Linker Exodus aus Elon Musks X: Bluesky ist wie Twitter ohne AfD

Blauer Himmel Nach Elon Musks Unterstützung der AfD hält es viele Linke nicht mehr auf seiner Plattform X: Es gab einen Massenumzug zur neuen Plattform Bluesky. Das Wiedersehen ist herzlich, doch gibt es ein Problem: Zeit lässt sich nicht zurückdrehen
Wolken am blauen Himmel
Wolken am blauen Himmel

Foto: Robert Koorenny/Unsplash

Dass Elon Musk ein toxischer Mannjunge ist, der mit überdimensionalen E-Matchbox-Autos und digitalen Spielwiesen die Weltherrschaft an sich reißen will, ist inzwischen bekannt. Dass er noch dazu eine sehr rechte Weltsicht hat, wird auch immer klarer – spätestens jetzt, als er in einem Tweet öffentlich die AfD unterstützte. Auf Twitter, äh: X, zitierte Elon Musk das einwanderungsfeindliche italienische RadioGenoa, das die Unterstützung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer durch die deutsche Regierung mit den Worten kommentierte: „Hoffen wir, dass die AfD die Wahlen gewinnt, um diesen europäischen Selbstmord zu stoppen.“

Die linke Bubble auf Twitter reagierte entsprechend. Aufschrei – und Exodus. Denn nach dem an der Massenkompatibilität gescheiterten Mastodon gibt es nun eine weitere Alternative zum Twitter-X: Bluesky. Nur braucht man hierfür einen Einladungscode. „Wer hat noch invites?“, das waren die letzten Tweets, die man am Wochenende von Linken so auf X lesen konnte, und: „Kommt rüber, ist netter da.“

Das Wochenende war also von linker Fomo geprägt, auf der die letzten Linken auf die rettende Hand aus dem blauen Himmel hofften, die massenweise gereicht wurde. Codes wurden herumgeschickt, Hunderte in der linken Blase sehr erfolgreiche X-Nutzerinnen machten ihre Ankündigungen wahr und verließen das alte Twitter – um auf Bluesky ein fröhliches Wiedersehen zu feiern: Darunter Diskurs-Beeinflusserinnen wie der Publizist und ehemalige Promi-Twitterer Mario Sixtus, die linke Digitalexpertin Anne Roth, aber es kamen auch Kevin Kühnert, Saskia Esken und Lars Klingbeil an, willkommen geheißen von Sawsan Chebli (allesamt SPD-Twitterer), oder die DLF-Moderatorin Ann-Kathrin (Frau) Büüsker und der Soziologe Steffen Mau („Lütten Klein“).

Da schwelgte der blaue Himmel vor Wiedersehensfreude wie in einer neuen Staffel von Bridgerton: Eingeladen zum angesagtesten Ballauftakt der neuen Social-Media-Saison wird sich aufgeregt umgeschaut, wer sonst noch so alles dabei ist.

Was, wenn rechte Trolle von X zu Bluesky umziehen?

Und: wer nicht! Das große Thema nach der jüngsten Eintrittswelle: Wie verhindert man, dass das System rechter Trolle von X ebenfalls umzieht? Denn der Grund für den Massenexodus war ja nicht nur der Tweet des großen E-Matchbox-Jungen – X war für Linke auch einfach unaushaltbar geworden. Organisierte und (sehr gut) programmierte rechte Troll-Clans be-hateten Linke, Queere, Progressive und POCs auf Schritt und Tritt, kluge und sensible Stimmen verstummten immer mehr oder wurden unsichtbar, und was übrig ist, sind Weltuntergangs-Apologeten und sich-gegenseitig-Beschimpfende, kurz: eine einzige toxische Suppe.

Da kommt Bluesky genau zur, sagen wir: rechten Zeit. Die Twitter-Alternative ist aktuell in der Beta-Phase, die Sache mit den Einladungen soll temporär sein, das Programm sieht fast so aus wie das alte Twitter und Twitter-Gründer Jack Dorsey sitzt mit im Vorstand, es ist also wie eine Reise in die prä-musksche und prä-AfD-Vergangenheit.

Bluesky ist wie Berlin-Kreuzberg

Doch kann niemand die Zeit aufhalten, und dass sich Twitter auf diese Weise entwickelte, liegt nicht nur an dem Matchbox-Jungen. War Twitter in Deutschland jahrelang von einer eher links, liberal und progressiv tickenden Journalistinnen- und Politiker-Bubble geprägt, öffnete sie sich mit der Zeit – und mit der politischen Entwicklung – zunehmend für eine rechte Öffentlichkeit, die die Plattform unter X schließlich zu dominieren schien. Dass Linke sich hier nicht mehr wohlfühlen, liegt in der Natur dieses Rechtsrucks, der aber ja kein rein digitales Phänomen ist – sondern ein Abbild der analogen Welt. Dass Minderheiten hier nicht mehr sicher sind, das liegt leider ebenfalls in der Natur des Rechtsrucks und das macht seine Gefahr aus. X gibt ein Gefühl dafür, wie es sich anfühlt, in einer rechten Diskurshegemonie zu leben. Und: wer hier gerade noch leben kann, und wer nicht.

Nun ist X nichts weiter als ein blödes Programm auf einem blöden Smartphone, das man auch weglegen kann, und in der echten Welt liegt die AfD teils zwar bei 35 Prozent, aber das macht noch keine Hegemonie aus – und wenn man beschließen kann, AfD-dominierte Orte wie Teile von Görlitz in Sachsen oder Sonneberg in Thüringen zu verlassen, so kann man eben noch viel einfacher beschließen, X zu verlassen und in den blauen Himmel zu ziehen. Der blaue Himmel ist das digitale Pendant zu Leipzig oder Berlin-Kreuzberg.

Sichere Räume für Queere, POCs und Feministinnen

Das ist ein Segen für Queere, POCs und Feministinnen, denn hier kann man wieder vor die digitale Tür treten, ohne beschimpft und bedroht zu werden. Und es könnte auch ein Segen sein für alle Linken: Ein Ort, an dem man sich nicht an Rechten abarbeiten muss bei jedem Tweet, sondern sich ganz in Ruhe über linke Politik verständigen kann.

Nur passiert das nicht. Nach dem digitalen Massenumzug der linken Elite ist die Diskussion auf Bluesky vielfach von der Frage geprägt, ob man Rechte nun blockieren solle oder die Diskussion suchen, wie man zwischen Konservativ-Rechten und rechten Bot-Trollen eigentlich unterscheidet und wie demokratisch dieses Bluesky ist, wenn sich hier nur Linke tummeln dürfen, heißt: Auf Bluesky arbeitet man sich weiter an den Rechten ab, ob sie nun da sind oder nicht. Auch das ist rechte Hegemonie: Der linke Diskurs dreht sich um die Rechten, als wären sie die Sonne und wir die Planeten.

So erübrigt sich die Frage wohl, wie man die Rechten aus Bluesky heraushält: Sie sind längst da. Sie dominieren unsere Köpfe, Tweets und unsere politischen Diskussionen. Vielleicht ist ja nicht die Plattform das Problem. Sondern die linke Unfähigkeit, eine Idee für die Gestaltung eigener Räume zu entwickeln, eine Idee für die Gestaltung von Gesellschaft zu entwickeln, die so mitreißt, dass sie zur Sonne wird, um die herum sich alles andere dreht. Und was hilft ein blauer Himmel ohne Sonne?

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

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