Wenn das Jobcenter das Gas abdreht oder einen obdachlos macht: Sanktionsfrei hilft

Stütze Egal, was Friedrich Merz behauptet: Wer auf Hilfe vom Staat angewiesen ist, trifft oft auf bürokratische Härte und Willkür. Der Verein Sanktionsfrei kämpft dagegen an
Ausgabe 51/2023
Wenn das Jobcenter das Gas abdreht oder einen obdachlos macht: Sanktionsfrei hilft

Illustration: CSA-Printstock/iStock

Alle Menschen haben das Recht auf eine angstfreie und menschenwürdige Grundsicherung. Doch Jobcenter sind häufig Orte der Angst und Willkür, das Bürgergeld so knapp bemessen, dass es nicht zum Leben reicht. Die Folge: Millionen Menschen leben in einem politisch gewollten Mangel. Deshalb haben wir Sanktionsfrei gegründet, einen spendenfinanzierten Solidartopf für die juristische und finanzielle Unterstützung, sowie Öffentlichkeitsarbeit rund um Erwerbslosigkeit und Armut: 2023 haben wir damit 230.000 Euro an Menschen in finanziellen Notlagen umverteilt, in 400 Fällen haben wir juristische Hilfe gegen das Vorgehen der Jobcenter geleistet. Wie kann man sich das vorstellen? Hier sind sieben Fälle, sieben kleine Rettungen.

Heim, aber kein Heim

K. hat 2 Kinder und ist alleinerziehend. Nach der Trennung vom Vater der Kinder klagt dieser sie aus der Wohnung, die seiner Familie gehört. Mit den Kindern kommt sie in einer Obdachlosenunterkunft unter. Nach Wochen intensiver Suche findet sie endlich eine Wohnung. Das Jobcenter weigert sich aber, die Miete zu übernehmen – sie könne ja weiter für nur 400 Euro monatlich mit den Kindern im Heim wohnen. Ein Umzug wird vom Jobcenter nur genehmigt, wenn die neue Unterkunft nicht teurer als die alte ist. K. zieht auf eigene Faust um und bringt sich damit in große finanzielle Not. Sanktionsfrei kann mit etwas Geld aushelfen, unser Anwalt reicht erfolgreich Eilantrag ein: Das Sozialgericht verpflichtet das Jobcenter, die Miete erstmal zu übernehmen.

Zum Schmerz noch die Qual

Das Baby von E. ist mit vier Monaten plötzlich verstorben. Über mehrere Monate gibt das Jobcenter E. keine Auskunft, ob und in welcher Höhe die Kosten der Beerdigung übernommen werden, obwohl alle Unterlagen vorliegen. Dafür sei das Sozialamt zuständig. Da es sich um ein kommunales Jobcenter handelt, ist dieses auch zuständig für so einen Fall, da bei kommunalen Einrichtungen Jobcentern und Sozialamt zusammen fallen. Sanktionsfrei ist in Vorleistung gegangen, unser Anwalt klagt und erreicht so die Kostenübernahme.

Ermessensspielraum

F. hat drei Kinder, sie ist alleinerziehend. Ihr Bürgergeld wird zum 1.12. komplett eingestellt. Der Grund? Sie hat aus einem Heizkosten-Guthaben laufende Kosten gezahlt. Sie hätte das Guthaben beim Jobcenter melden müssen, worauf es ihr vom Regelsatz abgezogen worden wäre. „Ich weiß nicht, wie ich Strom, Miete, Weihnachten unter einen Hut kriegen soll“, sagt F. Vorläufige Leistungseinstellungen sind besonders perfide. Selbst wer schnell reagiert, steht erstmal vor dem Nichts. Das ist übrigens eine so genannte „Ermessenentscheidung“. Die Person hinterm Schreibtisch könnte auch anders handeln, die Gesetze wären flexibel. Sanktionsfrei unterstützt finanziell und juristisch.

Papa ist da!

N. ist alleinerziehend. Beflissene Nachbarn haben das Jobcenter informiert, dass der Vater der Kinder angeblich bei ihr wohne. Tatsächlich lebt er in einem anderen Bundesland und ist nur manchmal ein paar Tage zu Besuch. Das Jobcenter hat die Leistungen vorläufig ab Januar komplett eingestellt. N. soll rückwirkend womöglich fast 2.000 € Mehrbedarf für Alleinerziehende zurückzahlen. Ausschlaggebend ist nicht die Meldeadresse des Vaters, sondern sein tatsächlicher Aufenthaltsort. Wie soll sie beweisen, wo er wann zwischen August und Dezember wie oft geschlafen hat? Sanktionsfrei unterstützt juristisch und wird finanziell einspringen, wenn die Einstellung der Zahlung bis Januar nicht geklärt ist.

Flüssig, aber kein Gas

L. hat mit ihrem kleinen Sohn monatelang kein warmes Wasser, da sie sich keine Flüssiggas-Lieferung leisten konnte. Die Firma will nicht in Vorleistung gehen, das Jobcenter bewilligt zwar 860 Euro, aber erst nach Lieferung. Weder Amt noch Lieferant geben nach, sodass sich die Situation hinzieht, bis eine Sozialarbeiterin Sanktionsfrei einschaltet. Wir zahlen und bekommen ein paar Wochen später das Darlehen vom Jobcenter erstattet.

Nicht todkrank genug

H. ist an HIV erkrankt, wofür es beim Bürgergeld 10 Prozent Aufschlag für gesunde, also teurere Ernährung gibt. Das wären ab Januar 56 Euro im Monat. Für das kommende Jahr wird ihm dieser Mehrbedarf trotz ärztlicher Bescheinigung einfach verwehrt. Sanktionsfrei lehnt Widerspruch ein und springt auch finanziell solange ein, bis der Fall geklärt ist. Das kann Monate dauern, wenn H. Glück hat, manchmal auch Jahre. Denn für einen Eilantrag ist die Sache nicht existenzgefährdend genug.

Helena Steinhaus ist Gründerin von Sanktionsfrei e. V.

Wir wollen doch nur die Welt retten!

Ein Krisenjahr jagt das andere: 2022 war schon hart und 2023 kein bisschen besser. Die Gegenwart mag düster sein, aber es gibt trotzdem die Möglichkeit, ihr etwas Versöhnliches abzugewinnen. Denn wo Scheitern ist, Gefahr oder gar Untergang droht, gibt es immer auch jemanden, der anpackt und versucht, einen Ausweg zu suchen.

Wir haben uns in unserer traditionell monothematischen Jahresendausgabe deshalb mit „Rettung“ beschäftigt, damit das Krisenjahr 2023 für uns alle etwas versöhnlicher endet. Es geht um Feuerwehrleute, Seenotretter:innen, mutige Aktivist:innen, Erlösung durch linke Politik, das Klima oder künstliche Intelligenz ebenso wie um das ultimative Wissen über Superhelden.

Zur gesamten Ausgabe 51/2023https://sanktionsfrei.de/

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