Kein Vergessen

Rechtsextremismus Das Projekt Kein Vergessen erinnert an die Opfer rechtsextremer Gewalt. Ein Gespräch mit dem Betreiber des Projekts Thomas Billstein

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"Rassismus tötet" – Ein Plakat mit dieser Feststellung war für Thomas Billstein Anlass, seine Dokumentationsarbeit zu beginnen
"Rassismus tötet" – Ein Plakat mit dieser Feststellung war für Thomas Billstein Anlass, seine Dokumentationsarbeit zu beginnen

Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Herr Billstein*, Sie betreuen das Projekt Kein Vergessen auf Twitter und Facebook. Seit wann gibt es Kein Vergessen?
Das Projekt ist als twitter-Account im August 2015 entstanden. Ein gutes Jahr später habe ich dann auch einen facebook-Account eingerichtet. Aktuell plane ich eine kleine Webseite mit einer Opferübersicht. Im besten Falle etwas detaillierter, also umfassender als nur die ein, zwei Sätze wie bei den Gedenkmeldungen auf Twitter.

Eingebetteter Medieninhalt

Gab es irgendein Schlüsselerlebnis, welches zur Idee für Kein Vergessen geführt hat?
Ich hatte bereits in meiner Jugend die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock mitverfolgt und auch damals gab es natürlich schon antifaschistischen Gegenwind, wenn auch leider recht wenig. Ich erinnere mich an ein Plakat mit der Aufschrift "Rassimus tötet", auf dem eine Liste von Opfern rechter Gewalt stand – und ich war schon damals über die hohe Anzahl der Todesfälle entsetzt. Als mir das Plakat später in Erinnerung kam, habe ich angefangen die mittlerweile noch zahlreicheren Fälle aufzuspüren und wollte sie gerne aus der Vergessenheit holen.

Wenn Sie "aus der Vergessenheit holen" sagen, meinen Sie, dass zu wenig über Opfer rechter Gewalt gesprochen wird?
Das ist recht unterschiedlich. Es gibt durchaus Opfer, denen angemessen gedacht wird. Auch von staatlicher Seite. Andererseits fallen viele Fälle aus der offiziellen Statistik raus und werden nicht im Kontext rechtsextremer oder rassistischer Gewalt gesehen. Das ändert sich oft nur, wenn private Initiativen oder Angehörige dagegen ankämpfen. Ich möchte mit den Gedenkmeldungen nicht nur den vielen unbekannten Opfern einen Raum bieten, sondern auch die Alltäglichkeit rechter Gewalt aufzeigen.

Wie gehen Sie denn bei der Arbeit vor? Gibt es da irgendwelche bestimmten Quellen, die Ihnen dabei helfen?
Es gibt mittlerweile u.a. einen sehr umfangreichen Eintrag auf Wikipedia. Allerdings ist dieser auch in Teilen noch mit Fehlern behaftet und ich musste nach eigener Recherche über örtliche Medienarchive beispielsweise einen Fall austragen lassen. Dann gibt es auch noch andere Quellen und Initiativen. Bekannt sind u.a. die Initiative der Amadeu Antonio Stiftung oder auch das Projekt "Opfer Rechter Gewalt seit 1990"

Es muss hart sein, ständig solche Gewaltfälle aufzuarbeiten.
Ja, jeder Fall ist erschütternd: Menschen wurden aufgrund ihrer Herkunft, Äußerlichkeiten oder ihrer persönlichen Lebenseinstellung ermordet. Nochmal besonders entsetzend sind natürlich Fälle mit besonderer Skrupellosigkeit oder wenn Täter nach dem begangenen Mord feiern gehen oder aber wenn Umstehende trotz eindeutiger Lebensgefahr für das Opfer nicht eingreifen.

Wie fallen die Reaktionen auf das Projekt aus?
Es gibt sehr viel positiven Zuspruch, ich bin von der schnell wachsenden Followeranzahl anfänglich überrascht gewesen. An einigen Tagen kommt es sogar vor, dass der Account zu den Top 3 Twitter-Accounts in Deutschland gehört, also gemessen an Reichweite und Interaktion.

Irgendwie bitter.
Ja, da würde man sich gerne drüber freuen, aber viel besser wäre es natürlich, wenn kein einziger Tweet jemals hätte geschrieben werden müssen.

Und wie haben öffentliche Stellen reagiert?
Von öffentlichen Stellen, wie eng man den Begriff auch definieren mag, gab es bisher keine Reaktionen. Allerdings gibt es mittlerweile auch viele Prominente, die @OpferNaziGewalt folgen und/oder gelegentlich Gedenkmeldungen retweeten. Dazu gehören beispielsweise Armin Laschet, Bodo Ramelow oder Udo Lindenberg.

Gibt es denn auch Kritik? Online tummeln sich ja durchaus auch viele Rechtsextreme...
Bisher kommt aus der rechten Ecke wenig und das kann gerne auch so bleiben. Gelegentlich folgen relativierende Antworten auf die Gedenkpostings, die dank der Block-Funktion aber schnell untergehen. Zudem wurde seit Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetz versucht, einige Gedenktweets des Accounts zu melden.

Echt?
Ja, aber natürlich ohne Erfolg oder weitere Auswirkungen auf das Twitterkonto.

Gibt es schon einen Termin für die Veröffentlichung Ihrer Website?
Ich peile Mitte des Jahres an, bin aber gerade leider beruflich recht eingespannt und komme wenig dazu mich um einen Ausbau des Projektes zu kümmern.

Vielen Dank für das Gespräch.

*Thomas Billstein ist das Pseudonym des Betreibers von Kein Vergessen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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