Westmedien: Niederlage im Informationskrieg?

Tritt in den Hintern Der Westen zieht medial und propagandistisch weltweit zunehmend den Kürzeren gegenüber China und Russland - das jedenfalls behaupten viele Programmverantwortliche

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Presseschau bei der "Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes"
Presseschau bei der "Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes"

Foto: Feng Li/Getty Images

John Dennehy von der Zeitung "The National" aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, sah im März vor allem die Symbolik: aus dem prächtigen Bush House im Londoner Strand habe der BBC World Service, der britische Auslandsrundfunk, in das sehr viel profanere Broadcasting House umziehen müssen - nach etwa siebzig Jahren. Und zwei Jahre später wurde die Finanzierung des World Service umgestellt: aus der traditionellen Zuwendung des Auswärtigen Amtes wurde eine Zuteilung aus den Gebühreneinnahmen der BBC.

John Horrocks, früherer Direktor des BBC World Service, warnte laut Dennehys Artikel schon im Dezember, der Westen könne den Informationskrieg mit Moskau durchaus auch verlieren.

Dabei sei die BBC als Nachrichtenquelle durchaus gefragt, so der "Guardian," ebenfalls im März, und zitierte Zahlen, denen zufolge die Zahl der Hörer des World Service sich in Russland verdoppelt und in der Ukraine gar verdreifacht habe.

Kurz: was der BBC fehle, seien die finanziellen Mittel, um in der weltweiten Medienkonkurrenz mitzuhalten, so der Tenor der BBC und der ihr gewogenen Berichterstatter.

Ähnlich argumentieren andere Westmedien und ihre Unterstützer. Man habe während seiner Amtszeit bei sinkender finanzieller Ausstattung die Zahl der Hörer, Leser und Zuschauer der hauseigenen Medienplattformen um 49 Millionen Menschen erhöhen können, so der scheidende VoA-Direktor David Ensor in einem Interview mit "Foxnews" am 14. April.

Und auch Peter Limbourg, der Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle in Berlin und Bonn, wusste im November vorigen Jahren in der ZDF-Sendung "Berlin Direkt" mit Statistiken zu gefallen: die gestärkten Russland- und Ukrainedienste der DW hätten die Zahl ihrer Nutzer verdrei- oder vervierfacht, so Limbourg. Mit den deutschen Werten für die wir stehen müsse man sich dem Wettbewerb z. B. mit den russischen Auslandsmedien stellen, auch wenn das ziemlich teuer ist.

Immerhin: Limbourg hatte in den Monaten zuvor bereits eine Budgeterhöhung für die DW zur Kenntnis nehmen dürfen: um 10 Millionen Euro erhöhte der Bundestag die Zuwendungen, von bis dahin etwa 270 auf etwa 280 Millionen Euro, nach einem Beitrag von 272 Mio. Euro, der seit Jahren stabil ("Bonner Generalanzeiger") gewesen war. Und im Januar gab das Auswärtige Amt bekannt, mit einer nicht näher genannten Summe ein gemeinsames Projekt der DW und der Nachrichtenagentur dpa fördern zu wollen.

Auf derart gute Nachrichten müssen der BBC World Service und die VoA weiter warten, nicht zuletzt vermutlich aufgrund öffentlicher Haushalte, die weit weniger freundlich aussehen als die der Bundesrepublik.

Darüber, warum David Ensor vorzeitig als Chef der VoA zurücktrat, lässt sich nur spekulieren. Mit dem Argument bei Foxnews, es sei "einfach Zeit für etwas Neues" gewesen, machte sich Ensor jedenfalls kaum Mühe, Vermutungen über etwaige Frustrationen entgegenzutreten.

"Uns wird in den Hintern getreten", zitierte die "New York Times" am 15. April Glen Howard, den Präsidenten des Thinktanks "Jamestown Foundation". "Länder wie Russland rennen Kreise um uns, und unser Auslandssendungen sind durcheinander."

