Anti-Homöopathie-Ideologie von Karl Lauterbach: Unnötiger Glaubenskampf

Meinung Karl Lauterbach will Homöopathie als Kassenleistung streichen. Hohe Kosten können nicht der Grund sein
Ausgabe 03/2024
Vielen Menschen helfen die Kügelchen
Vielen Menschen helfen die Kügelchen

Foto: Imago/STPP

Manchmal denkt man, man müsste dem Mann helfen, der nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“ unverdrossen eine Agenda abarbeitet, die so geheim nicht ist. Dass Karl Lauterbach (SPD) mit der Krankenhausreform nicht auf Trab kommt, das Transparenzgesetz weiterhin im Bundesrat schmachtet mit ungewisser Zukunft und die niedergelassenen Ärzte trotz Gutwetterfahne auf dem Dach des Bundesgesundheitsministeriums keineswegs befriedet sind, hält den Minister nicht davon ab, einen Patient:innenkreis gegen sich aufzubringen, der nicht so klar abgrenzbar ist, wie die verschiedenen Lobbygruppen.

Seine Ankündigung, die Homöopathie künftig nicht mehr als Kassenleistung zuzulassen, wird einen weiteren Sturm über die Ampel bringen, in dem sich hartgesottene Corona-Kritiker:innen und bislang eher wohlgesonnene Anhänger:innen der Alternativmedizin zusammenfinden. Was hat den Mann geritten, eine vergleichsweise geringe Summe, die homöopathische Präparate die Kassen kosten, in den Opfergral zu werfen?

Denn um das vorauszuschicken: Die meisten Kassen übernehmen die Kosten für alternative Arzneien nicht oder in nur so homöopathischen Dosen, dass sie von den meisten Versicherten wahrscheinlich tatsächlich zu schultern sind. Angesichts des auf 3,2 Milliarden Euro geschätzten Defizits, das bei der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) möglicherweise 2024 aufläuft, ist das Einsparpotenzial Lauterbach zufolge in Höhe von 20 bis 50 Millionen Euro, lächerlich.

Aber darum geht es Lauterbach auch nicht. Der Papst des deutschen Medizinsystems ist nämlich nicht weniger ein Ideologe wie manche Verfechter der Homöopathie. Es geht um einen Glaubenskampf, auf dessen einer Seite die evidenzbasierte, also wissenschaftlich gesicherte Schulmedizin steht und auf der anderen die Alternativen. Ihren institutionellen Anker haben die Evidenzler, deren Vorsprecher Lauterbach ist, im 2004 noch von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gegründeten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem (IQWiG).

Damals hatte das Institut unter dem – durchaus streitbaren – Leiter Peter Sawicki die Aufgabe übernommen, Nutzen und Kosten medizinischer Maßnahmen durch die Analyse von (Meta-)Studien zu bewerten und Leitlinien zu erarbeiten. Wer den Infodienst des Instituts verfolgt, wird erkennen, dass das aus vielen Gründen eine irre schwere Aufgabe ist. Viele Arbeitsaufträge enden mit dem Zertifikat: Zusatznutzen nicht belegt. Dann wird nach langen bürokratischen Entscheidungsrunden im Gemeinsamen Bundesausschuss ein Medikament oder eine Therapie – und manchmal mit guten Gründen – nicht als Kassenleistung aufgenommen.

Aber die Evidenz in der Medizin ist ein weites Feld, das auch die Nutzerinnen von Globuli, also den homöopathisch verdünnten und in Kügelchen gegossenen Medikamenten für sich in Anspruch nehmen. Man mag es Glauben nennen oder intrinsische Motivation, es gibt sehr viele Menschen, die davon profitieren. Das ist wie der Gott, für den es auch keine Evidenz gibt, aber für viele das Leben erträglicher macht. Der Staat honoriert das den Kirchen mit dem Einzug der Kirchensteuer. Zwischen Himmel und Erde gibt es eben viel, was nicht unmittelbar „wissenschaftlich“ erklärbar ist.

Für einen Szientisten wie Lauterbach ist das vielleicht eine Zumutung. Und in stillen Stunden wird er sich vielleicht auch an einen Fall erinnern, in dem Globuli erfolgreicher waren als sein evidenzbasiertes Wissen. Hier noch zu wiederholen, dass das Ganze ein billiges Ablenkungsmanöver ist, aus dem die Opposition nur zu gerne einen Stich macht, wer muss das noch betonen? Interessanter ist, dass sich das Thema in die vielen Glaubenskämpfe einreiht, von denen wir seit Jahren umgetrieben werden. Und es ist kein Zufall, dass sich viele Duellant:innen auf dem Feld der Gesundheit tummeln.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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