Herr Bohmeyer, was ist Mein Grundeinkommen überhaupt?
Mein Grundeinkommen ist ein gemeinnütziger Verein; uns geht es darum herauszufinden, wie eine Gesellschaft mit einem bedingungslosem Einkommen aussehen könnte. Einfach mal ganz praktisch, ohne irgendjemanden davon überzeugen zu wollen.
Wie sieht das denn in der Praxis aus?
Nun, das sieht so aus, dass wir regelmäßig zwölfmonatige Grundeinkommen verlosen. Es wird viel über Grundeinkommen gesprochen, aber wir denken, dass es wichtig ist, auch einfach mal praktische Erfahrungen damit zu sammeln. Wir organisieren den Leuten für ein Jahr das Grundeinkommen und wollen dann von ihren Erfahrungen damit erzählen.
Und wo kommt dieses Geld her?
Das Geld kommt über Crowdfunding zusammen. Immer wenn wir genug Geld zusammen haben, verlosen wir neue Grundeinkommen.
Wie ist es überhaupt zu dieser Idee gekommen?
Angefangen hat das vor knapp zwei Jahren. Seitdem beziehe ich selbst eine Art bedingungsloses Grundeinkommen: Ich war 2006 Mitgründer einer Internetfirma, bin dann Ende 2013 aus meiner Geschäftsführungsposition ausgestiegen und erhalte seitdem einen monatlichen Geldbetrag von knapp 1.000 EURO - das hat mein Leben radikal verändert. Und ich glaube, dass es auch bei anderen zu solchen krassen Veränderungen kommen kann.
Wie hat sich das gezeigt? Diese Veränderung?
In allem. In meinem Leben, in meiner Persönlichkeit. Ich war selbst überrascht, was das für einen Impact hatte: Ich wurde kreativer, mutiger, ein besserer Vater, habe gesünder gelebt, hatte das erste Mal Zeit, um einfach über das Leben nachzudenken.
Es geht also vor allem um dieses… persönliche Aha-Erlebnis?
Ja, ganz genau. Mir wurde überhaupt erst bewusst, welche Wirkungen die Entkopplung von Einkommen und Arbeit hat, als ich es ausprobieren konnte.
Aber geht es Ihnen auch ein Stück weit um gesellschaftlichen Wandel? Es gibt ja schließlich einige Menschen, die sich für bedingungslose Grundeinkommen aussprechen.
Naja, ja, also… gute Frage (lacht). Also, wir, die wir bei Mein Grundeinkommen aktiv sind, sind schon begeistert von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wir wollen aber niemanden überzeugen: Uns fasziniert die Idee einfach. Aber es stimmt schon: Gesellschaftlicher Wandel ist ja eigentlich nichts anderes als die Summe vieler, kleiner Aha-Erlebnisse. Wir wollen einfach sehen, was tatsächlich mit den Menschen passiert: Gehen sie tatsächlich nicht mehr arbeiten? Oder trauen sie sich vielleicht sogar neue Sachen, die sie sonst vielleicht gar nicht ausprobiert hätten?
Das ist ja tatsächlich einer der großen Kritikpunkte: Bedingungsloses Grundeinkommen würde den Menschen den Tatendrang nehmen. Wie haben die Gewinner bisher reagiert?
Unsere Erfahrungen können das bisher nicht bestätigen: Bei uns hat eigentlich nur einer der Gewinner seinen bisherigen Job im Callcenter aufgegeben, aber nur deshalb, weil Er ohnehin sehr unzufrieden damit war. Stattdessen macht er jetzt das, was er eigentlich machen wollte, nämlich Pädagogik studieren. Aber es gab auch kurzfristige Bedürfnisbefriedigung in der Form, dass Geld zu verfeinern - und das ist auch ok, da gibt es kein verkehrt oder richtig.
Und was berichten die Gewinner sonst?
Viele erzählen uns, dass sie viel gesünder leben und besser schlafen. Alle engagieren sich gesellschaftlich oder Spenden mehr als vorher, geben also an die Gemeinschaft zurück.
Fühlten sich die Gewinner vielleicht dazu verpflichtet, der Gesellschaft etwas zurückzugeben?