Während sich in der deutschen Debatte über den nationalen Auslandssender vor allem die Kulturstaatsministerin und Abgeordnete der Bündnisgrünen und der Linkspartei vergleichsweise wahrnehmbar für die Öffentlichkeit engagierten, zieht die Debatte über Sinn und Aufgaben der Voice of America oder von Sendern wie "Radio Free Asia" in den USA deutlich weitere Kreise. Neben Politikern und Thinktanks macht sich dort auch ein Blog früherer und aktueller VoA-Mitarbeiter namens BBG-Watch einen Kopf über die Zukunft der Auslandsprogramme.

Bei der VoA allerdings stößt das Engagement der hausinternen oder ehemals hausinternen Dissidenten auf wenig Gegenliebe. Noch-Direktor Ensor gingen die Blogger offenbar derart auf die Nerven, dass er im Dezember begeistert auf die Anregung eines Mitarbeiters reagierte, die BBG-Watch-Akteure in einem "Sketch" auf einer Mitarbeiterparty durch den Kakao zu ziehen. "BBG Watch" gab sich etwas erstaunt darüber, dass man sich bei der VoA lieber über einen unabhängigen Watch Dog Blog lustig mache als beispielsweise über Vladimir Putin, iranische Ayatollahs, die ISIS oder andere Menschen oder Organisationen, die Journalisten verfolgen und die freie Presse unterminieren.

So schwer wie mit inländischen Kritikern tut sich die VoA offenbar auch mit Kritik aus dem Ausland - was häufig gleichbedeutend ist mit Kritik ausländischer Medien.

Laut der chinesischen "Global Times", einer an ein ausländisches Publikum gerichtete englischsprachige Zeitung, sendete das chinesische Inlandsfernsehen am 16. Mai 2013 einen Dokumentarfilm, dem zufolge die "Dalai-Lama-Clique" Selbstverbrennungen von Tibetern in Tibet und angrenzenden Provinzen Einfluss gehabt habe. Helfershelfer der "Clique" seien dabei die VoA und "Radio Free Asia" gewesen.

Der Propagandastreit über den Dokumentarfilm hatte allerdings schon über zwei Monate zuvor begonnen.

Am 13. März erzählte die Website "China Tibet Online" die Geschichte von der VoA als 'Tor zur Hölle' für die Selbstverbrenner. Vermutlich verwendeten die Autoren dabei die gleichen oder ähnliche Befunde wie die TV-Dokumentation, allerdings ohne diese dabei als Quelle zu nennen. Am 15. März veröffentlichte "China Tibet Online" die Story auch in Englisch, allerdings stark eingedampft auf die angebliche Rolle der VoA, und unter Verzicht auf darüber hinausgehende Vorwürfe in der englischen chinesischen Fassung.

Noch zuvor hatte der chinesische Dienst der VoA einen Protest des Senders gegen den Dokumentarfilm veröffentlicht - am 6. oder 7. Februar, über drei Monate, bevor dieser (jedenfalls laut "Global Times") überhaupt ausgestrahlt wurde. Aus Dharamsala und Oslo sekundierte der tibetische Exilsender "Voice of Tibet".

Das sind keine sonderlich großen "Siege" der chinesischen Propaganda. Aber damit, dass die VoA sich damit überhaupt auseinandersetzen musste, liegt bereits ein Punktgewinn der chinesischen Medien - wer unterirdisch anfängt, kann eigentlich nur an Höhe gewinnen.

Der angeblichen Vorwurf der TV-Dokumentation, die VoA habe nicht nur Heldenepen über die sich selbst verbrennenden tibetischen Protestierenden geschrieben, sondern dem Dalai Lama außerdem die Rundfunkübertragung "geheimer Nummern" zur Erteilung von Anweisungen an Akteure in Tibet und angrenzenden Regionen ermöglicht, findet sich in chinesischen Online-Publikationen nicht wieder.

Den Vorwurf des Vorwurfs machte der chinesische Dienst der VoA dem chinesischen Fernsehen, bzw. dem Dokumentarfilm. Der im Mai gesendete Film "Handbuch zur Selbstverbrennung" enthält die Behauptung, die VoA habe zahlenverschlüsselte Botschaften gesendet, in seiner bei Youtube geposteten Fassung jedenfalls nicht.

