Kultur als Staatsziel im Grundgesetz: Warum Claudia Roths Vorstoß richtig ist

Meinung Immer wieder wird es gefordert und diskutiert, jetzt will die Ampelkoalition erneut Kultur als Staatsziel im Grundgesetz festschreiben. Das entlastet nicht nur Kulturschaffende, sondern fördert die Demokratie
Claudia Roth (Grüne) würde Kultur gerne als Staatsziel im Grundgesetz sehen
Claudia Roth (Grüne) würde Kultur gerne als Staatsziel im Grundgesetz sehen

Foto: Imago / Chris Emil Janßen

Die Zeiten sind hart. Insbesondere auch für die Kultur, die sich schon vor dem einschneidenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse mit Kürzung konfrontiert sah. Um die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen, wurde der Rotstift vielerorts zuerst an Theatern und Museen angesetzt. In naher Zukunft dürfte sich der erhöhte Druck auf die Etats – mitunter bedingt durch gestiegene Ausgaben für die Klimatransformation, die Verteidigung und eben durch die just verordnete Mahnung zu Haushaltskonsolidierung – erneut empfindlich auf die Mittel für beispielsweise Bühnenhäuser auswirken. Wahrscheinlich sogar ohne große Diskussionen, zählt doch die Kultur in den meisten Bundesländern zu den sogenannten „freiwilligen Ausgaben“ – heißt: Es gibt keine gesetzlich festgelegten Mindestbudgets.

Politiker:innen der Ampelkoalition wollen dieser Abwärtsspirale und Volatilität, der Künstler:innen in vielen zumeist klammen Regionen ausgesetzt sind, schon seit einiger Zeit einen Riegel vorschieben und haben sich kurz vor dem Jahreswechsel wiederholt für die Erklärung der Kultur zum Staatsziel ausgesprochen. Dazu müsste man es per Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz festschreiben, wodurch es auch zu einer Leitlinie für weiteres politisches Handeln auf sämtlichen Ebenen würde.

Folgen für die Kultur politisch berücksichtigen

Katrin Budde, Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestags, bezeichnete sie zuletzt als „ein Stück Daseinsvorsorge“. Ähnlich äußerte sich die zuständige Staatsministerin Claudia Roth. Aufgrund der Tatsache, dass „die Verteilungskämpfe (…) größer“ würden, stelle die Aufwertung dieses Bereichs eine „wegweisende Verantwortungsbekundung“ dar. Diese Einlassungen für schwärmerische Prosa zu halten, wäre ein Irrtum. Denn aus einem Verfassungsrang resultieren veritable Notwendigkeiten. In einem solchen Fall wären Kommunen und Länder nämlich verpflichtet, entsprechende Gelder für das kulturelle Leben einzuplanen. Ferner müssten bei allen politischen Entscheidungen Folgen für die Kultur berücksichtigt werden.

Die Empirie bestätigt dies. Seit Jahren rangieren etwa Sachsen und das mit ansonsten eher knappen finanziellen Möglichkeiten ausgestattete Bremen, die das für das Grundgesetz geforderte Staatsziel bereits in ihren Landesverfassungen ausweisen, auf vorderen Plätzen bei den Pro-Kopf-Investitionen für Kultur. Ersteres gab dem Kulturfinanzbericht 2022 zufolge im Jahr 2020 243,98 Euro, zweiteres 189,66 im Schnitt aus. Dagegen schneiden Länder, die keinen entsprechenden Passus oder eine lediglich sehr vage Formulierung in ihren Gesetzestexten aufweisen, deutlich schlechter ab.

Nun kann man die Auffassung von Markus Blume, dem für Kultur im Freistaat Bayern zuständigen Minister, teilen, wonach sich der Bund aus diesem der Länderhoheit unterliegenden Politikfeld raushalten solle. Vorausschauend oder gar gerecht wäre diese wettbewerbsföderale Position allerdings nicht. Zumindest dann nicht, wenn man in Theatern und Bibliotheken mehr als Unterhaltungsinstitutionen sieht. Während wir nämlich allerorten über schwindendes Vertrauen in die Demokratie klagen, sollten wir nicht gleichzeitig jene einschränken, die alltäglich Raum für Austausch, Begegnungen und mithin auch eine vitale Streitkultur schaffen. So wie der Sozialstaat die materiellen Grundlagen gewährleistet, so sichert sich ein zur Kultur bekennendes Gemeinwesen den gesellschaftlichen Kitt zu. Das Grundgesetz ist für dieses Bekenntnis das richtige Forum.

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