Ob sie sich dazu verpflichtet fühlen, kann ich nicht sagen, aber die meisten, von denen wir hörten, taten es. Die meisten Menschen sind bereit für ihre Gesellschaft was zu tun, weil sie Sinn darin sehen. Das ist ohnehin ein verbreiteter Irrtum
Was?
Nun, etwa 40 % der Arbeit ist Erwerbsarbeit, ca. 60 % sind ehrenamtliche, unbezahlte Tätigkeit. Unsere aktuelle, neoliberale Gesellschaft baut auf unmenschlichen Vorstellungen auf. Das sieht man schon an der Frage: „Wenn alle Grundeinkommen bekommen, wer soll dann die Toiletten putzen?“ An dieser Frage zeigt sich das Falsche an diesem System: Es baut auf der Vorstellung auf, dass Leute diese Art von Arbeit für Dumpingpreise übernehmen müssen, weil sie keine andere Wahl haben und ja überleben müssen. Wenn man ehrlich ist, klingt das nach Sklaverei.
Meinen Sie, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zu einer demokratischeren Gesellschaft führen könnte?
Auf jeden Fall, das meint ja auch Katja Kipping, wenn sie von dem Grundeinkommen als eine „Demokratiepauschale“ spricht. Man kann dann sicher sein, dass Leute wirkliche etwas freiwillig machen. Und freiwillig meint in der Regel aus Überzeugung. Es herrscht ja gar keine materielle Freiheit, wie es uns der Neoliberalismus glauben lassen will. Jeder muss sich zu Markte tragen, ob er will oder nicht. Klassisches hierarchisches Angstdenken in der Gesellschaft: „Füg dich oder du sitzt auf der Straße“
Aber bedarf Arbeitsteilung nicht auch ein bisschen Hierarchie?
Vielleicht, aber das heißt ja nicht, dass man die Leute ihrer Freiheit berauben kann. An dem Punkt setzt auch unser aktuelles Projekt „Mein bedingungsloses Praktikum“ an.
Worum geht es dabei?
Wir haben jetzt seit einiger Zeit eine Praktikantin bei Mein Grundeinkommen in einem bedingungslosen Praktikum. Anders gesagt: Sie bekommt Geld, aber ob sie dafür arbeitet, ist komplett ihr überlassen.
Und das funktioniert?
Ja, und zwar sehr gut. Am Anfang war es sicher etwas ungewohnt für sie: Unsere Arbeitswelt verlangt ja kaum Selbstverantwortung von den Angestellten. Man kriegt Aufgaben und die erledigt man. Aber sie hat sich schnell eingearbeitet und ist auch viel selbstbewusster und integrierter als normale Praktikanten, denke ich.
Wie hat sich Bedingungslosigkeit auf die Hierarchie ausgewirkt?
Naja, wir wollen bei Mein Grundeinkommen ja kein hierarchisches Denken fördern, aber gut: Als Gründer wird man schon in so einer Art „Führungsposition“ wahrgenommen. Und da gab es ordentlich Kritik.
Seitens der Praktikantin?
Ja. Sehr viel Kritik, aber vor allem auch sehr gute Kritik. Anregungen, die ich in einem normalen Arbeitsverhältnis so nicht gehört hätte. Und ich finde das großartig: Sie kann sagen, was sie stört, ohne Angst haben zu müssen. Zum Beispiel gab es ein Mal sehr viel Stress im Büro und da sagte sie, dass sie am nächsten Tag nicht käme. In einem „normalen“ Unternehmen hätte man da als Chef gedroht oder ein Attest verlangt. Aber wir haben uns dann hingesetzt und das Ganze am runden Tisch aufgeklärt, so dass alle Seiten glücklich waren. Und da zeigt es sich auch: Ein Grundeinkommen schafft demokratische Augenhöhe.
Vielen Dank für das Gespräch!
„Ein Grundeinkommen schafft Augenhöhe“

Foto: Jan Rebuschat
Geschrieben von
Jan Rebuschat

Kommentare 5
Als verhaltenspsychologisches Experiment ist das verloste bedingungslose Grundeinkommen auf bedingte Zeit sicherlich eine gute Idee; die eigentliche Idee des BGE wird damit aber verfehlt, weil es keinen Rechtsanspruch darauf gibt.
Darum informiere ich hier über das
Netzwerk Grundeinkommen
und die Idee des BGE
Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll:
♠ die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,
♣ einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie
♥ ohne Bedürftigkeitsprüfung und
♦ ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden.
