Jon Stewarts Rückkehr zur „Daily Show“: Die neuen Höhen der politischen Comedy

Satire Frecher, schärfer und sogar politischer: Jon Stewart zeigt sich bei seiner Rückkehr zur „Daily Show“ in Höchstform
Ausgabe 10/2024
Der Witz ist bei Jon Stewarts nicht nur im Text, sondern auch in der Pantomime
Der Witz ist bei Jon Stewarts nicht nur im Text, sondern auch in der Pantomime

Screenshots: The Daily Show/Youtube

Sicher, es ist eine Art Verschwörungstheorie aus dem Reich der „alternate history“, aber unter Jon-Stewart-Fans gilt eigentlich als ausgemacht, dass Trump 2016 nicht gewählt worden wäre, wenn Jon Stewart noch „seines Amtes“ gewaltet hätte. Dieses Amt bestand von 1999 bis August 2015 – Trump hatte gerade seine Kandidatur bekannt gegeben – darin, hinter dem Schreibtisch der Daily Show zu sitzen und sich über den amerikanischen Politik- und Medienbetrieb lustig zu machen. Stewart war in diesen Job so gut, dass sich die Stellung der Comedy verschob: Was eigentlich eine Parodie auf „Infotainment“ und persönlichkeitsorientierte Nachrichtenformate sein sollte, wurde selbst zur wichtigen Quelle der Information. Zwar produzierte The Daily Show keine eigenen Nachrichten, aber die Pointen von Stewart und seinem Team nahmen die Narrative des amerikanischen Fernsehens, insbesondere die der konservativen Fox-News, so präzise aufs Korn, dass daraus tatsächlich Richtigstellungen wurden, in denen sich die Bigotterien und die ideologischen Absichten selbst entlarvten. Die Satiren der Daily Show vereinfachten dabei die Verhältnisse nicht für schnelle Lacher, sondern im Gegenteil, sie zeigten sie in schillernder Komplexität. Menschen unter 30 in den USA, so hieß es damals wieder und wieder, vertrauten keiner TV-Person so sehr wie Jon Stewart.

Mit Ironie nimmt die Daily Show heute darauf Bezug, wenn es im Intro heißt: „From the most trusted journalists at Comedy Central“. Seit Stewarts Nachfolger Trevor Noah im Dezember 2022 die Show verließ, schlüpfen wechselnde Komiker und Komikerinnen in die Rolle des „Hosts“. Zum Sommer 2023 wurde Stand-up Comedian Hasan Minhaj als Nachfolger gehandelt. Minhaj war als „Korrespondent“ der Daily Show bekannt geworden, bevor er mit der Netflix-Serie Patriot Act With Hasan Minhaj Preise gewann. Doch dann erschien im September 2023 im New Yorker ein Porträt des Comedians, in dem herausgestellt wurde, er hätte für ein paar der persönlichen Geschichten, die er in seinem Stand-up-Act erzählt, die Wahrheit „frisiert“. Was für einen üblichen Komiker kein Problem gewesen wäre – muss Satire einem Fact Check standhalten? –, erwies sich für jemanden, der Jon Stewart nachfolgen sollte, als Stolperstein: Minhaj bekam den Job nicht.

Jon Stewarts Rückkehr fühlt sich an wie Heimkommen

Im Januar kam dann die überraschende Ansage, dass Jon Stewart selbst zur Daily Show zurückkehrt. Zwar nur für einen Tag in der Woche, den Montag – die Daily Show wird von Montag bis Donnerstag ausgestrahlt und ist in Deutschland auf dem Youtube-Kanal von Comedy Central empfangbar –, und nur bis zu den Präsidentschaftswahlen im November. Nun also wird aber die Lieblingslegende der Stewart-Fans auf die Probe gestellt und entgegen der üblichen Erwartung an Comebacks dieser Art zeigt sich Stewart auf eine Weise in Hochform, die geradezu mit Ehrfurcht erfüllt. Was zugegebenermaßen ein eher seltsames Gefühl ist, wenn es um Comedy geht.

