch kaum aus eurem süßen Normalitätsschlaf wecken können. Weil Wahrnehmung meist etwas anders erfolgt, als wir uns das vorstellen: Es ist nicht so, dass wir Dinge verstehen, weil sie zusammenhängend argumentativ dargelegt werden – wir wählen Information so aus, dass sie unsere existierenden Wahrnehmungen bestätigt. Wird unsere Wahrnehmung bestätigt, können wir sagen: Ja, ich hab recht gehabt. Wird sie infrage gestellt, wird die Information meist ignoriert.

Nein, ich rede immer wieder, auf bestimmt zunehmend penetrante Art und Weise, von physischer Gewalt gegen Queers. Weil ich, weil immer mehr von uns immer mehr Angst haben, wegen dieser zunehmend allgegenwärtigen Gewalt wieder in die Schränke zurückzumüssen, aus denen wir in den vergangenen Jahrzehnten mal herausgekrochen, mal erhobenen Hauptes herausspaziert, mal in Drag Outfit und Federboa herausgetanzt sind; und weil ich verdammt noch mal den Eindruck habe, dass ihr – Heten, die sich sonst gerne als Allies von Queers sehen – das überhaupt nicht auf dem Schirm habt.

Denn im Kriminalpolizeilichen Meldedienst wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 1.005 Hassdelikte im Zusammenhang mit dem Themenfeld „Sexuelle Orientierung“ registriert. 2021 waren es noch 870.

Queers in Deutschland haben es ja so gut

Versteht ihr, dass die Gewalt gegen uns Queers hierzulande konstant zunimmt? Dass immer mehr CSDs, queere Bars, Clubs und Menschen angegriffen werden? Dass Queers sich fragen, ob sie noch (oder ohne CS-Gas) auf CSDs gehen sollen? Dass Queers, die aufs Land ziehen, dort Anfeindungen wie in den 50er Jahren ausgesetzt sind? Und wenn ihr das wisst und sogar versteht: WHAT THE FUCK DO YOU PLAN TO DO ABOUT IT?

Ich bin tatsächlich immer wieder fasziniert davon, wie schnell meine linken und linksradikalen Genoss*innen wieder zu ihren Themen zurückkehren, wenn ich von antiqueerer Gewalt erzähle. Da wird mal ein Tweet geteilt, aber sich darüber Gedanken machen, wie praktisch zu helfen wäre? Das scheint unglaublich schwerzufallen. Weil, so meine These, vor allem unter progressiven Menschen die Legende noch stark ist, dass Queers es hier in Deutschland so gut haben, dass erst mal andere Anliegen wichtiger sind.

Allerseits: Dem ist nicht so. Egal, ob in Böblingen oder Berlin, in Brandenburg oder Bremen: Wir Queers haben Angst. Und so gerne ich mir eine militante Selbstverteidigung von Queers ohne Rekurs auf „straight saviours“ wünschen würde – gegen den wiedererstarkenden Faschismus helfen keine Pink Panthers, da hilft nur das, was mal die Einheitsfront hieß: alle progressiven Kräfte gegen die Klerikalfaschisten. Put differently: Ohne eure Hilfe machen sie uns ein. Also kommt mal in die Puschen. Verteidigt uns, damit wir euch zeigen können, wie man richtig feiert und lebt. You’re welcome.

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