Threads ist nicht Twitter, zumindest noch nicht

Kolumne Mark Zuckerberg will mit Threads Twitter den Rang ablaufen, ohne ein neues Twitter zu bauen. Was er nicht bedenkt: Eine Plattform wird auch von ihren Nutzer:innen gemacht
Threads zeigt, dass Mark Zuckerberg sein Trauma bisher nicht überwunden hat, dass er 2018 vor den US-Senat gezerrt wurde, um wegen der Rolle von Facebook in der US-Wahl 2016 Rede und Antwort zu stehen
Threads zeigt, dass Mark Zuckerberg sein Trauma bisher nicht überwunden hat, dass er 2018 vor den US-Senat gezerrt wurde, um wegen der Rolle von Facebook in der US-Wahl 2016 Rede und Antwort zu stehen

Foto: Douliery Olivier/abaca/picture alliance

Das neue soziale Netzwerk Threads ist aufgrund der schieren Marktmacht von Mutterkonzern Meta wohl die Twitteralternative der Zukunft. Nun ist es seit fast einem Monat in Europa verfügbar und das ist genug Zeit für ein erstes Fazit: Threads ist eine algorithmische Anti-Kultur, die Social-Media-Vorhölle selbst, ein vollständiger Kontrollverlust für Nutzer:innen.

Wem man folgt, wird hier weitestgehend ignoriert, stattdessen serviert ein vollkommen übersteuernder Algorithmus schräges bis abstoßendes Zeug: Viele Frauen bekommen in erster Linie sexistischen Content ausgespielt, ein queerer Freund von mir wird von homophoben Inhalten überschwemmt und mein eigener Feed ist voll mit Hustle-Mindset-Müll darüber, warum ich ein Alpha-Male werden muss. Puh.

Das ist durchaus beabsichtigt: Das textfokussierte Threads soll nicht wie Twitter, sondern wie Instagram funktionieren. Und Instagram will eigentlich TikTok sein und Entertainment-Plattform werden, eher Fernsehen als soziales Medium. Die Plattform will also keine aktiven Teilnehmer:innen, sondern passive Konsument:innen, die sich von einem niemals versiegenden Strom von Inhalten aus den Händen einer (semi-)professionellen Content-Creator-Klasse umspülen lassen – so ist es schlicht am profitabelsten.

Aber dieses Prinzip funktioniert für einen Kurznachrichtendienst nicht sonderlich gut. Damit sich der Algorithmus auf dich einspielt, braucht er klare Signale, was du magst und was nicht. Bei TikTok oder Instagram-Reels ist das sehr einfach: Dein Bildschirm zeigt ein einziges Video auf einmal. Guckst du es dir an oder interagierst sogar, magst du den Inhalt wohl. Scrollst du direkt weiter, eher nicht. Aber Kurznachrichtendienste haben viele Beiträge auf einmal pro Bildschirm und nur, weil man einen Beitrag liest, heißt es noch lange nicht, dass man dem Inhalt zustimmt und mehr davon will. Der Algorithmus ist vollständig verwirrt, weswegen Nutzer:innen momentan größtenteils seltsamen Müll auf Threads vorfinden.

Threads will gar kein „soziales Netzwerk“ sein

Natürlich könnten Mark Zuckerberg und Instagram-Chef Adam Mosseri den Algorithmus so abändern, dass die Nutzer:innen mehr Kontrolle haben und ihre Zeit auf der Plattform nach ihren eigenen Wünschen gestalten können. Doch dann würden sich Communitys bilden, Threads würde sozial(er) werden und das ist das Letzte, was die beiden wollen. Denn Sozialität bedeutet Politik, Politik bedeutet Debatte, bedeutet Kontroversen, und die sind ein absoluter Albtraum für Plattformbetreiber. Mark Zuckerberg hat noch immer ein Trauma davon, wie er 2018 vor den US-Senat gezerrt wurde, um wegen der Rolle von Facebook in der US-Wahl 2016 Rede und Antwort zu stehen. Mosseri selbst hat offen zugegeben, dass Threads nicht für Politik (und Journalismus) gemacht oder gedacht sei, weil das nur zu negativer Stimmung und Aufmerksamkeit durch Regierungen führen würde.

Das ist deprimierend für alle, die auf ein neues Twitter gehofft haben. Doch die wirklich interessante Frage ist: Werden Mosseri und Zuckerberg letztlich verhindern können, dass Threads zu Twitter 2.0 wird? Denn Plattformen werden auch von ihren Nutzer:innen gemacht, Twitter selbst ist das beste Beispiel dafür. Am Anfang hatte die Seite keine Hashtags oder Retweets – es waren Nutzer:innen, die die Funktionen erfanden und einforderten, bis sie von der Seite übernommen und eingeführt wurden.

Derzeit wünschen sich sämtliche Polit-Junkies der Welt (Politiker:innen, Journalist:innen, und jene, die es gerne wären) das alte Twitter zurück. Bei Musk kriegen sie es nicht mehr, bei Threads derzeit auch nicht. Doch 2024 finden Wahlen in 60 Ländern statt, es wird unzählige jener Krisensituationen geben, in denen Twitter früher brillierte und nun unter Musk versagt. Zwei bis drei ernstzunehmende Krisenmomente, in denen Threads nicht liefert, was sich diese Polit-Junkies wünschen und Zuckerberg und Mosseri werden genau die negative Aufmerksamkeit aus Presse und Regierungen auf sich ziehen, die sie mit ihrem Ansatz derzeit umgehen wollen. Ob sie einknicken und dem Affen Zucker bzw. ein Twitter 2.0 geben, bleibt abzuwarten. Aber ich glaube nicht, dass sie vollständig realisieren, was sie sich eingeladen haben.

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