Auch ohne Kernwaffen können sich Israel und Iran gegenseitig zerstören

Meinung Amerikaner und Europäer werden ihre Rolle als Schutzmächte Israels nur dann erfüllen, wenn sie sich endlich auch als Schutzmächte der Palästinenser begreifen. Dazu ist es höchste Zeit
Israelische Soldaten in Sderot: Mindestens 600 Israelis sollen bei dem Angriff der Hamas getötet worden sein
Israelische Soldaten in Sderot: Mindestens 600 Israelis sollen bei dem Angriff der Hamas getötet worden sein

Foto: Menahem Kahana/AFP/Getty Images

Terroristen infiltrieren unbemerkt ein Gebiet, entführen und töten Zivilisten, besetzen Land und zerstören Häuser. Dies geschieht in den vergangenen Jahren einmal mit mehr, einmal mit weniger Intensität immer wieder in palästinensischen Gebieten des Westjordanlandes. Die Täter sind Israelis aus den illegalen Siedlungen, meist unbehelligt von der Besatzungsarmee, deren völkerrechtliche Pflicht es eigentlich wäre, die Angegriffenen zu schützen. Und nun die Rache: Hamas-Terroristen dringen unbemerkt aus dem Gazastreifen nach Israel ein, entführen und töten Zivilisten und sogar Militärs. Sie sollen ganze Siedlungen besetzt halten.

Regierung der nationalen Eintracht

Es gibt kaum Zweifel darüber, wie es nun weitergeht: Die israelische Regierung und Armee werden den Gegenangriff mit voller Wucht führen. Der aktuell in der Opposition stehende ehemalige Ministerpräsident Yair Lapid hat für einen „sehr langen Krieg“ bereits seine volle Kooperation angeboten. Sollten sich auch Lapids Anhänger, die sich gegen die Justizreform erhoben haben, darauf einlassen, hat Benjamin Netanyahus rechtsradikale Koalition auf ganzer Linie gesiegt und wird zu einer Regierung der nationalen Eintracht. Auf alle Fälle wird sich der Gazastreifen erneut auf viele Opfer und schwerste Zerstörungen einstellen müssen. Die sind von der Hamas allerdings eingepreist.

Und doch ist diese Prognose nicht in Stein gemeißelt. Die Israelis, die seit Monaten um die Rettung der wichtigsten demokratischen Institution ihres Staates kämpfen, könnten zu der Auffassung gelangen, dass sich sein Bestand auf die Dauer nicht mit der Verewigung des Besatzungsregimes und der Gaza-Blockade sichern lässt. Sie könnten sich auch klar machen, dass sich die Palästinenser genauso wenig mit der Enteignung ihrer Ländereien und Wohnungen wie auch mit dem Status von Bürgern zweiter oder dritter Klasse zufriedengeben werden, wie es Juden in der zweitausendjährigen Diaspora taten. Und dass sie ihr Heimatrecht ebenso wenig aufgeben werden wie Juden.

Einsehen müssten das vor allem die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, die verbal zwar die Rechte der Palästinenser gelegentlich einfordern, eine Durchsetzung aber jahrzehntelang auf die lange Bank geschoben haben. Europäer und Amerikaner können ihre Rolle als Schutzmächte Israels aber nur dann erfüllen, wenn sie sich endlich auch als Schutzmächte der Palästinenser begreifen.

Schlagabtausch mit Iran

Ein Umdenken für eine neue Nahost-Politik ist auch deshalb dringend geboten, um die Gefahr einer Eskalation zu bannen. Schon feuert auch die Hisbollah aus dem Libanon und Israel schießt zurück. Keines der beiden Länder kann irgendeinen Gewinn daraus ziehen. Und es kann noch schlimmer kommen: ein Schlagabtausch mit dem Iran. Die islamische Republik und Israel können sich auch ohne Atomraketen binnen weniger Minuten gegenseitig zerstören.

Europäer und Amerikaner haben es in der Hand, solche Szenarien zu verhindern. Und sie haben es sogar in der Hand, Juden und Palästinensern eine Zukunft im Nahen Osten zu sichern, als Nachbarn in einem Staat, in dem alle Bürger die gleichen Rechte haben, oder in zwei Staaten. Damit gewänne Israel schnell auch andere benachbarte Mächte als Freunde, zum Beispiel das von Netanjahu heftig umworbene Saudi-Arabien.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden