„Ein Grundeinkommen schafft Augenhöhe“

Gesellschaft Der Verein "Mein Grundeinkommen" sammelt per Crowdfunding Geld für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Ein Gespräch mit dem Gründer Michael Bohmeyer.

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„Ein Grundeinkommen schafft Augenhöhe“

Foto: Jan Rebuschat

Herr Bohmeyer, was ist Mein Grundeinkommen überhaupt?
Mein Grundeinkommen ist ein gemeinnütziger Verein; uns geht es darum herauszufinden, wie eine Gesellschaft mit einem bedingungslosem Einkommen aussehen könnte. Einfach mal ganz praktisch, ohne irgendjemanden davon überzeugen zu wollen.

Wie sieht das denn in der Praxis aus?
Nun, das sieht so aus, dass wir regelmäßig zwölfmonatige Grundeinkommen verlosen. Es wird viel über Grundeinkommen gesprochen, aber wir denken, dass es wichtig ist, auch einfach mal praktische Erfahrungen damit zu sammeln. Wir organisieren den Leuten für ein Jahr das Grundeinkommen und wollen dann von ihren Erfahrungen damit erzählen.

Und wo kommt dieses Geld her?
Das Geld kommt über Crowdfunding zusammen. Immer wenn wir genug Geld zusammen haben, verlosen wir neue Grundeinkommen.

Wie ist es überhaupt zu dieser Idee gekommen?
Angefangen hat das vor knapp zwei Jahren. Seitdem beziehe ich selbst eine Art bedingungsloses Grundeinkommen: Ich war 2006 Mitgründer einer Internetfirma, bin dann Ende 2013 aus meiner Geschäftsführungsposition ausgestiegen und erhalte seitdem einen monatlichen Geldbetrag von knapp 1.000 EURO - das hat mein Leben radikal verändert. Und ich glaube, dass es auch bei anderen zu solchen krassen Veränderungen kommen kann.

Wie hat sich das gezeigt? Diese Veränderung?
In allem. In meinem Leben, in meiner Persönlichkeit. Ich war selbst überrascht, was das für einen Impact hatte: Ich wurde kreativer, mutiger, ein besserer Vater, habe gesünder gelebt, hatte das erste Mal Zeit, um einfach über das Leben nachzudenken.

Es geht also vor allem um dieses… persönliche Aha-Erlebnis?
Ja, ganz genau. Mir wurde überhaupt erst bewusst, welche Wirkungen die Entkopplung von Einkommen und Arbeit hat, als ich es ausprobieren konnte.

Aber geht es Ihnen auch ein Stück weit um gesellschaftlichen Wandel? Es gibt ja schließlich einige Menschen, die sich für bedingungslose Grundeinkommen aussprechen.
Naja, ja, also… gute Frage (lacht). Also, wir, die wir bei Mein Grundeinkommen aktiv sind, sind schon begeistert von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wir wollen aber niemanden überzeugen: Uns fasziniert die Idee einfach. Aber es stimmt schon: Gesellschaftlicher Wandel ist ja eigentlich nichts anderes als die Summe vieler, kleiner Aha-Erlebnisse. Wir wollen einfach sehen, was tatsächlich mit den Menschen passiert: Gehen sie tatsächlich nicht mehr arbeiten? Oder trauen sie sich vielleicht sogar neue Sachen, die sie sonst vielleicht gar nicht ausprobiert hätten?

Das ist ja tatsächlich einer der großen Kritikpunkte: Bedingungsloses Grundeinkommen würde den Menschen den Tatendrang nehmen. Wie haben die Gewinner bisher reagiert?
Unsere Erfahrungen können das bisher nicht bestätigen: Bei uns hat eigentlich nur einer der Gewinner seinen bisherigen Job im Callcenter aufgegeben, aber nur deshalb, weil Er ohnehin sehr unzufrieden damit war. Stattdessen macht er jetzt das, was er eigentlich machen wollte, nämlich Pädagogik studieren. Aber es gab auch kurzfristige Bedürfnisbefriedigung in der Form, dass Geld zu verfeinern - und das ist auch ok, da gibt es kein verkehrt oder richtig.

