Wenn Lösungen Fiktionen sind

Unionsstreit Der Kompromiss zwischen CDU und CSU steht auf tönernen Füßen. Doch indem er die SPD vor eine heikle Frage stellt, erfüllt er einen Zweck
Nun hat es für Seehofer doch noch für eine Einigung gereicht. Mit einer nachhaltigen, humanen Debatte über Migration hat das allerdings nichts zu tun
Nun hat es für Seehofer doch noch für eine Einigung gereicht. Mit einer nachhaltigen, humanen Debatte über Migration hat das allerdings nichts zu tun

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Es kursieren bereits Aufrufe, potentielle Bauplätze für "Transitzentren" an deutschen Grenzen zu blockieren. Das wäre angemessen, denn die einstweilige Lösung des Unions-Streits stellt nichts anderes dar als die Aushebelung eines Grundrechts: Transitzentren sollen gewährleisten, dass Menschen gar nicht erst deutschen Boden betreten, um dort Asyl beantragen zu können. Exterritorial soll im Schnellverfahren über eine Person geurteilt werden – ist sie bereits in einem anderen EU-Staat registriert, so soll sie nach den Vorstellung der Union fix dorthin zurückgeschickt werden. Bilaterale Abkommen, die dieses Procedere erleichtern würden, gibt es aber etwa mit Italien oder Österreich nach wie vor nicht. Da das Kompromisspapier von CDU und CSU solche Abkommen oder "Benehmen" mit anderen Staaten – zumindest eine "Vereinbarung" mit Österreich – vorsieht, ist diese Einigung faktisch noch nicht viel wert.

Innenpolitisch jedoch entfaltet sie bereits volle Wirkung – im Sinne der Union: Der von Horst Seehofer und Angela Merkel personifizierte Streit gilt einstweilen als geschlichtet, die Trennung der Unions-Fraktionen als abgewendet, alle Augen richten sich auf die SPD: einige ihrer Spitzenpolitiker, der heutige Außenminister Heiko Maas (SPD) etwa, haben sich in der Vergangenheit deutlich gegen Transitzentren ausgesprochen.

Dass diese rigorose Absage heute noch Bestand hat, steht nicht zu erwarten. Am Dienstagabend setzen die schwarz-roten Spitzen ihren Koalitionsausschuss fort; was SPD-Chefin Andrea Nahles bisher hat verlauten lassen, deutet darauf hin, dass die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten höchstens noch das Wort "Transitzentren", nicht aber das Konzept an und für sich stört. In diesem Sinne würde die Regierungspartei am Abbau des Grundrechtes auf Asyl mitwirken.

Das war absehbar

Diese Lage der SPD war absehbar: "Sie muss die unionsintern ausgehandelten Kröten schlucken oder die Koalition unter Protest verlassen", schrieb Wolfang Michal vor zwei Wochen im Freitag. "Entweder sie handelt prinzipienlos, oder man kreidet ihr das Scheitern der Regierung an."

Die Rechten haben es geschafft, den politischen Diskurs im Land auf Fragen zu verengen, deren Beantwortungen nur Fiktionen sind – nicht nur in dem Sinne, dass der "Kompromiss" der Union bisher auf tönernen Füßen steht: Auch immer rigidere Abschottung wird den "Kreislauf des Grauens nicht durchbrechen". Für oder wider Transitzonen, das ist der enge Horizont, der sich nun vor der SPD auftut. Ihre durchaus diskutablen "Fünf Punkte für eine europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik" spielen kaum eine Rolle. Es stand aber auch nicht zu erwarten, dass Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in einer Koalition mit der CDU und der den Atem der AfD im Nacken spürenden CSU ernsthaft über einen nachhaltigen, humanitären Umgang mit Fragen wie der der Migration verhandeln würden können.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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