Freiheit – nur ohne Kinder?

Kolumne Statt kinderlos nun also kinderfrei: Frauen von heute verzichten freiwillig auf Kinder und sprechen dabei von Freiheit. Das ist Selbstbetrug, findet Elsa Koester
Ausgabe 11/2024
Für viele Frauen liegt das Glück nicht zwischen Sandburgen, Schnullern und Windeln: Sie bleiben kinderfrei
Für viele Frauen liegt das Glück nicht zwischen Sandburgen, Schnullern und Windeln: Sie bleiben kinderfrei

Foto: Stas Ostrikov/unsplash

Eine kinderlose Frau. Was für eine Frau haben Sie bei dieser Bezeichnung im Kopf? Ich sehe eine -lose Frau, eine Frau also, der etwas fehlt, um eine ganze Frau zu sein, und eine ganze Frau ist demnach eine Mutter. Das ist ein konservatives Frauenbild, na klar. Deshalb regt sich auch Widerstand gegen diese Mangelvorstellung: „Kinderlos? Nein, ich bin kinderfrei!“, so lautet der Schlachtruf der Frauen, die ohne Kinder leben (wollen). Es ist ein Versuch des Empowerments, der Befreiung von dem Stigma der Unvollkommenheit. Und dennoch finde ich es genauso falsch wie kinderlos, dieses neue Wort: kinderfrei. Frei wovon genau? Von Verantwortung? Von Beziehung? Von zu viel Leben?

Ich höre schon die Abers: „Aber kinderfrei zu sein, heißt doch nicht, alleine zu sein!“ Nein, ich weiß schon, wie supersozial wir alle sind, wir haben doch unsere vielen Freundinnen, und Freundschaften, hört man allerorts, sind so viel besser als Familie. Weil wir sie uns selbst gewählt haben, nicht wahr? Weil sie uns nicht abhängig voneinander machen, denn wir können sie ja jederzeit beenden, wenn sie toxisch werden. Anders als eine Mutter oder eine Tochter kann man eine Freundin ab-wählen. Ganz flexibel.

Es steckt ein kleiner Selbstbetrug in dieser Vorstellung von Freiheit. In unserer Gesellschaft, das schreibt die israelische Soziologin Eva Illouz schon 2018 in ihrem Buch Warum Liebe endet, denken wir Freiheit gern als negative Wahlfreiheit: Als Freiheit, eine Beziehung ab-wählen zu können. Wie auf Tinder: Wir wischen, wir wählen aus, wir wählen ab. Kinder sind damit das ultimative Fanal der Un-Freiheit: Wir können sie nicht wegwischen, wenn sie nervig und anstrengend werden, Kinder gehen nie weg. Ist das unfrei?

Es ist nicht so, dass ich die Enge dieser Verpflichtung für Kinder nicht kenne. Obwohl ich offiziell als kinderlos gelte, bin ich nicht kinderfrei: Als Stiefmutter bin ich verantwortlich für die Kids. Ich kann nicht plötzlich umziehen, ich könnte auch meinen Job nicht einfach kündigen, weil ich die Wohnung finanzieren muss: Meine Stiefkids brauchen diese Stabilität ihrer Zimmer, ihres Zuhauses – meine Stabilität. Und donnerstags muss es Hotdogs geben. Es MUSS.

Ich bin kinder-gebunden. Gemessen an dem Begriff der „Kinderfreiheit“ lebe ich als Stiefmutter in der schlechtesten aller Welten: Für die Konservativen bin ich kinder-los, keine vollständige Frau, und für die Progressiven bin ich kinderabhängig, wenig selbstbestimmt. Wann ich meinen Sommerurlaub mache, muss ich mit zehn Menschen abstimmen: mit meinem Partner, mit seinen zwei Kindern (ja, die reden mit), mit deren Müttern, und auch mit dem Ex-Partner einer dieser Mütter, da sie mit ihm ein weiteres Kind hat; außerdem mit drei Freundinnen, die ich in der Woche direkt nach dem Familienurlaub in Italien treffen möchte. Und mit meinem Chef.

Das Fanal der Unfreiheit? So fühlt es sich nicht an. Ich fühle mich gut aufgehoben in einem Netzwerk von Menschen, die auf mich achten und auf die ich achte. Mit einem breiten Beziehungsnetz unter mir, das mich jederzeit auffängt, wenn ich falle, balanciere ich weitaus selbstbewusster in die Welt hinaus als je zuvor. Wenn es möglich ist, eine Patchworkfamilie mit drei Kindern, zwei Vätern, zwei Müttern und einer Stiefmutter zu organisieren, wenn es möglich ist, einen Urlaub mit elf Menschen abzusprechen, sind wir unbesiegbar. Freiheit ist für mich: nicht gegeneinander, sondern miteinander. Wie also sind wir mit Kindern frei?

Super Safe Space

Elsa Koester ist Freitag-Redakteurin. Abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Tadzio Müller und Alina Saha schreibt sie die Kolumne „Super Safe Space“.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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