Mag sein, dass die Geheimnummerngeschichte in der Onlinefassung nicht enthalten, war, wohl aber in der eigentlichen Fernsehsendungen: chinesische Fernsehzuschauer ohne Internetzugang dürften sowohl wohlstandsferner als auch "unkritischer" sein als Internetnutzer.

Denkbar ist aber auch, dass die VoA ihre Vorwürfe erhob, um den Film unglaubwürdig zu machen, oder dass sie den Film gar nicht kannte, oder dass nach der VoA-Kritik der Vorwurf der taktischen Übermittlung von zahlenverschlüsselten Botschaften aus dem Film herausgenommen wurde. Denn handelt es sich in den Auseinandersetzungen seit Februar stets um die gleiche Doku, dann protestierte die VoA lange vor dem tatsächlichen Sendetermin.

Dass aber chinesische Dissidenten erheblichen Einfluss auf westliche Auslandssender nehmen können, erscheint kaum bestreitbar:

Die Mitarbeiter der Chinaredaktion der Deutschen Welle und damit auch die Intendanz waren im Sommer 2008 in eine öffentliche Diskussion geraten, in der Kritiker, vor allem einige in Deutschland lebende chinesische Dissidenten, Anhänger der religiös-politischen sektenähnlichen Gruppe Falun Gong(2), zwei freie Journalisten und ein "Autorenkreis“ der Bundesrepublik, in polemischer Weise unterstellten, dass die Berichterstattung der China-Redaktion zu KP-nah sei,

schrieben vier ehemalige chinesischstämmige Mitarbeiter der Deutschen Welle im April 2011. Der Umfang und die offenbar sehr grobschlächtige Art und Weise, in der die China-Redaktion der DW in den Jahren nach 2008 umgekrempelt wurde - von den Ex-Redakteuren thematisiert -, wurde in Deutschland weitgehend ignoriert.

Meldungen und Berichte in den chinesischen Medien über die "Zhang-Danhong-Affäre" (2008) waren Teil einer - für die westliche Propaganda vermutlich überraschend erfolgreichen - Propagandabewegung der chinesischen Medien. Schon eine vielfach überaus kritische westliche Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Beijing 2008 hatten - sei es aufgrund des tatsächlichen Tenors, sei es aufgrund ihrer Wiedergabe durch chinesische Medien - weite Teile der chinesischen Öffentlichkeit verärgert. Proteste von Auslandschinesen wirkten zusätzlich zurück ins chinesische Inland.

Und auf Basis offensichtlicher Missgriffe westlicher Presseredaktionen zum Beispiel bei der Bebilderung von Artikeln, welche die Tibetpolitik Beijings kritisierten, baute der Student Rao Jin ein über mehrere Jahre sehr erfolgreiches Onlimemedium auf, das zunächst unter dem Namen "Anti-CNN" und später unter dem Namen "4. Mai" firmierte.

Der Stimmungsumschwung, der sich schnell als dauerhaft erwies, vollzog sich in wenigen Wochen, oder allenfalls in Monaten. Er wirkte umso radikaler, als dem Ausland gegenüber aufgeschlossene Chinesen zuvor dazu tendiert hatten, westlichen Medien so ziemlich alles zu glauben, was sie erzählten. Schwarzweißdenken, der Hang zu platten Slogans und andere Kratzer auf der intellektuellen Festplatte, die Chinesen heute gern westlichen Medienanstalten zum Vorwurf machen, sind nicht zuletzt chinesische Eigenheiten, an deren "Bekämpfung" sich schon der Schriftsteller und Diplomat Hu Shih vor knapp hundert Jahren abgemüht und in der chinesischen Intelligentsia einigen Eindruck hinterlassen hatte.

Der Streit unter den Meinungsmachern oder Einflussnehmern innerhalb und außerhalb der VoA - Medienmenschen, "Experten" aller Art und Gesetzgeber - dreht sich nun nicht zuletzt darum, inwieweit die "Voice" eine Stimme der amerikanischen public diplomacy sein solle, und inwieweit ein Muster guter journalistischer Arbeit. "Haltet euch zurück und die VoA in der Wirklichkeit", schrieb Al Pessins, der 1989 in jedem Sinn des Wortes ausgewiesene China-Korrespondent der VoA, vorigen Sommer dem amerikanischen Repräsentantenhaus ins Stammbuch.

