Einreiseverbot für Yanis Varoufakis: Das Land driftet einer neuen McCarthy-Ära entgegen

Meinung Der deutsche Staat greift wegen des Palästina-Kongresses zum Einreiseverbot – unter anderem gegen Yanis Varoufakis – und bemüht dafür Paragrafen, die einer beliebigen Auslegung sperrangelweit offen stehen
Ausgabe 16/2024
Von deutschen Behörden in seiner Bewegungs- und Redefreiheit radikal beschränkt: Yanis Varoufakis
Von deutschen Behörden in seiner Bewegungs- und Redefreiheit radikal beschränkt: Yanis Varoufakis

Foto: Dimitris Kapantais/AFP/Getty Images

Er wollte nach London, um seinen neuen Film vorzustellen. Da erreichte ihn am 18. September 1952, noch während der Überfahrt mit dem Passagierdampfer Queen Elizabeth, ein Telegramm der US-Behörden. Darin stand, er dürfe nur dann in die Vereinigten Staaten zurückkehren, wenn er sich einer hochnotpeinlichen Befragung durch den „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ stelle. Missachte er die Anweisung, bleibe das Einreiseverbot bestehen. Charlie Chaplin, wegen Kommunismus-Verdachts unter Beobachtung des FBI, reckte beide Mittelfinger, emigrierte in die Schweiz und schrieb in seinen Memoiren den bedenkenswerten Satz: „Superpatrioten könnten die Zelle sein, aus der sich Amerika in einen faschistischen Staat verwandelt.“

In Deutschland kommt das Verhängen von Einreiseverboten gerade in Mode. Im März traf es den Führer der Identitären Bewegung Österreichs, den Rechtsextremisten Martin Sellner. Wegen eines Vortrags bei einem Treffen von Gleichgesinnten in einer Potsdamer Villa im November 2023 sprach die Ausländerbehörde der Stadt ein bundesweites, auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot gegen ihn aus. Jetzt im April traf es einige Redner des von der Polizei aufgelösten Berliner Palästina-Kongresses, unter anderem den linken griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Die Behörden fürchteten, er könne auf dem Kongress „antisemitische und israelfeindliche Propaganda“ betreiben.

In beiden Fällen stützte sich das Einreiseverbot auf Paragraf 6 des EU-Freizügigkeitsgesetzes, in dem es heißt, die Behörden der Mitgliedsstaaten könnten solche Maßnahmen bei einer absehbaren „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ergreifen. Nun sind Begriffe wie „öffentliche Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ äußerst dehnbar. Zwar versuchte der Europäische Gerichtshof (EuGH), die Begriffe zu definieren, sie blieben aber schwammig wie eh und je. Zur eigenen Entlastung verwies der EuGH auf die einschlägigen Gesetze seiner Mitgliedsstaaten. Dort würden die jeweiligen „Ordnungsvorstellungen im gesellschaftlichen Zusammenleben“ näher beschrieben. Oberstes Gebot: Keine Volksverhetzung!

Was hierzulande unter Hetze verstanden wird, hat der Bundestag im Dezember 2022 – unter dem Eindruck hasserfüllter Ukraine-Kriegsdebatten – drastisch verschärft. Seither gilt das Billigen, Leugnen oder grobe Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen mittels Äußerungen, die geeignet sind, zu Hass und Gewalt gegen Personen oder Personengruppen aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören, als strafbare Volksverhetzung.

Namhafte Juristen haben eingewandt, solche für beliebige Auslegung sperrangelweit offenen Paragrafen würden über kurz oder lang zu einer Einschränkung legitimer öffentlicher Diskurse führen und eher selten die Richtigen treffen. Inzwischen sind wir so weit, dass Einreiseverbote schon vorbeugend verhängt werden, ohne dass Straftaten vorliegen. Dieses schleichende Abdriften in eine neue „gut gemeinte“ McCarthy-Ära lässt Demokratien autoritär erstarren. Denn Politiker, Medien und andere Experten verschleiern den Sieg der Staatsräson über die Meinungsfreiheit gern als „wehrhafte Demokratie“.

Als Chaplin 1952 nicht mehr in die USA einreisen durfte, reagierte er mit sarkastischem Witz. Auf die nervtötende Frage, ob er Kommunist sei, antwortete er: „Ich bin kein Kommunist, ich bin ein Friedenshetzer.“

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