Carlo Jordan, Oskar Brüsewitz, die DDR und die Kirche

Kolumne Nachdem der DDR-Bürgerrechtler und Politiker Carlo Jordan im vergangenen Dezember überraschend starb, wurde in einem nachlässig formulierten Nachruf Geschichte unachtsam umgeschrieben. Eine Einordnung von Karsten Krampitz
Ausgabe 02/2024
Der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz im Jahr 1976 in Rippicha
Der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz im Jahr 1976 in Rippicha

Foto: picture alliance/epd

Karsten Krampitz’ Promotionsschrift Der Fall Brüsewitz. Staat und Kirche in der DDR ist 2016 im Verbrecher Verlag erschienen. Für den Freitag schreibt er regelmäßig die Kolumne Sucht und Ordnung

Um Geschichte wurde schon immer gerungen, freilich auch um die richtigen Worte. Der Tagesspiegel brachte unlängst einen etwas nachlässigen Nachruf auf den überraschend verstorbenen DDR-Oppositionellen Carlo Jordan. Redakteur Frank Bachner erwähnte darin auch Oskar Brüsewitz, gegen dessen postume Diffamierung Jordan im Spätsommer 1976 protestiert hatte. „Der Geistliche hatte sich öffentlich verbrannt, um damit die Verfolgung der Kirche durch das SED-Regime anzuklagen.“ – Eine Christenverfolgung durch die Kommunisten?

Bischof mit Orden, Gehälter vom „SED-Regime“

Zur Erinnerung: Der Thüringer Bischof Mitzenheim bekam den Vaterländischen Verdienstorden in Gold, samt Ehrenspange. Sieht so Verfolgung aus? Das „SED-Regime“ überwies den Kirchen Jahr für Jahr Staatsleistungen in zweistelliger Millionenhöhe. Also bezahlten die Verfolger die Gehälter der Verfolgten? Noch im Frühjahr 1976 hatten sich evangelische Bischöfe an der Debatte zum neuen SED-Programm beteiligt, hatte doch das Neue Deutschland Leser zur Wortmeldung aufgerufen. In einem persönlichen Brief an Staatssekretär Seigewasser hatte der Kirchenbundvorsitzende Albrecht Schönherr darum gebeten, die Meinungsäußerung der Konferenz der Kirchenleitungen zur Geltung zu bringen an „zuständiger Stelle“. Mit Erfolg: Im Vergleich zum alten Programm und Statut der Partei wurde ein verloren gegangener Passus zur Religions- und Gewissensfreiheit wie auch zur Gleichheit aller DDR-Bürger unabhängig von ihrer Weltanschauung wieder in den Text aufgenommen. Ein kirchenhistorisch einmaliger Vorgang!

Was nun Oskar Brüsewitz betrifft: In Deutschland versuchen jedes Jahr ungefähr hundert Menschen, sich mit Feuer das Leben zu nehmen; jeder Dritte von ihnen stirbt an den Verletzungen, so der Pfarrer und Psychotherapeut Christian Braune in seiner Studie Feuerzeichen. Warum Menschen sich anzünden. Braune hat lange Zeit am Zentrum für Schwerbrandverletzte im Unfallkrankenhaus Hamburg-Boberg gearbeitet und sieht in jedem Feuersuizid ein Schicksal, eine buchstäblich brennende Frage. Nur welche?

Unter dem Dach der Kirche

Reinhard Henkys, in der EKD seinerzeit Experte zum Thema „Kirche im Sozialismus“, hielt ein halbes Jahr nach dem Flammentod des Oskar Brüsewitz einen bemerkenswerten Vortrag – in Rotenburg an der Fulda auf dem Parteitag der „Exil-CDU“ (damals jener Landesverband der Union, der eigens für Mitglieder gegründet worden war, die aus der DDR vertrieben oder geflüchtet waren). Über den Pfarrer aus Rippicha im Kreis Zeitz resümierte Henkys: „Tatsächlich ist sein Tod nicht so einfach und klar zu deuten.“ Ein aktueller politischer Anlass für seine Tat sei nicht nachweisbar und von Brüsewitz nicht genannt worden. Der SED-Parteitag kurz zuvor habe keine Verschärfung der kirchenpolitischen Situation gebracht, eher im Gegenteil. Auch sei die Erziehung der Jugend zum Hass und die Diskriminierung christlicher Kinder nicht verschärft worden. „Die Situation, auf die Brüsewitz reagierte, bestand schon seit Jahren.“ Und leider habe Brüsewitz nicht über die publizistische Verwertung des von ihm gesetzten Zeichens verfügt. „So ist ihm sein Tod von vielen genommen, entfremdet genutzt und vermarktet worden.“

Und die Kirche in der DDR? War eine „Kirche in der ideologischen Diaspora“, wie es Werner Krusche, Brüsewitz’ Bischof in Magdeburg, 1973 formuliert hat: „Die Diaspora-Situation ist bei uns nicht die einer verfolgten oder gewaltsam bekämpften, wohl aber die einer in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkten Kirche“, die an Mitgliedern noch schrumpfen sollte, aber gleichzeitig an gesellschaftlichem Einfluss gewann. Dies auch, weil unter dem Dach der Kirche Menschen wie Carlo Jordan einen gewissen Schutz fanden.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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