Vielen Dank für den Artikel. Ein Grundeinkommen schafft nicht nur Augenhöhe, sondern ist Grundbestandteil einer gelebten Demokratie. Schade, dass diese Gedankenansätze nur bei Katja Kipping oder bei einigen Losgelösten der Grünen vorhanden sind. Nur bei der Piratenpartei wurde das BGE 2012 bereits im Grundsatzprogramm verankert.
http://wiki.piratenpartei.de/Bedingungsloses_Grundeinkommen
Um Europa in ein soziales Fahrwasser zu bekommen, werden wir sogar ein UBI benötigen.
Auch die Katholische Arbeitnehmerbewegung KAB hat bereits Ende der 90iger Jahre das BGE beschlossen und fertig vorgerechnet. Leider wird das von den C-Parteien (CSU) gern immer wieder verdrängt.
https://www.kab.de/themen/sozialstaat/grundeinkommen/woche-des-grundeinkommens/
Hier vertritt man übrigens die Ansicht, dass das BGE mittlerweile zum Menschsein gehört.
Für uns gehört das BGE zweifellos zum «Artikel 2: Freie Entfaltung der Persönlichkeit» und damit ins GG oder in eine zukünftige Verfassung. Nicht umsonst wird dieser Artikel auch als Artikel der "Allgemeinen Handlungsfreiheit" bezeichnet. Nur wer unabhängig ist, ist wirklich frei und besitzt Bürgerrechte. Diese beinhalten aktive und passive Wahlrechte, die man nur wahrnehmen, wenn man es sich leisten kann. Wer sich einmal mit der Zusammensetzung des Hartz-IV-Satzes beschäftigt, wird schnell feststellen, dass in den Einzelbeträgen der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (EVS) kein einziger Cent enthalten ist, der für die politische Bildung oder dessen Betätigung zu verwenden wäre. Würde man dieses der Kategorie "sonstige Freizeit- und Kulturdienstleistungen" zuordnen wollen, stünde hierfür ein monatlicher Betrag in Höhe von € 1,48 zur Verfügung. Dabei ist zu erwähnen, dass die EVS-Posten sich aus den Ausgaben des normalen Verbrauchers errechnen. Mit anderen Worten: Die arbeitende Bevölkerung, die trotz Arbeit kein Geld hat und sich nichts leisten kann, bildet die Grundlage für Hartz-IV. Somit ist politische Teilhabe für niemanden vorgesehen. Daher sitzen ja auch nur Juristen und Beamte in den Parlamenten. Und so schließt sich der Kreis der Armut und der gesellschaftspolitisch Abgehängten. Es wird Zeit, dass wir endlich die Zeiten des Viktorianischen Zeitalters hinter uns lassen und uns endgültig vom Geiste Max Webers befreien.
Wer glaubt, dass wir bei einem BGE uns alle in der Hängematte wiederfinden, vertritt ein eigenartiges Menschenbild. Millionen Bundesbürger sind zur Zeit in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit aktiv. Ist es zumutbar, dass diese nun zwischen ihrem Job (Existenzsicherung) und Hilfe am Menschen aufgerieben werden? Auf etliche Beschäftigte würde die Wirtschaft freiwillig verzichten, wenn sie ohne die von der BA ausgeschütteten Subventionen (ESF, EGZ) auskommen müsste. Könnte man diese Zuschüsse an Unternehmen nicht sogar auch als eine Art 'existenzsicherndes Grundeinkommen" bezeichnen? Das BGE hingegen käme bei den Menschen direkt an und nicht bei Institutionen. Von einem BGE würde also die Gesellschaft im Ganzen profitieren. (Gemeinwohlmatrix)
Ob ein Grundeinkommen positiven oder negativen gesellschaftlichen Wandel auszulösen vermag, liegt einzig an der Art wie es finanziert wird. Das ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein ideologisches Problem.
In einer kapitalistischen Ökonomie kann das Grundeinkommen nur durch besteuertes Wachstum finanziert werden. Der dazu notwenige politische Wille ist nicht vorhanden. Das Motiv wäre nämlich eine Freistellung des Einzelnen von den entmenschlichten kapitalistischen Produktionsprozessen, die aus Profitmotiven und aus Gründen der Rentabilität ohnehin immer mehr automatisiert wurden und werden und menschliche Arbeitskraft obsolet werden lassen - auch im Servicebereich, wo sie noch die meisten Menschen beschäftigt sind.
