Verschärftes Ausländerrecht: Warum der Weltkonzern ASML die Niederlande erpressen kann

Migrationspolitik Ein Hightech-Konzern droht mit Abwanderung, weil ihn die Verschärfung des Ausländerrechts beeinträchtigt. Blitzschnell nimmt die Regierung in Den Haag eine Milliarde in die Hand, um die Firma zu halten. Doch die Finanzspritze hat Folgen
ASML baut Spezialmaschinen, die man zur Herstellung von Halbleitern braucht
ASML baut Spezialmaschinen, die man zur Herstellung von Halbleitern braucht

Foto: Picture Alliance

Vor fast einem Jahr hat die liberale VVD, die ewige Regierungspartei in den Niederlanden, wegen des Dauerstreits um die Migrationspolitik die von ihr geführte Koalitionsregierung gesprengt und Neuwahlen angesetzt. Die hat im November 2023 prompt die rechtspopulistische und extrem migrationsfeindliche PPV des Geert Wilders eindrucksvoll gewonnen. Seither wird an einer neuen Rechtsregierung gebastelt – und das verheißt für Migranten nichts Gutes.

Nun aber fällt der Regierung Mark Rutte – bis zum Antritt einer neuen Regierung nur noch geschäftsführend im Amt – ihre Migrationspolitik krachend auf die Füße.

Denn einer der größten und wichtigsten High-Tech-Weltkonzerne der Niederlande, die ASML Holding, hat unverblümt mit Abwanderung gedroht. Weil dem Konzern die geplanten Verschärfungen des Ausländerrechts ganz und gar nicht passen. Der Weltmarktführer beschäftigt weltweit mehr als 43.000 Leute, über die Hälfte davon am Hauptsitz der Firma in Veldhoven (bei Eindhoven). Mehr als 40 Prozent davon sind Ausländer ohne niederländischen Pass. Sie stammen nur zum Teil aus EU-Ländern, viele kommen aus Indien, Pakistan, Sri Lanka, Indonesien oder aus dem Nahen Osten. Auf diese Fachkräfte kann und will die ASML nicht verzichten, der Weltkonzern braucht hoch qualifizierte IT-Spezialisten, Ingenieure und Techniker, und er heuert sie an, wo er sie findet. Dabei kommt ihm die alte Regierung in die Quere.

Es herrscht Panik in Den Haag

Falls Wilders und seine Partei in der nächsten Regierung eine Rolle spielen, dürfte der Krach um die ausländischen Fachleute noch ärger werden. Auch wenn das Abwandern nicht so einfach ist, damit drohen können Weltkonzerne immer – in der Regel mit Erfolg. Dieses Mal mit vollem Erfolg. Es herrscht Panik in Den Haag. In rasender Eile wird ein Plan gebastelt, um das Paradepferd ASML in den Niederlanden zu halten. Mindestens eine Milliarde Euro soll für das Projekt mobilisiert werden. Einen Namen hat es auch schon: das Beethoven Projekt. Damit die Sache nicht allzu peinlich wird, will die Regierung die Milliarde nicht direkt an die ASML überweisen, sondern sie in die Forschungsabteilungen und Technologieparks der Technischen Universität Eindhoven investieren, und zwar unverzüglich.

Wie bisher wird die ASML von den Forschungseinrichtungen der Universität profitieren, und zwar gratis. Nur die Anzahl der ausländischen Spezialisten in Eindhoven und Umgebung dürfte noch einmal zunehmen. Die arbeiten dann für die Universität, wo ohnehin besonders flexible Ausnahmeregeln gelten. Für die ASML hat sich die Drohung gelohnt. Ebenso für die TU Eindhoven und die Weltfirma Philips, die seit Jahr und Tag mit der Universität in einer Art Symbiose lebt. In Eindhoven geschieht nichts gegen den Willen von Philips – und die ASML ist Fleisch vom Fleische des ehemaligen Mutterkonzerns.

Die Regierung kann sich also auf die Brust klopfen: Sie hat der Erpressung blitzschnell nachgegeben, aber den schönen Schein gewahrt. Alle bekommen, was sie seit Langem wollten: Eine kräftige Erweiterung des niederländischen Silicon Valley in und um Eindhoven. Groß genug ist die Finanzspritze, um den Süden der Niederlande zum Zentrum der europäischen High-Tech-Industrie und zum Dreh- und Angelpunkt der europäischen Halbleiterproduktion zu machen.

Die USA wollen den Export von ASML-Maschinen nach China beschränken

Denn die ASML ist das Kronjuwel der niederländischen Hightech-Industrie. Ein Weltmarktführer in der Produktion von Spezialmaschinen, die man zur Herstellung von Halbleitern braucht. Ohne die Maschinen von ASML kann man Chips der jüngsten Generation nicht herstellen. Nur die ASML kann diese Maschinen herstellen, die mithilfe von EUV-Licht hochkomplexe Halbleiterdesigns auf winzige Silizium-Wafer (Chip-Rohlinge) drucken können. Eine dieser Maschinen kostet leicht über 200 Millionen Dollar pro Stück, der Aufwand zur Verschiffung einer dieser Maschinen ist gigantisch.

De facto hat die ASML mit diesen Maschinen ein Monopol auf die Herstellung von Halbleitern der letzten Generation. Die Entwicklung und Anwendung avancierter Formen der künstlichen Intelligenz hängt davon ab. Kein Wunder, dass sich die großen Industriemächte darum streiten. Seit Jahren versuchen die USA, den Export dieser Spezialmaschinen nach China zu beschränken beziehungsweise ganz zu unterbinden, seit Jahren klagen die Chinesen Stein und Bein darüber, dass sie sie nicht bekommen. Seit Jahren tobt ein Kampf um die Technologie, die einstweilen nur die ASML beherrscht und besitzt.

Also ist die niederländische Milliarde gut investiertes Geld.

Wo es um Weltmarktführerschaft geht, wird durchaus geklotzt. Die Aktionäre der ASML wird es freuen. Allerdings treibt die ASML-Spitze eine Sorge um: Wenn Wilders‘ rechtspopulistischer Verein an die Regierung kommen sollte oder die nächste Regierung von einer Tolerierung durch Wilders abhängig wäre, könnte der Krach um die Migrationspolitik wieder von vorn losgehen. Nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Abwanderungsdrohung für Panik in Den Haag sorgt. Dann werden Wilders und Co. um weitere Milliarden für den Hightech-Standort Eindhoven nicht herumkommen.

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