Wenn man keine Ahnung hat, soll man einfach mal die Klappe halten – dieser populären Weisheit ist zweifelsohne viel abzugewinnen, besonders im Zeitalter der geschleiften Tore des Diskurses. Wo jeder gehört werden kann, sollte man sich genau überlegen, was man wann sagt. Dass der Medienbetrieb das Gegenteil befördert, hat mit seiner ökonomischen Verfasstheit zu tun. Nur so ist es (hoffentlich) zu erklären, dass immer wieder jemand auf die Idee kommt, ein Mikrofon vor den Hohlraum namens Richard David Precht zu halten.
Auf der anderen Seite ist es schon auffallend, wie viele Prominente, Intellektuelle und sonstige Teilnehmer der deutschen Öffentlichkeit sich die Worte des Volksmunds seit dem 7. Oktober zu Herzen genommen haben. Das dachte sich auch Welt-Redakteur Frédéric Schwilden und bat einige von ihnen um ein Statement, das Solidarität mit Jüdinnen und Juden ausdrücken sollte. Und zwar gerade jene Leute, die ansonsten um kein Wort für gute Sachen oder gegen schlechte verlegen sind – gegen die AfD, für den Feminismus, für Klimaschutz, was halt gerade so ansteht. Dabei erinnerte Schwilden auch an eine Kolumne von Youtuber Rezo mit dem Titel „Maulhalten gilt nicht mehr“.
Nun ja, gilt offenbar schon: Nur die neoliberale Influencerin Diana zur Löwen und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer gingen auf die Anfrage ein. Ansonsten: Absagen oder gar keine Antwort von Lars Eidinger, Nora Tschirner, Klaas Heufer-Umlauf, Joko Winterscheidt, Sophie Passmann, Rezo, Jasmina Kuhnke, Enissa Amani, Jan Böhmermann und vielen weiteren.
Alle sind gegen das Enthaupten von Säuglingen, oder? Oder?
Nun kann man sagen: Mit Springer redet man nicht. Klar, legitim. Man kann auch sagen: Viele haben andere Kanäle, über die sie sich äußern, wie Jan Böhmermann. Aber das gilt eben nicht für alle. So dröhnt das Schweigen des polit-medial-kulturellen Komplexes angesichts der grausamen Massaker der Hamas an Israelis laut in den Ohren der Jüdinnen und Juden hierzulande, wie viele erschüttert feststellen müssen.
Gewiss, der Nahostkonflikt ist eine ungemein komplizierte Angelegenheit, da setzt man sich schnell in Nesseln. Aber dass man gegen das Enthaupten von Säuglingen, das Vergewaltigen von Frauen und das Hinrichten von Shoah-Überlebenden ist, das sollte doch Konsens sein, oder?
Oder?
Es gibt eben auch ein anderes Sprichwort: Wer schweigt, stimmt zu. Im Schweigen stilles Einverständnis zu sehen, liegt nahe – Antisemitismus ist als tiefliegende Strömung in der westlichen Kultur psychologisch fest verankert. Im Einzelnen ist das jedoch schwer nachzuweisen. Hinzu kommt, dass politische Statements in einer kapitalistisch strukturierten Medienöffentlichkeit eben stets nicht nur auf Politik zielen. Feminismus, Klimaschutz, Demokratie, das sind Themen, zu denen weitgehend Konsens herrscht – sich hierzu zu bekennen, fördert die eigene Position, steigert die Reichweite, den Absatz. Statements zu kontroversen Themen wie dem Nahostkonflikt bedrohen die eigene Stellung als anerkannte moralische Instanz – und vor allem würden sie eine tatsächliche Beschäftigung mit dem Gegenstand und kritisches Denken erfordern.
Dass Solidarität mit jüdischem Leben und eine Positionierung gegen Antisemitismus sogleich als Beitrag zur Nahost-Diskussion gesehen werden, ist ein Problem, das sich wiederum kaum anders als mit der antisemitischen Matrix einer Kultur erklären lässt, die vor zwei bis drei Generationen alles kritische Denken ausgemerzt hat.
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