Der Anspruch, vor allem ein Nachrichtenmedium zu sein, dürfte bei jedem Auslandssender alle Realitäten weit übertreffen. Vor allem aber in Zeiten, in denen die Budgets solcher Anstalten unter dem politischen Druck des allgegenwärtigen "Sparens" stehen, bemüht sich womöglich der Journalismus um seine eigene Nützlichkeit.

Als die VoA-Leitung im Februar 2011 den (später zurückgenommenen) Plan ankündigte, die Kurzwellensendungen nach China einzustellen, protestierten chinesischstämmige Mitarbeiter mit Argumenten wie diesen:

Erlauben Sie mir zunächst, die Worte dieser Dame zu zitieren: 'unsere Sendungen dienen der nationalen Sicherheit'. Ich bin sehr ermutigt, dies zu hören, ebenso wie meine Kollegin Xiao Yazhang. Im vorigen Sommer war ich in Beijing. Ich arbeitete sieben Wochen lang als Korrespondentin im Mandarin-Beijing-Büro der VoA. Ich war schockiert, einige chinesische Militärexperten und die Generäle in ihren Militäruniformen zu sehen, wie sie offen im nationalen Fernsehen über die so genannte amerikanische Bedrohung für Chinas nationale Sicherheit sprachen, und darüber, wie China auf solche Bedrohungen reagieren solle. In meinen über zwanzig Jahren als Journalistin, die über chinesische Angelegenheiten berichtet, habe ich nie eine solche Art Feindseligkeit den Vereinigten Staaten gegenüber gesehen, und kein solches Ausmaß an Dämonisierung der Vereinigten Staaten. In dieser kritischen Zeit hat das Broadcasting Board of Governors die Entscheidung getroffen, Einschnitte bei VoA China vorzunehmen, das als das leistungsfähigste Instrument der Vereinigten Staaten anerkannt ist, Herz und Verstand des chinesischen Volks zu gewinnen.

Gerade so, als sei die nationale Sicherheit Amerikas ein brauchbares Motiv für chinesische Hörer, die "Voice" einzuschalten.

Die chinesische Zeitung "Huanqiu Shibao" trat nach: die (angekündigten) Einstellung der Kurzwellensendungen bei BBC und VoA stellten einen Schlag für die ideologische Kampagne dar, welche gewisse Länder über ein halbes Jahrhundert lang geführt hätten, so ein Leitartikel im April 2011.

Wirklicher Journalismus dient wohl kaum dazu, seine Hörer, Leser oder Zuschauer zu erfreuen. Aber er soll informieren. Insofern wären Vorschläge wie die Al Pessins, die Politik möge sich zurückhalten, überaus zielführend.

Aber das erscheint, in Amerika und anderswo, fast unvorstellbar: zumal dann, wenn es die politische Klasse ist, die über die Geldmittel einer Medienanstalt bestimmt.

Und um Geldmittel geht es vor allem. Auch die Klagen amerikanischer Pundits und Direktoren sind nicht neu:

Auf dem Kommunikationssektor ist unser Rückstand gegenüber den Sowjets so groß wie der, den wir 1957 (in der Raumfahrt) hatten, als sie ihren Sputnik hochschickten,

zitierte der "Spiegel" im März 1984 den damaligen VoA-Direktor und Ensor-Vorgänger Kenneth Tomlinson.

Damals nahte bereits die Rettung: die Reagan-Administration wolle auch rundfunktechnisch nachrüsten, so der "Spiegel": 281 Millionen US-Dollar solle die VoA erhalten. Heute erhält sie knapp 200 Millionen Dollar.

Inhaltlich hingegen besteht Kontinuität: damals wie heute verlangte die Politik Einfluss auf die Programmgestaltung der VoA. Dieser Einfluss ist zum Teil sogar institutionalisiert: bis heute sendet der amerikanische Auslandsrundfunk täglich das "VoA-Editorial", einen Kommentar, der oft "Außenamtsmitarbeiter, die etwas auf sich halten, erschrecken" müßte - so damals die "Financial Times", zitiert vom "Spiegel".

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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