„Wo war ich stehengeblieben?“, schlug er zum Auftakt die Brücke in die Vergangenheit. Die Pointe der ersten neuen Folge lief aber darauf hinaus, dass die vergangenen neun Jahre alles andere als spurlos an Stewart und an uns, seinem Publikum, vorbeigegangen sind. Und eben auch nicht an Trump und Biden. Stewart nahm die von Seiten der Demokraten mit Tabus belegte Debatte um Bidens Alter so deutlich ins Visier, dass sich einschlägige Mitstreiter hinterher über seinen „both-sidism“ beschwerten. Für andere mag es eher wie das heilsame Abreißen eines Pflasters gewesen sein: Endlich spricht’s mal jemand aus: Sich zu wünschen, dass jemand kandidiert, dessen geistige Fähigkeiten einer kritischen Befragung – und damit auch dem Witzereißen – standhalten, ist angesichts der Weltlage wirklich nicht zu viel verlangt.

Die zweite Folge war Tucker Carlsons Interview mit Putin gewidmet und fühlte sich wie ein wahres Heimkommen an: Stewart nahm mit ein paar präzis gesetzten Einschnitten Carlsons Haltung auseinander. Angefangen von dessen Behauptung, „so gehe richtiger Journalismus“ (Stewart nahm sich einen Block zum Mitschreiben zur Hand) über seine hilflose und gleichzeitig speichelleckerische Interviewführung bis hin zu der offenen Heuchelei, mit der Carlson die billigen Lebensmittel in einem Moskauer Supermarkt als Resultat der vermeintlich besseren ökonomischen Politik in Russland anpries. Die Nummer war zugleich ein gutes Beispiel, um zu beobachten, wie Stewart vorgeht. Seine Gags setzt er nicht nur durch gutes Schreiben, sondern vor allem auch durch Pantomime. Das Gesichter-Ziehen beherrscht er wie kein anderer, und indem er Empörung, Enttäuschung oder schockiertes Erstaunen mimt, gibt er widersprüchlichen und vielschichtigen Gefühlen Ausdruck, für die manches lange Essay nicht ausreichen würde. „Of course“, hatte Carlson in seinem Interview erwidert, als Putin ihm den Beginn des Zweiten Weltkriegs damit darlegte, dass Hitler die Polen ja freundlich gebeten hätte, Gdańsk zurückzugeben, diese aber abgelehnt hätten. „Of course!“ – „Natürlich!“ wiederholte Stewart und brachte Carlsons Überforderung krachend auf den Punkt.

Was Leichtes für die „Daily Show“? Israel-Palästina!

Die dritte Folge schließlich war Israel-Palästina gewidmet. Nach den ersten Folgen zur Abwechslung etwas Leichtes, kündigte Stewart an: Israel-Palästina! Er tat erschrocken, als habe er selbst noch nichts davon gewusst, um sich dann mit eingeschüchtertem Lächeln der „Disclaimer Cam“ zuzuwenden, in der wie Kleingedrucktes im Schnelldurchlauf all die Sätze eingeblendet wurden, die man heutzutage voranschiebt, wenn man über den Konflikt reden und nicht missverstanden werden möchte.

Was Stewart dann in den nächsten 20 Minuten gelang, war nichts weniger als ein Bravourstück, sowohl der Comedy als auch des Debattenfernsehens. Alle Seiten bekamen ihr Fett weg, wie man so sagt, doch nicht mit den lahmen „diese-jene“-Argumenten des „both-sidism“, sondern mit gezielten Hinweisen auf die jeweiligen Fehltritte und Halbwahrheiten, die Rolle der USA (von Stewart als Israels „emergency work contact“ beschrieben) mit eingeschlossen. Und Stewart beließ es nicht bei Witzeleien: Er machte drei konkrete Lösungsvorschläge. Zugegeben, zwei davon waren ein Witz, aber der dritte traf auf eine Weise ins Schwarze, die man sämtlichen Zeitungsredaktionen dieser Welt zum Studium übergeben möchte.

Dieser konstruktive Ernst samt der Recherchearbeit, die dazugehört, hat Stewart die letzten Jahre in seiner wenig beachteten AppleTV-Serie The Problem With Jon Stewart quasi geübt. Die Serie war nach zwei Staffeln im vergangenen Jahr eingestellt worden. Laut Hörensagen spielten dabei Stewarts Pläne zu den Themen China und Künstliche Intelligenz eine Rolle – beides für Apple gewissermaßen Tabu. Man kann also wirklich gespannt sein, was die Daily Show in den nächsten Wochen noch bringt.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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