Der Angriff auf Isfahan sollte nicht unterschätzt werden

Meinung Die israelische Seite kann sich Eskalationsschübe vorbehalten, wann immer sie will. Ihren Partnern in den USA und der EU werden Konzessionen im Gaza-Krieg nicht erspart bleiben. Für die Kriegsführung gilt das allemal
Plakat in Teheran (19.04.2024)
Plakat in Teheran (19.04.2024)

Foto: AFP/Getty Images

Wenn sich Benjamin Netanjahu und sein Kriegskabinett wirklich bei der mutmaßlichen Attacke auf Isfahan im Iran Mäßigung auferlegt haben, wird das seinen Preis haben. Vor allem die Biden-Administration wird den entrichten müssen. Wie und wodurch? Allem Anschein nach durch Konzessionen gegenüber der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen und das Verschleppen einer Waffenruhe. Nicht dass Israels Kriegskabinett einer Feuerpause auf Dauer entgehen kann. Die Frage ist jedoch, zu welchen Konditionen diese zustande kommt und vor allem mit wem. Ist die Hamas als Kernformation des palästinensischen Widerstands direkt oder indirekt der Vertragspartner, würde Netanjahu damit einräumen, sein Ziel, deren militärische Kader vollends zu zerschlagen, nach sechs Monaten Krieg und Zerstörung nicht erreicht zu haben. Der asymmetrische Krieg hat seine eigenen Gesetze. Ganz abgesehen davon, dass – neben der Freilassung weiterer israelischer Geiseln durch die Hamas – auch die Entlassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen Teil eines Agreements sein dürfte.

Es liegt auf der Hand, dass sich derartige Vereinbarungen durch den Umgang Israels mit dem Iran beeinflussen lassen. Weder die USA noch die EU-Staaten sind hier in einer starken Position. Krisensituationen wie im Augenblick sind geeignet, einem strategischen Ziel aller israelischen Regierungen seit gut zwei Jahrzehnten wieder näherzutreten – dem Angriff auf das iranische Atomprogramm und auf die Stabilität des Regimes.

Dagegen vorzugehen, wurde erschwert, als 2015 durch die USA, Russland, China und die EU-3 – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – der Nuklearvertrag mit seinem Junktim geschlossen wurde: Verzicht des Westens auf Sanktionen gegen Verzicht des Iran auf den Bau der Bombe und die Bereitschaft, sich dahingehend durch die Internationale Atomagentur IAEA kontrollieren zu lassen.

Der Atomvertrag ist nicht vollends tot

Benjamin Netanjahu, der auch zu jener Zeit bereits regierte, hat den Vertrag nie anerkannt. Er konnte sich bestätigt fühlen, als die Trump-Regierung im Mai 2018 die Übereinkunft kündigte und umgehend wieder zu einem drakonischen Sanktionsregime überging. Daran war besonders verhängnisvoll, dass die damalige US-Administration die Vertragspartner aus der EU einer Kardinalfrage aussetzte: Haltet ihr es mit uns oder den Überzeugungstätern in Teheran? Wie wollte man die anders beantworten als zu Lasten des Vertrages?

Seither ist der nicht vollends tot, aber in Agonie gefallen, da alle Versuche, ihn wiederzubeleben, gescheitert sind. Entsprechend schlecht steht es um die Beziehungen zwischen Teheran, den USA und der EU. Eine sich vor zehn Jahren abzeichnende Normalisierung ist verhärteten Fronten zwischen erklärten Gegnern, eher Feinden, gewichen, womit im aktuellen Konflikt Teheran-Jerusalem jede Vermittlung entfällt. Die israelische Seite kann sich Eskalationsschübe vorbehalten, wann immer sie will.

Der Wunsch nach Kernwaffen im Iran

Die Militäraktion im Raum Isfahan muss nicht ihr letztes Wort gewesen sein, zumal sich iranische Ziele auch in Syrien und im Irak anbieten und treffen lassen. Sie können derart beschaffen sein, dass es eine Frage der politischen Gesichtswahrung ist, sich eine Reaktion vorzubehalten. Schließlich korrespondiert der Nachweis eigener Widerstandskraft mit dem Selbsterhaltungswillen des theokratischen Systems und seiner regionalmächtigen Aura. So wie Israel umgekehrt weiß, dass es sich lohnen kann, genau das in Frage zu stellen.

Denn eines ist auf keinen Fall zu bestreiten: In Teheran bedient die jetzige Lage die seit langem gehegte Erkenntnis, wir müssten wegen unseres Sicherheitsstatus weniger besorgt sein, würden wir über Kernwaffen verfügen. Die fatale Dialektik der Dystopien.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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