Claus Weselsky, die Bahn und die Ambivalenz des Arbeitskampfes

Kolumne Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und die Bahn haben sich auf einen Tarifabschluss geeinigt. Ein sozialistischer Klassenkämpfer wird aus Claus Weselsky dennoch nicht. Wie geht es mit dem Streikrecht weiter?
Ausgabe 14/2024
Claus Weselsky mag zwar der Schreck von Arbeitgebern sein, ein sozialistischer Klassenkämpfer ist er trotzdem nicht
Claus Weselsky mag zwar der Schreck von Arbeitgebern sein, ein sozialistischer Klassenkämpfer ist er trotzdem nicht

Foto: Imago / Metodi Popow

Getrennt wird die Einigung verkündet. Nach fünf Monaten Verhandlungen und sechs Runden Streik behaupten DB-Personalvorstand Martin Seiler und GDL-Chef Claus Weselsky auf jeweils eigenen Pressekonferenzen, sich durchgesetzt zu haben. Für Seiler steht hinter dem Abschluss ein „innovatives Optionsmodell“. Weselsky wiederum spricht von einem Erfolg – „fast auf ganzer Linie“: Bahn und GDL haben sich auf die Absenkung der wöchentlichen Regelarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich bis zum Jahr 2029 verständigt. Obwohl die GDL ihre Kernforderung durchsetzen konnte, verdeutlicht das Ergebnis die Grenzen des Erreichbaren für Beschäftigte in Krisenzeiten: Die Entgelterhöhung um bis zu 14 Prozent gleicht nur die Teuerung seit dem letzten Tarifabschluss 2021 aus. Da die Laufzeit des vereinbarten Tarifvertrags erst Anfang 2026 endet, könnten die Reallöhne bei weiteren Inflationsperioden sinken.

Die GDL musste gegen einen Bahnvorstand kämpfen, der erneut versucht hat, ihre Forderungen zu diskreditieren. Ein probates Mittel der Kapitalseite: den Interessenkonflikt individualisieren, Weselsky zum Prellbock machen. Das entfaltete die erwünschte Wirkung, Politiker und Journalisten unterstellten dem GDL-Chef einen Ego-Trip. Dabei machte er nur seinen Job – als Verhandlungsführer hartnäckig das Maximalmögliche für die Beschäftigten rauszuholen. Doch auch wenn er von gierigen Managern und ausgebeuteten Lokführern sprach, ein sozialistischer Klassenkämpfer ist das CDU-Mitglied sicher nicht. Der Presse erzählte er, sein „Freund“ Rainer Wendt, Chef der rechten Deutschen Polizeigewerkschaft, sei nun Aufsichtsratschef der von GDL-Mitgliedern ins Leben gerufenen Leiharbeiter-Genossenschaft Fair Train.

Erst einmal vorbei dürfte die Debatte um die Einschränkung des Streikrechts sein. Lokführer sollten zukünftig zu Schlichtungen verpflichtet werden und sich an Streikfristen halten, meint etwa FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai – sein Gerede von einer „maßlosen Streikgier“ ist Politik am äußersten rechten Rand des Verfassungsbogens.

Der Arbeitsrechtler Daniel Weidmann hat dazu in einem Text für die Rosa Luxemburg Stiftung klargestellt: Beschränkungen des Streikrechts wären wegen eindeutiger Formulierungen der Grundrechte im Grundgesetz juristisch nicht ohne Weiteres möglich und politisch kaum durchsetzbar. Eine massive Einschränkung des Streikrechts würde alle DGB-Gewerkschaften mobilisieren und die endgültige Aufkündigung des Klassenkompromisses die politische Ökonomie der Bundesrepublik erodieren lassen. Die verbalen Angriffe auf das Streikrecht waren – Getöse.

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