Recep Tayyip Erdoğan ist kein Wundertäter, den besonders dann sagenhafte Kräfte beflügeln, wenn er Wladimir Putin trifft. Weil dies (noch) auf sich warten lässt, kann er beim Gipfel in Sotschi dem Gastgeber nicht geben, was der als unerlässlich erachtet, um auf das Abkommen mit der UNO und Türkei vom 22. Juli 2022 zurückzukommen. Bis vor Kurzem waren dadurch der Ukraine Routen über das Schwarze Meer gestattet, um Getreide auszuführen.
Freilich lag dem ein komplexeres Agreement zugrunde als gemeinhin dargestellt. Russland war vor gut einem Jahr in der Übereinkunft mit den Vereinten Nationen zugesichert worden, diese würden einen „ungehinderten Export von russischen Lebens- und Düngemitteln auf die Weltmärkte (...) erleichtern, einschließlich der für die Herstellung von Düngemitteln erforderlichen Rohstoffe“. Weiter hieß es, „dass Maßnahmen, die der Russischen Föderation auferlegt sind, für diese Produkte nicht gelten“. Gemeint waren offenkundig US- und EU-Sanktionen.
Getreideabkommen zunächst verlängert
Zugleich – und das war ein Teil der „Black Sea Grain Initiative“, nicht die ganze Vereinbarung – verpflichtete sich Russland, „den ungehinderten Export von Lebensmitteln, Sonnenblumenöl und Düngemitteln aus den von der Ukraine kontrollierten Schwarzmeerhäfen zu erleichtern“. Diese Zusage galt – verlängert im November 2022 – bis vor anderthalb Monaten. Nur kam der Russland zugesicherte Handel mit seinen Agrarerzeugnissen nicht vom Fleck, vor allem durfte dessen Landwirtschaftsbank nicht so am internationalen Zahlungsverkehr teilhaben, wie man das in Moskau für unverzichtbar hält und wohl auch als symbolischen Akt zu schätzen wüsste.
Auf UN-Generalsekretär António Guterres lastete weniger das Stigma des Wortbruchs als der Umstand, westlichem Sanktionswillen wenig anhaben zu können. Gleiches gilt für Präsident Erdoğan, der in Sotschi in eigener Sache, weder als Unterhändler des Westens noch der Ukraine sondierte. Dies sollte ebenso zur Kenntnis genommen werden, wie das die Proportionen der ukrainischen Getreideexporte bis Juli verdient haben. Bis dahin wurden vorrangig Spanien, China, die Türkei, Italien und die Niederlande bedient – nicht Jemen, Äthiopien, Sudan, Eritrea, Somalia oder Dschibuti.
In den Nahen Osten und nach Afrika gingen weniger als drei Prozent dieser Ausfuhren. Weil das so ist, zeugt die Aussage der deutschen Außenministerin, Russland setze „den Hunger als Waffe“ ein und nehme „die ganze Welt als Geisel“ von einer bösartigen Entstellung der Tatsachen. Zumal Präsident Putin Ende Juli auf dem Petersburger Russland/Afrika-Gipfel die kostenlose Abgabe von 50.000 Tonnen Getreide an bedürftige Nationen wie Burkina Faso, Simbabwe, Mali, Somalia und Eritrea angekündigt hat.
Untaugliches deutsches Geschäftsmodell
Was Russland indes nicht verschenken kann, sind seine Interessen. Es gibt kein Land weltweit, das darauf erpicht wäre. Deutsche Außenpolitik, die es zum Geschäftsmodell erkoren hat, dies zu ignorieren oder zu bestreiten, ist per se geschäftsunfähig. Sie gesteht Staaten nicht zu, was selbstverständlich ist. Sich darauf in Kriegszeiten zu versteifen, schadet der eigenen Sicherheit und den eigenen Interessen gegenüber Dritten. Was bitteschön ist damit gewonnen, wenn die Ukraine nun Exporteinnahmen verliert, weil Vertragstreue gegenüber Russland als Sakrileg betrachtet wird?
Zu allem Überfluss korrespondiert diese realitätsblinde Hoffart mit einer alles andere als konsistenten Politik. Soll Russland radikal geächtet und isoliert werden, wie das Frau Baerbock unablässig intoniert, dann darf man mit seiner Regierung keine Verträge abschließen, schon gar nicht Handelssachen, die womöglich Schneisen in die Sanktionsfront schlagen. Tut man es doch, muss respektiert werden, dass eine russische Regierung aussteigt, sobald unterbleibt, was vereinbart ist.
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