Pyla: Das Dorf, in dem griechische und türkische Zyprer friedlich zusammenleben

Reportage Allem Hader zum Trotz herrscht im Ort Pyla auf Zypern die Koexistenz der Völker, aufmerksam beobachtet von der türkischen Armee
Ausgabe 09/2024
Pufferzone: Die Kirche von Pyla – hier leben bis heute griechische und türkische Zyprer friedlich zusammen
Pufferzone: Die Kirche von Pyla – hier leben bis heute griechische und türkische Zyprer friedlich zusammen

Foto: Iakovos Hatzistavrou/AFP/Getty Images

Pyla, in der von Blauhelmen kontrollierten Pufferzone gelegen, ist so etwas wie das einzige Dorf Zyperns, dessen Bevölkerung trotz Bürgerkrieg, Vertreibung und türkischer Invasion von 1974 geblieben ist – bis heute leben 850 griechische und 487 türkische Zyprer friedlich zusammen. Am 18. August 2023 schien es auch hier loszugehen, als die türkische Seite den wahrscheinlich unrechtmäßigen Bau einer Umgehungsstraße vorantrieb. Drei einschreitende Militärs des UN-Friedenskorps (UNFICYP) bezahlten das mit einem Aufenthalt im Spital. Die Türkei „wird kein unrechtmäßiges Verhalten gegenüber Türken auf Zypern zulassen“, fauchte der Sultan von nebenan. Bereits am 9. Oktober jedoch verkündeten UNFICYP und die türkische Seite eine Einigung. Der Bau der Straße durfte offenbar weitergehen.

Im Bus aus Larnaka

In Pyla üben gleich vier Akteure Souveränität aus: die griechischsprachige Republik Zypern und die für Sicherheit zuständige UNO; das Personal der britischen Militärbasis Dekelia und das De-facto-Regime Türkische Republik Nordzypern (TRNC). Davon merke ich im Bus aus Larnaka zunächst nichts. Es geht die Küste entlang durch eine ununterbrochene Hotel-Riviera, dann wird ins Inselinnere abgebogen. Die Sporthalle der University of Central Lancashire ist die Endstation. Die Haltestellen-Reklame der Hochschule verspricht: „Your journey to success starts here!“ (Ihre Reise zum Erfolg beginnt hier)

Pyla ist gewiss ein spezielles Dorf. Die Straßen sind wie in New York nummeriert, so müssen die zwei Volksgruppen nicht nach gemeinsamen Helden fahnden. Nicht einmal Ansätze ethnischer Abschottung sind auszumachen. An der Spitze eines langen Wohnhauses findet man das halb ausgeräumte Lädchen „Jewellery Turkish Gold“. Aus einem Container heraus werden Autoversicherungen für Nordzypern verkauft. Es gibt einige schwer verdunkelte, oft 24 Stunden geöffnete Spielautomaten-Cafés wie das „WIN Casino € 20,000“. Komischerweise hat das Kaff sogar einen jeden Abend um 21 Uhr aufsperrenden Night Club. Die Barfrauen im „Escape“ sind aus Vietnam, die Stripperinnen aus Europa, die Dorfburschen zufrieden.

Szene aus „Basic Instinct“

Ein türkischer Laden, der „Marlboro Super Kings“ im Namen trägt, bietet billige Ware feil. Die junge zarthäutige Kassiererin entpuppt sich als Tochter einer Moldawierin. Sie pendele aus dem nordzyprischen Ort Pergamos hierher, erzählt sie auf Rumänisch, die umstrittene Umfahrungsstraße habe sie nie gesehen. Sie kann kein Griechisch und sagt, wenn sie von der türkischen Okkupation Nordzyperns spricht, „die Unsrigen“. Dass hier gleich das Nachbarhaus griechisch ist, findet aber auch sie bezaubernd.

Es gibt mehrere Kirchen, im Ortskern eine Moschee. Deren Vorhof geht in einen Haushalt mit Wäscheständer voller bunter T-Shirts über, dieser wiederum in „The International Barber“. Der Tourismus ist vier Kilometer weiter unten am Meer, im Dorf selbst füllt sich an diesem Sonntagnachmittag nur ein Restaurant mit Rentnern aus Großbritannien. In ihrer Mitte ein jüngerer Extremradfahrer, der damit prahlt, an diesem Tag schon Agia Napa und Limassol durchquert zu haben: „Die Straßen sind gut hier, aber auf Teneriffa ist weniger Verkehr.“

Der Wirt mit dem roten Piratenkopftuch kann nur flüsternd sprechen, auch so hört man ihn schon vom gegenüberliegenden „Pile Türk Muhtarlığı“. Der in England geborene Zypern-Grieche liebt Offenheit, dank eines iranischen Kochs bietet er griechische, türkische und persische Menüs an. Seine Außenmauer ließ er mit Filmgeschichte bemalen. Die berühmte Szene aus Basic Instinct ist entschärft, Sharon Stone trägt Höschen.

Im Blickfeld der türkischen Armee

Als ich weiterwandere, reißt es mich plötzlich herum: Keine hundert Meter vor mir, auf der Eckkante des Pyla überblickenden Felsplateaus, befindet sich ein Stützpunkt der Türkischen Republik Nordzypern. Es wehen Halbmondfahnen, und man sieht einen überlebensgroßen Schattenriss von Atatürk, der mit den gespreizten Fingern der rechten Hand argumentiert. Der diensthabende Soldat fixiert mich von dort oben mit seinem Fernglas. Ich spreche das junge türkische Turtelpaar an, das eben noch oben beim durchhängenden Grenzzaun herumspaziert ist. Sie ist türkische Pylerin, er Türkei-Türke. Ich frage sie: Was ist anders in Pyla, dass sie hier in Frieden zusammenleben wie eh und je? „Nichts ist anders“, antwortet sie, „das ist nur, weil Pyla in der UN-Pufferzone liegt“. Ihr Großvater, der „Türkisch, Griechisch und Englisch sprach“, habe sein Haus nie verlassen müssen.

Inzwischen sind zwei Ferngläser auf meine Schläfe gerichtet. Man hört die Soldaten sogar reden. Was ist denn das für ein Gefühl, unter deren Augen zu leben? „Wir haben noch nie mit ihnen gesprochen“, antwortet die Pyler Türkin und beendet höflich, aber bestimmt das Gespräch. Ich gehe aus dem Blickfeld der türkischen Armee. Es wird dunkel, und ein UN-Auto beginnt zu patrouillieren.

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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