Nordkosovo: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, Meister des kalkulierten Zwischenfalls

Analyse Dass Serbien seine Armee einsetzt, um den serbisch besiedelten Norden des Kosovo im Handstreich zu erobern, ist unwahrscheinlich. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass Premier Albin Kurti in Kosovo seine Truppen in Marsch setzt
Ausgabe 40/2023
Ein Mitglied der kosovarischen Polizeispezialkräfte patrouilliert Ende September nahe der Grenze zu Serbien.
Ein Mitglied der kosovarischen Polizeispezialkräfte patrouilliert Ende September nahe der Grenze zu Serbien.

Foto: Armend Nimani/Getty Images

Wer bei den häufigen Kriegsdrohungen auf dem Balkan schon nicht mehr hinhört, macht sich etwas vor: Diesmal ist es wirklich brandgefährlich. Nicht ein schlimmer Plan bedroht den Frieden im Nordkosovo und darüber hinaus im ganzen Balkan, sondern eine Eskalation, die außer Kontrolle gerät – ganz wie damals, vor mehr als 30 Jahren. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ist ein Meister des kalkulierten Zwischenfalls: vorpreschen, dann rasch zurückziehen und den Friedensstifter spielen. Dass es Vučić ist, der hinter dem Anschlag auf die kosovarische Polizei am 24. September steht, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel. Der Anführer des Profi-Kommandos ist bekannt dafür, ohne Belgrader Zustimmung keinen Schritt zu tun.

Sinn derartiger Unternehmungen, die – wie in diesem Fall – auch tödlich ausgehen können, ist es, Serbien seine prekäre Position zwischen Russland und dem Westen zu erhalten. Beide Lager sollen um Belgrad werben müssen. Nachdem Vučić im Mai Waffenlieferungen an die Ukraine zugesagt hatte, war es nun am Westen, sich provozieren zu lassen. Was das Spiel so gefährlich macht: Der Westen droht auch auf die albanische Seite seinen Zugriff zu verlieren. Dass Vučić seine Armee einsetzen und den serbisch besiedelten Norden des Kosovo im Handstreich erobern könnte, muss als unwahrscheinlich gelten. Einen militärischen Konflikt mit der NATO wird er nicht riskieren. Nicht ganz so unwahrscheinlich ist dagegen, dass Kosovo-Premier Albin Kurti Truppen schickt, um dem Spuk ein Ende zu setzen.

Der Westen oder Russland

Wenn jemand der Eskalation jetzt noch Einhalt gebieten kann, sind es die USA. Mit Drohungen allein wird das nicht gelingen. Kosovo braucht ein Angebot. Serbien hingegen gehört vor die Entscheidung gestellt: Westen oder Russland. Kommt es wirklich hart auf hart, wird das Land sich mitsamt seinem trickreichen Präsidenten für den Westen entscheiden. Das verbleibende Restrisiko zu tragen, wird man nur den Amerikanern zutrauen dürfen, nicht den Europäern. Wer es vermeiden will, nimmt das größere Risiko in Kauf: In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod.

Die EU, die sich für das Kosovo-Problem zuständig fühlt und seit vollen zwölf Jahren einen „Dialog“ zwischen Belgrad und Prishtina führt, hat grausam versagt. Ihre Vermittler stehen intern auf verlorenem Posten. Die Bereitschaft der EU-Größen, sich in der Kosovofrage zu engagieren, ist gleich null. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will mit Osteuropa-Konflikten nicht belästigt werden.

Die EU und das Kosovo

Deutschland leistet sich zwar mit Manuel Sarrazin einen kundigen Südosteuropa-Beauftragten, setzt auf politischer Ebene aber ganz andere Prioritäten. Die EU-Kommission schließlich hat den lästigen Balkan ausgerechnet einem Parteigänger von Viktor Orbán, Olivér Várhelyi, aufs Auge gedrückt – der mithilfe örtlicher Autokraten an einer kleinen ungarischen Einflusszone bastelt. Einen Durchbruch wird diese EU, die sich in 15 Jahren nicht einmal auf eine völkerrechtliche Haltung zum Kosovo einigen konnte, sicher nicht schaffen.

Druck aus Washington muss massiv sein, wenn er etwas erreichen will. Er muss nicht nur Belgrad und Prishtina gelten, auch Brüssel, Berlin und Paris. An den Europäern ist es, sich endlich zu entscheiden, was mit dem „Restbalkan“ werden soll. Die Zeit läuft. Wahltermin in den USA ist der 5. November 2024.

Von Norbert Mappes-Niediek ist zuletzt erschienen: Krieg in Europa. Der Zerfall Jugoslawiens und der überforderte Kontinent.

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