Kosovo: Die serbische Minderheit wird durch Pristina unnötig diskriminiert

Spannungsherd Die Regierung des Kosovo suspendiert die serbische Währung. Darunter leidet die serbische Minderheit: Sie kann Renten, Sozialleistungen und Staatsgehälter nicht mehr wie gewohnt beziehen, da der Dinar vom Bankenverkehr ausgeschlossen wurde
Ausgabe 11/2024
Ein Serbe auf dem Weg zum Gottesdienst in einer orthodoxen Kirche, die in der Enklave Gračanica steht
Ein Serbe auf dem Weg zum Gottesdienst in einer orthodoxen Kirche, die in der Enklave Gračanica steht

Foto: Armend Nimani/AFP/Getty Images

Der jüngste Kosovo-Konflikt brach am 1. Februar aus, als die Regierung des Kosovo schlagartig den Zahlungsverkehr in der Währung untersagte, in der die serbische Minderheit Renten, Sozialleistungen und Staatsgehälter bezieht. Der Bankenverkehr für den serbischen Dinar ist seither suspendiert. Ich fahre in die Enklave Gračanica, mit 78 Prozent Serben und 17 Prozent Roma, Ashkali, und Balkan-Ägyptern ein serbisch-ziganischer Zufluchtsort vor den Toren der Hauptstadt Pristina. Am Morgen, im spätbyzantinisch-serbischen UNESCO-Kloster Gračanica, fasst sich die weibliche Hälfte eines zackigen serbischen Pilgerpaars tief einatmend ans Herz: „Ach, wie gut dieser Duft tut!“

„Begrabene Palatschinken“ im Café des serbischen Hospitals

Ich gehe in das von Serbien betriebene „Spital“, eine kleine Ansammlung weißer Flachbaracken und schmutzig weißer Container. Bezahlkarten sind auf umgerechnet 50 Euro begrenzt, erzählen sie, darum muss sich jetzt das gesamte Personal die Dinar-Löhne in Zentralserbien abholen oder von Verwandten schicken lassen. „Ein Zirkus“, der – so hoffen sie – dank der Brüsseler Verhandlungen bald enden wird. Das Hospital hat ein Café, das „Moskva 038“ heißt und gegen zehn Uhr mit zwei Dutzend Weißkitteln gefüllt ist, die „begrabene Palatschinken“ essen – unter Mayonnaise und Mayo-Salat beerdigte Pfannkuchen. Alle rauchen. Wenn das ihre Pause ist, währt sie ziemlich lang.

Am Abend besuche ich den berühmtesten Hotelier vom Westbalkan. Der Schweizer Ex-Diplomat Andreas Wormser wurde seinerzeit in der New York Times und anderen Leitblättern des Westens gefeiert, weil er 2013 das vielleicht einzige Hotel der Welt eröffnet hat, das von Roma gemanagt wird. Elf Jahre später betrete ich das Refugium aus weißen Linien, slowenischer wie österreichischer Kiefer und einer das blaue Auge der Propheten-Tochter Fatima darstellenden Garten-Licht-Skulptur – und lasse mir erzählen, was seither geschah. Wormser, der selbst in seinem Hotel wohnt, ist ein gutmütiger 66-Jähriger in Cord-Sakko, ein zum Agnostizismus gewechselter Zürcher Zwinglianer. Seine 15 Angestellten werden in der Landeswährung Euro bezahlt, da fast alle einen serbischen Pass haben, „mussten zwei schon nach Serbien fahren“, fürs Kindergeld wohl.

Bruch für Internationals aus Pristina im „Hotel Gračanica“

Sein „Hotel Gračanica“ läuft nicht besonders gut. Der Brunch, zu dem sonntags Internationals aus Pristina herbeipilgern, ist im Winter eingestellt. Die wechselnden Kunstausstellungen sind zurückgefahren. Der Pool ist befüllt, aber unbeheizt. Andreas Wormser gibt zu, mit seinen 15 Zimmern „fast jedes Jahr“ Verluste zu schreiben. Er ist nur deshalb nicht verschuldet, weil er sein Erbe und den auszahlbaren Schweizer Rentenanspruch ins Hotel steckt. Seine deutsche Frau „mag den Kosovo nicht“ und ist in Deutschland geblieben.

Besonders bitter für den Versöhner, der Albanisch, Serbisch und auch Romanes gelernt hat: Die zwei Roma-Freunde, die das Management übernahmen, „haben sich nicht bewährt“, in einem Fall ging darüber auch die Freundschaft drauf. „Mit den Roma ist es nicht so einfach“, sagt er, momentan beschäftigt er „nur noch vier Roma, zusätzlich zwei Praktikanten.“ Inzwischen managen eine Romni und eine Albano-Serbin das Boutique-Hotel, das mitunter mit „Swiss Management“ wirbt. Für eine gewisse Klientel klingt das besser.

Halb so teuer wie in Ungarn, weniger Opfer als in Nordirland

Am 5. September ist es ein Vierteljahrhundert, dass Wormser erstmals den Kosovo betrat, an dessen touristisches Potenzial er unverdrossen glaubt. Seine momentan einzigen Gäste testen soeben einen Versuch von Zahntourismus, halb so teuer wie in Ungarn. Die schlechten Nachrichten ärgern Wormser, der Nummerntafel-Konflikt oder das Terrorgefecht im Kloster Banjska 2023: „In Nordirland gibt es mehr Opfer von politischer Gewalt, aber vor Nordirland warnt niemand.“ Dabei habe sich das Land „wirtschaftlich entwickelt“. Wenn seine Gäste einen Tagesausflug machen, „werden sie von 20 Leuten angesprochen und von fünf zum Kaffee eingeladen“. Zudem ist der Kosovo sensationell billig.

Hinterher gehe ich noch auf einen „unbeerdigten Pfannkuchen“ sowie einen Slibowitz. Ich tue es in dem Wissen, dass die Brüsseler Verhandlungen gescheitert sind. Selbst die EU kann die Kosovo-Regierung einstweilen nicht zu Übergangsfristen in Sachen Währung bewegen. Dafür nehmen sie meine Dinar im „Gračanica“ mit Luftsprung an.

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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