Faustschläge auf offener Straße in New York und Berlin: Männer greifen Frauen gezielt an

Kolumne Auf TikTok kursiert die Angst vor einem misogynen Trend: Mehrere Frauen wurden in den letzten Wochen auf offener Straße von Männern im Vorbeigehen angegriffen. Das Phänomen ist nicht neu, sondern Alltag für Frauen im Patriarchat
Ausgabe 15/2024
In New York wurden in den letzten Wochen mehrere Frauen auf offener Straße ohne Vorwarnung geschlagen
In New York wurden in den letzten Wochen mehrere Frauen auf offener Straße ohne Vorwarnung geschlagen

Foto: Imago / Pond5 Images

Eine blonde Frau, komplett in Tränen aufgelöst, erzählt, während sie um Worte ringt, wie ihr ein fremder Mann mit voller Wucht mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat. Sie schiebt ihren Pony zur Seite und zeigt die Beule, die sich dort bildet. Auf der Straße, ohne Vorwarnung.

Das Video von Halley Kate Mcgookin, die sonst Videos zu Outfits und Nägeln postet, wurde auf TikTok mehr als 50 Millionen Mal angesehen. Seitdem sind immer mehr junge Frauen in den Sozialen Medien aufgetaucht, die in Videos ähnliche Geschichten erzählen: Die Beulen oder Schwellungen in ihren Gesichtern sind dabei deutlich zu sehen.

Wer diese Videos sieht, bewegt sich anschließend anders und aufmerksamer durch die Öffentlichkeit. Die Orte, an denen die Vorfälle in New York passiert sind, wurden online zu einer Karte zusammengefügt und zeigen ein Gebiet, in das Frauen am besten nicht gehen, wenn es sich vermeiden lässt, oder wo Frauen extra aufpassen müssen. Frauen werden damit erfolgreich mit Gewalt aus dem öffentlichen Raum gedrängt.

Gewalt im öffentlichen Raum

Als ob Frauen nicht ohnehin schon immer eine Art unsichtbare, mentale Rüstung anlegen müssen, wenn sie das Haus verlassen. Klingt übertrieben, ist es aber leider nicht. Wer über Jahre, meist schon vor der Pubertät, im öffentlichen Raum Erfahrungen mit Gewalt macht – denn nichts anderes sind Catcalling und sexistische Beleidigungen –, der läuft nicht mehr unbeschwert die Straße entlang.

Studien über Bewegungsmuster im öffentlichen Raum kommen zu klar gegenderten Ergebnissen: Frauen laufen im Schnitt schneller als Männer und haben meistens ein klares Ziel vor Augen. Frauen weichen häufiger aus, Männer seltener, insbesondere, wenn ihnen Frauen entgegenkommen. Flanieren ist ein männliches Privileg. Alleine mit Ruhe und Neugierde durch die Straßen ziehen, ist nicht möglich, wenn man immer erwarten muss, dass einem ein Mann gezielt den Weg versperrt oder einen über mehrere Straßen hinweg verfolgt.

Auf die Frage, was Frauen tun würden, wenn Männer für 24 Stunden von der Welt verschwänden, war die häufigste Antwort: spazieren gehen. Die zweithäufigste: nachts spazieren gehen. Natürlich sind nicht alle Männer daran schuld, wenn Frauen sich in der Öffentlichkeit unwohl fühlen, aber es sind eben immer Männer schuld.

Incel-Trend mit System

Auch in Berlin war es ein Mann, der zwei Frauen, die vor den Schönhauser Allee Arkaden warteten, am Osterwochenende so hart ins Gesicht schlug, dass eine von ihnen nach eigener Aussage für ein paar Sekunden ohnmächtig wurde.

Die scheinbare Häufigkeit der Fälle in New York, dazu auch in Barcelona und Berlin, hat einige auf den Gedanken gebracht, es könnte sich um einen Trend in Incel-Foren handeln. Doch unter den Videos tauchen Kommentare von Frauen auf: Bereits vor Jahren oder Monaten hätten sie Ähnliches erlebt.

Normalerweise wird über solche Angriffe wahrscheinlich nicht öffentlich diskutiert. Die Opfer gehen davon aus, dass es ein einzelner Spinner ist, der zufällig sie erwischt hat. Ausgerechnet auf der trendfokussierten Plattform TikTok wird damit klar: Das hat System. Denn es sind in all diesen Fällen Männer, die Frauen bei einer zufälligen Begegnung ohne vorherige Interaktion mit Fausthieben ins Gesicht schlagen. Weil die Vorfälle häufig nicht angezeigt werden, fiel es bisher einfach nur nicht auf, wie systematisch Frauen auf diese Art in der Öffentlichkeit angegriffen werden.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

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