Diese Freistellung würde wahrscheinlich zu gesellschaftlichen Prozessen führen, die den Kapitalinteressen entgegenwirken und auf lange Sicht die kapitalistischen Profite und deren Herrschaft negieren würden. Nicht, das ich da was gegen hätte, aber die kapitalorientierte Herrschaftselite wird nicht ohne weiteres ihre Macht in Gefahr bringen wollen, die zum großen Teil aus der strukturellen wie existentiellen Abhängigkeit des Einzelnen von den Produktionsprozessen besteht.
In einer Situation von anhaltend schrumpfender, kapitalistischer Wirtschaft, in der ohnehin schon ein Machtverlust und verstärkter Konkurrenzkampf der ökonomischen Elite wahrscheinlicher wird udn real ist, ist die politische Motivation zu einem Grundeinkommen entsprechend noch geringer.
In einer Situation , in der das fehlende Wachstum immer mehr auf rein physikalischen Ursachen basiert, und nicht etwa auf politischen oder ökonomischen, das Wachtum also auch auf lange Sicht nicht wiederkehren wird , ist eine finanziereung des grundeikommens duch besteuertes Wachtum ohne hin nicht mehr möglich.
Jetzt könnte man naiver weise trotzdem meinen, dass gerade das Grundeinkommen als Umverteilungsmaßnahme nicht nur gerecht ist, sondern sich im kapitalistischen Sinne zumindest am Binnenmarkt auch wachstumsfördernd auswirken könnte.
Geht man davon aus, dass es finanziell praktisch gar kein Problem sein kann ein Grundeinkommen auszuprobieren, wenn finazpolitisch andererseits hunderte von Milliarden für Bailouts von Banken möglich sind, wird klar , dass der politische Wille eindeutige Zeichen gesetzt hat und eine weitere Debatte zum Grundeinkommen an sich überflüssig ist, solange keine der bürgerlichen Parteien diesen Punkt zur politischen Realität werden lassen will, besser: Solange es keine Partei gibt, die dieses Thema als Regierungsprogramm verpflichtend umsetzen will.
Gäbe es diese Partei aber, dann würde sich mit ihr wahrscheinlich auch das Problem der nicht nachhaltigen kapitalistischen Ökonomie inklusive ihres gesamtgesellschaftlich ineffizienten Geldsystems und all dessen sozialen und negativen ökonomisch-ökologischen Folgen in den Griff bekommen lassen.
Dann wiederum wäre ein Grundeinkommen entweder etwas ganz anderes oder es wäre überflüssig.
In diesem Kontext ist das Grundeinkommen allenfalls ein Weg den Diskurs zum gesellschaftlichen Wandel am Leben zu erhalten. Als eine aktuelle alleinstehende Lösung taugt es nichts, sondern wird im Gegenteil wohlmöglich zu einer irrealen Hinhaltedebatte , während sich die ökonomische Realität für die Meisten weiter verschlechtert.
Die nützlichen Idioten und Idiotinnen der Bourgeoisie und Aktionäre! Im Kapitalismus bzw. "Soz. Marktwirtschaft" der Finanz- und Monopolbourgeoisie, der Erbschafts-Millionäre und persönlich leistungslosen Quandtschen Milliardäre, der Dividenden-Vorstände und Aktionäre, der Spekulaten und deren gesellschaftspolitischen Administration, da gibt es kein "bedingungsloses Grundeinkommen"! Diese Forderung dient ausschließlich dem Kapital und der Ablenkung vom Klassenkampf, der politischen Ablenkung vom Kampf für die Überwindung und Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen!
Es bedarf eines sozialrevolutionären Klassenkampfes von unten, für die Überführung der Produktions- und Reproduktionsmittel in Gemeineigentum aller GesellschaftsmitgliederInnen: unabhängig von deeren Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe!
Gleichheit und Emanzipation gibt es nur auf der Grundlage des sozial-ökonomisch-ökologischen Gemeineigentums an den Produktionsmitteln (einschließlich Grund und Boden, Luft und Wasser, Rohstoffen und Bodenschätzen etc.)!
Sehr gut beobachtet, ich stimme einfach nur zu.