Sozialfonds statt Schreibtischlinke: So wäre eine andere Partei möglich gewesen

Kolumne Die Parteielite zerfleischt sich, eine Wagenknecht-Partei wird auch nicht viel ändern. Stellen wir uns vor, nach der Bundestagswahl hätte die Linksfraktion einen Neuanfang gewagt!
Ausgabe 37/2023
Also liebe Linkspartei, nochmal von vorne ...
Also liebe Linkspartei, nochmal von vorne ...

Foto: Fabian Sommer / picture alliance / dpa

Sucht und Ordnung

Die Kolumne „Sucht und Ordnung“ von Karsten Krampitz erscheint einmal im Monat. Ihr Titel geht auf sein gleichnamiges Theaterstück zurück, eine „Bettleroper“, die 2014 beim Klagenfurter Ensemble Premiere feierte. Karsten Krampitz ist Historiker, Schriftsteller und Journalist.

Unterm Pflaster liegt der Strand. Die 68er-Spontis erzählten sich früher eine Geschichte vom Studenten, der einen betagten Anarchisten anspricht: „Hör mal, Genosse! Ein Leben ohne Herrschaft und in sozialer Gerechtigkeit mag eine schöne Idee sein, aber leider nicht möglich.“ Worauf der Alte nicht lange überlegt: „Natürlich ist es unmöglich. Aber siehst du denn nicht, dass alles, was in diesem Land möglich ist, nichts wert ist?“

Nehmen wir nur Die Linke, die Partei sein wollte, für die Schwachen, die Fremden und Kaputten. Alle Verhältnisse wollte sie umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. – Nur ist dafür gerade keine Zeit. Die Parteielite steckt in der Krise. Selbstzerfleischung, staatlich subventioniert, als Mitglied des Bundestags etwa mit 10.591,70 Euro brutto im Monat. Wenigstens die eigenen Verhältnisse haben sich gebessert.

Das Paradoxon linker Politik

Am Paradoxon linker Politik wird auch eine Sahra-Wagenknecht-Partei nichts ändern; die Vorsitzende wird – auf nationaler Ebene – nach Umverteilung rufen, aber von den eigenen Privilegien nichts abgeben. Wagenknecht war nie Rock ’n’ Roll, nicht mal Luftgitarre. Eine andere Partei aber war möglich.

Stellen wir uns vor, dass nach der Wahlschlappe im September 2021 die verliebenden linken Bundestagsabgeordneten Konsequenzen gezogen hätten aus der Entfremdung von den Arbeitslosen, den Leuten mit Niedriglohn und den Alleinerziehenden. Man hätte sich auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt: Armut lässt sich nur mit Geld bekämpfen. Wir fangen an! Keine peinlichen Charity-Schecks mehr bei irgendeinem Fototermin. Nicht doch!

Millionen für soziale Projekte

Jedes der 39 Fraktionsmitglieder wollte fortan, nach dem Vorbild der KPÖ Graz, 3.000 Euro pro Monat in einen Sozialfonds einzahlen. Über die Verteilung der Spenden sollte ein von Fraktion und Partei unabhängiges Gremium entscheiden: Streetworker, Aktive aus der Flüchtlingshilfe, aus Frauenhäusern etc. Die Jury würde halbjährlich wechseln. Und nach und nach hätten sich die Kontakte in Bindungen verwandelt, in produktive Netzwerke.

Die Linksfraktion hätte monatlich 117.000 Euro rausgehauen und damit seit zwei Jahren sozialen Projekten und Leuten in Not geholfen, mit immerhin 2,8 Millionen Euro! Aus Schreibtischlinken wären erlebbare Menschen geworden; die Partei stünde heute besser da. Aber vor allem: woanders.

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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