Und was berichten die Gewinner sonst?
Viele erzählen uns, dass sie viel gesünder leben und besser schlafen. Alle engagieren sich gesellschaftlich oder Spenden mehr als vorher, geben also an die Gemeinschaft zurück.

Fühlten sich die Gewinner vielleicht dazu verpflichtet, der Gesellschaft etwas zurückzugeben?
Ob sie sich dazu verpflichtet fühlen, kann ich nicht sagen, aber die meisten, von denen wir hörten, taten es. Die meisten Menschen sind bereit für ihre Gesellschaft was zu tun, weil sie Sinn darin sehen. Das ist ohnehin ein verbreiteter Irrtum

Was?
Nun, etwa 40 % der Arbeit ist Erwerbsarbeit, ca. 60 % sind ehrenamtliche, unbezahlte Tätigkeit. Unsere aktuelle, neoliberale Gesellschaft baut auf unmenschlichen Vorstellungen auf. Das sieht man schon an der Frage: „Wenn alle Grundeinkommen bekommen, wer soll dann die Toiletten putzen?“ An dieser Frage zeigt sich das Falsche an diesem System: Es baut auf der Vorstellung auf, dass Leute diese Art von Arbeit für Dumpingpreise übernehmen müssen, weil sie keine andere Wahl haben und ja überleben müssen. Wenn man ehrlich ist, klingt das nach Sklaverei.

Meinen Sie, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zu einer demokratischeren Gesellschaft führen könnte?
Auf jeden Fall, das meint ja auch Katja Kipping, wenn sie von dem Grundeinkommen als eine „Demokratiepauschale“ spricht. Man kann dann sicher sein, dass Leute wirkliche etwas freiwillig machen. Und freiwillig meint in der Regel aus Überzeugung. Es herrscht ja gar keine materielle Freiheit, wie es uns der Neoliberalismus glauben lassen will. Jeder muss sich zu Markte tragen, ob er will oder nicht. Klassisches hierarchisches Angstdenken in der Gesellschaft: „Füg dich oder du sitzt auf der Straße“

Aber bedarf Arbeitsteilung nicht auch ein bisschen Hierarchie?
Vielleicht, aber das heißt ja nicht, dass man die Leute ihrer Freiheit berauben kann. An dem Punkt setzt auch unser aktuelles Projekt „Mein bedingungsloses Praktikum“ an.

Worum geht es dabei?
Wir haben jetzt seit einiger Zeit eine Praktikantin bei Mein Grundeinkommen in einem bedingungslosen Praktikum. Anders gesagt: Sie bekommt Geld, aber ob sie dafür arbeitet, ist komplett ihr überlassen.

Und das funktioniert?
Ja, und zwar sehr gut. Am Anfang war es sicher etwas ungewohnt für sie: Unsere Arbeitswelt verlangt ja kaum Selbstverantwortung von den Angestellten. Man kriegt Aufgaben und die erledigt man. Aber sie hat sich schnell eingearbeitet und ist auch viel selbstbewusster und integrierter als normale Praktikanten, denke ich.

Wie hat sich Bedingungslosigkeit auf die Hierarchie ausgewirkt?
Naja, wir wollen bei Mein Grundeinkommen ja kein hierarchisches Denken fördern, aber gut: Als Gründer wird man schon in so einer Art „Führungsposition“ wahrgenommen. Und da gab es ordentlich Kritik.

Seitens der Praktikantin?
Ja. Sehr viel Kritik, aber vor allem auch sehr gute Kritik. Anregungen, die ich in einem normalen Arbeitsverhältnis so nicht gehört hätte. Und ich finde das großartig: Sie kann sagen, was sie stört, ohne Angst haben zu müssen. Zum Beispiel gab es ein Mal sehr viel Stress im Büro und da sagte sie, dass sie am nächsten Tag nicht käme. In einem „normalen“ Unternehmen hätte man da als Chef gedroht oder ein Attest verlangt. Aber wir haben uns dann hingesetzt und das Ganze am runden Tisch aufgeklärt, so dass alle Seiten glücklich waren. Und da zeigt es sich auch: Ein Grundeinkommen schafft demokratische Augenhöhe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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