Als vor kurzem der Freie Wähler Hubert Aiwanger mit einem antisemitischen Flugblatt in Verbindung gebracht wurde, stand die Frage im Raum: Wie steht es wirklich um die viel gerühmte deutsche Aufarbeitung des Nationalsozialismus? Der Vize-Ministerpräsident von Bayern musste sich für Auschwitz-Witze aus seiner Schulzeit rechtfertigen. Und obwohl er die im Raum stehenden Vorwürfe nicht vollends ausräumen konnte, behielt er sein Amt.
Der Vorfall erinnert an die Rede Alexander Gaulands, in der er den Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnet hatte. Gaulands AfD tritt immer offener rechtsradikal auf und legt damit in Umfragen immer mehr zu. Wie kann das sein? Ist die deutsche Erinnerungskultur in Gefahr, weil zu viele Menschen genug von ihr haben?
Jürgen Zimmerer sagt: „Die Affäre Aiwanger-Söder verkörpert, dass wirklich viele diesen Schlussstrich wollen, und dass das hochproblematisch ist.“ Gerade hat der Historiker das Buch Erinnerungskämpfe: Neues deutsches Geschichtsbewusstsein (Reclam, 536 S., 25 €) herausgegeben, in dem er fordert: Das deutsche Geschichtsbewusstsein muss „inklusiver“ werden und auch Menschen mit Migrationshintergrund einschließen! Wie kann ein neuer, diverser Blick auf unsere Vergangenheit gelingen? Über die deutsche Erinnerungskultur spricht Jakob Augstein mit Jürgen Zimmerer.
Am Montag, dem 9. Oktober 2023, im Literaturhaus Berlin (Fasanenstraße 23 in 10719 Berlin) sowie live auf radioeins vom rbb. Tickets sind hier erhältlich.
Jürgen Zimmerer, geboren 1965 in Wörth an der Donau, ist Professor für Geschichte an der Universität Hamburg. Der Historiker und Afrikawissenschaftler forscht insbesondere zur deutschen Kolonialgeschichte und ihren Nachwirkungen in Deutschland. Er ist ein Anhänger der sogenannten „Kontinuitätsthese“: Dieser Theorie nach hat es eine Kontinuität von den kolonialen Verbrechen, die das Deutsche Reich in Südwestafrika begangen hat, zur Shoah gegeben. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Zimmerer mit dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen.
Regelmäßig trifft Jakob Augstein im Kaminzimmer des Berliner Literaturhauses einen Gast, um über Wahrheit und Erfindung in den großen Erzählungen unserer Zeit zu reden. Ungestört von der Erregungsmaschine des Internets treffen sich zwei Menschen zum Gespräch und üben sich in Fähigkeiten, die rar zu werden drohen: Fragen, zuhören, verstehen, lernen. Das Vorbild dieses Diskussionsformats sind die legendären Gespräche des Journalisten Günter Gaus, die im Fernsehen gezeigt wurden, als dieses noch schwarz-weiß war.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.