Senegal: Versuchung und Verzicht

Wechselstimmung Präsident Macky Sall beugt sich dem Druck der Straße und kandidiert nicht erneut. Oppositionspolitiker Ousmane Sonko führt die Proteste gegen das unter Druck geratene Establishment an. Wird er sich um das höchste Staatsamt bewerben können?
Ausgabe 31/2023
Seit einiger Zeit herrschen Unruhe und Chaos in dem sonst so stabilen westafrikanischen Land
Seit einiger Zeit herrschen Unruhe und Chaos in dem sonst so stabilen westafrikanischen Land

Foto: Guy Peterson/AFP/Getty Images

Es sind seltsam unruhige Zeiten – erst halten Massenproteste gegen eine mögliche dritte Amtszeit von Präsident Macky Sall das sonst so stabile westafrikanische Land in Schach, dann wird Ousmane Sonko, Initiator der Demonstrationen, unter Hausarrest gestellt und bei öffentlichen Auftritten von der Polizei schikaniert. „Unser Land gibt derzeit kein vorteilhaftes Bild ab“, sagt der senegalesische TV-Journalist Ndoffène Coumba. Tatsächlich ist der Spielraum für die Opposition sieben Monate vor der Präsidentenwahl beschränkt. Auch beim Ranking in Sachen Pressefreiheit baut Senegal erkennbar ab. Als es im Juni dann sogar zur Verurteilung Sonkos wegen einer mutmaßlichen Vergewaltigung kommt, zieht das die Menschen erst recht auf die Straße, was zu 16 Todesopfern führt.

Sonko, der nicht wegen Vergewaltigung, sondern lediglich wegen „Verführung von Minderjährigen“ – ein spezieller Passus im senegalesischen Strafrecht – zu zwei Jahren Haft verurteilt wird, steht seither in seinem Wohnhaus in Dakar unter Hausarrest. Der 48-Jährige will sich dennoch im Februar 2024 um das höchste Staatsamt bewerben. Das sei wegen der Verurteilung als Straftäter unmöglich, lässt ihn die Regierung wissen. Weil Ousmane Sonko von der linken Partei PASTEF Chancen hätte, Macky Sall von der sozialdemokratischen APR zu beerben?

Gasfeld im Atlantik

Sonko beschuldigt die jetzige Führung wie die Elite des Landes, ihre Macht zu missbrauchen. Dafür fehle es ihm nicht an Beweisen. Die senegalesische Demokratie leidet unter mangelnder Transparenz, sodass Wahlen letztlich auch eine günstige Gelegenheit bedeuten, an lukrative Ämter zu kommen. Was man brauchte, das wären Mechanismen, damit Politik nicht länger als Instrument der persönlichen und Clan-Bereicherung dient. Der panafrikanisch denkende Ousmane Sonko präsentiert sich in dieser Hinsicht als Gegenentwurf, für den es ein Leichtes ist, die Massen zu mobilisieren.

Seine Popularität hat viel damit zu tun, einer perspektivlosen Jugend eine authentische Stimme zu geben. Er will mehr Mitspracherechte, eine regionale Währung in Westafrika und den Verzicht auf blinde Gefolgschaft gegenüber der früheren Kolonialmacht Frankreich. Auch sollten die zu erwartenden Einnahmen im Energiesektor zugunsten des senegalesischen Volkes verteilt werden. Gemeint ist das Greater-Tortue-Ahmeyim-Gasfeld vor der Küste Senegals und Mauretaniens, aus dem Deutschland mutmaßlich ab Ende 2023 Flüssigerdgas (LNG) bekommen soll. Um das auszuhandeln, war Bundeskanzler Olaf Scholz im Mai 2022 eigens nach Dakar gereist. Im Augenblick jedoch stockt das Projekt. Laut British Petroleum (BP) und dem US-Betreiber Kosmos Energy wird die Pipeline aus diesem Gasfeld die Kraftwerke im Senegal nicht mehr vor der Wahl versorgen können.

Anfang Juli hat Macky Sall – seit 2012 im Amt – zur allgemeinen Überraschung verkündet, kein drittes Mal kandidieren zu wollen, obwohl ihm die Verfassung einen erneuten Antritt erlaubt hätte. Sall ließ sich 2019 zu seiner zweiten Amtszeit wiederwählen, die formal als die erste nach der Verfassungsreform von 2016 gezählt wurde. Die Opposition, dazu Teile der Bevölkerung, stellte das in Frage, um es auch auf der Straße kundzutun. Der Verfassungsrat hingegen gab dem 61-jährigen Sall zuletzt recht, was dem nicht viel brachte, als er feststellen musste, wie stark und entschlossen seine Gegner mittlerweile sind. Sie verkörpern den Willen zum Wandel und zeigen, dass ein System der „checks and balances“ durchaus Bestand hat.

„Senegal ist größer als meine Person“, erklärte Sall, „und es ist voller Leader, die genauso fähig sind, das Land voranzubringen.“ Wer hatte ein solches Statement erwartet? „Für mich hat er die richtige Entscheidung getroffen, andernfalls wäre vermutlich mit noch mehr Unruhe und Chaos zu rechnen gewesen“, meint der Journalist Coumba Ndoffène. Tage nach Salls Ankündigung, nicht zu kandidieren, starben nahe der Stadt Saint-Louis im Norden des Landes mehrere Menschen, die mit einem Flüchtlingsboot auf dem Atlantik unterwegs waren.

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