Rüstungsausgaben: Scholz nimmt ein ganzes Land in Haftung

Meinung Deutschland will kriegstüchtig und NATO-kompatibel sein. Zwei Prozent des erwirtschafteten Bruttoinlandsproduktes dafür aufzuwenden, das soll nun allzeit verbindlich bleiben. Die damit einhergehenden Mehrkosten werden verschwiegen
Höhere Ausgaben für Rüstungsgüter bedeuten höhere Steuern, gekürzte Sozialausgaben, weniger öffentliche Investitionen und eine krasse Mehr-Verschuldung des Staates
Höhere Ausgaben für Rüstungsgüter bedeuten höhere Steuern, gekürzte Sozialausgaben, weniger öffentliche Investitionen und eine krasse Mehr-Verschuldung des Staates

Foto: Chris Emil Janßen/Imago Images

Politiker werden zuweilen über ikonografische Bilder erinnert. Zum Beispiel Gustav Stresemann, Ende der 1920er Jahre Außenminister und passionierter Spaziergänger im Berliner Tiergarten, unterwegs ohne jeden polizeilichen Schutz, um zu zeigen, dass man den in einer friedfertigen Republik, für die er sich einsetzte, nicht brauchte.

Bei Willy Brandt war es 1970 der Kniefall von Warschau am Denkmal für die Helden des Ghettoaufstandes (1943), der sich tief eingeprägt hat. Doch verdienten es auch die Bilder einer Bootsfahrt mit dem sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew im September 1971 vor der Krim, bewahrt und zitiert zu werden. Ob sie von politischem Einvernehmen zeugten, mochte fraglich sein, doch glaubte man entspannte Vertrautheit zu erkennen, als sich Brandts „neue Ostpolitik“ durch solche Begegnungen auszahlte.

Einer seiner Nachfolger als SPD-Kanzler hat zu Wochenbeginn einer ganz anderen Optik Geltung verschafft. Olaf Scholz lief beim Rüstungskonzern Rheinmetall durch Werkstraßen, die Kanonen und Schützenpanzer säumten, um sich eines Markenzeichens zu versichern, das durch Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit an Tiefenschärfe gewinnt. Solches Gebaren konterkariert, was Brandt einst durch eine kooperative Sicherheitsordnung mit der Sowjetunion und dem gesamten Ostblock versuchte.

Fortan soll sich an der Zwei-Prozent-Quote nichts mehr ändern

Da passt es ins Bild, wenn die Regierung Scholz nun mit einiger Genugtuung vermeldet, dass Deutschland in diesem Jahr die Zwei-Prozent-Abgabe an die Aufrüstung einhält, sprich: zwei Prozent des erwirtschafteten Bruttoinlandsproduktes (BIP) dafür aufwendet. Man ist demnach absolut NATO-kompatibel. Als diese Marke 2002 erstmals in der Abschlusserklärung des Prager NATO-Gipfels auftauchte, stimmte die damalige, ebenfalls sozialdemokratisch geführte Regierung des Kanzlers Gerhard Schröder ausdrücklich zu.

Fortan soll sich daran nichts mehr ändern. Es lohnt daher, genauer hinzuschauen, um zu wissen, was das bedeutet. Gegenwärtig werden für das laufende Jahr die 73 Milliarden an Rüstungs- und Bestandsausgaben für die Bundeswehr auch deshalb erreicht, weil das 2022 aufgelegte „Sondervermögen“ von 100 Milliarden in die Berechnung einfließt und dafür eingesetzt wird. Bleibt es in den nächsten Jahren bei vergleichbaren „Zuschüssen“, fließen jeweils 20 bis 25 Milliarden Euro aus diesem schuldenfinanzierten Sonderfonds ab, sodass der in drei Jahren aufgebraucht sein dürfte.

Die Konsequenz, 2028 müssten die in seriösen Prognosen, etwa vom Münchner Ifo-Institut, auf 85 Milliarden Euro veranschlagten Rüstungsausgaben allein aus dem Bundeshaushalt aufgebracht werden. Ausgehend vom offiziellen Verteidigungsetat 2024 mit 52 Milliarden Euro wäre das ein Sprung um 33 Milliarden, die woher kommen und zu Lasten welcher Haushaltsposten finanziert werden sollen?

Vorerst hat sich die CDU-Führung von Roderich Kiesewetter distanziert

Eine offene Frage. Den CDU-Politiker, Oberst a.D. Roderich Kiesewetter, hat sie veranlasst, statt der 100 besser 300 Milliarden für diesen Parallelhaushalt zu verlangen, „damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird“. Vorerst hat sich die CDU-Führung davon distanziert. Sie könnte kaum länger über die Schuldenbremse und deren Einhaltung schwadronieren, andererseits aber Schattenhaushalten, die nur über massive staatliche Kreditaufnahme zu bestreiten wären, das Wort reden.

Was Leute wie Kiesewetter umtreibt, ist die Gewissheit, dass zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für die Verteidigung nur über höhere Steuern, gekürzte Sozialausgaben, weniger öffentliche Investitionen und eine krasse Mehr-Verschuldung des Staates zu haben sind. Ganz zu schweigen von Abstrichen, die als Kompensationen für die Folgen des Klimawandels unerlässlich sind.

Auch Olaf Scholz dürften absehbare Finanzierungslücken nicht entgangen sein, aber er geht darüber hinweg, um zu verschleiern, wie sehr das Land und seine Bürger für einen Zwei-Prozent-Rüstungshaushalt nicht nur vereinnahmt, sondern zur Kasse gebeten werden. Man kann erwarten oder darf hoffen, dass Scholz 2028 nicht mehr regiert. Aber er stellt jetzt die Weichen und bietet Deutschland innerhalb einer verunsicherten NATO als Führungs- und Frontstaat an, die das dankbar annimmt.

Es hat also etwas Diabolisches, der Sorge um den Frieden Ausdruck zu geben

Der Ruf nach Frieden und Verhandlungen für die Ukraine hingegen wird trotz deren prekärer Lage nicht nur verworfen, sondern seit nunmehr zwei Jahren systematisch denunziert und verunglimpft. Im Sommer 2022 kam Scholz jede Contenance abhanden, als er bei einer Kundgebung Demonstranten, die gegen fortgesetzte Waffenlieferungen an Kiew protestierten, als „gefallene Engel“ beschimpfte, „die aus der Hölle kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden“.

Mit anderen Worten, es hat etwas Diabolisches, der Sorge um den Frieden Ausdruck zu geben, indem verlangt wird, einen Krieg zu beenden, statt ihn immer weiter anzuheizen, sodass Grauen und Zerstörung nicht abreißen. Seit Scholz Friedensaktivisten beschimpfte, sind nicht nur anderthalb Jahre vergangenen, es gibt in der Ukraine, und es gibt auf russischer Seite Hunderttausende von Kriegstoten mehr, einen Verlust an ziviler Infrastruktur im Kriegsgebiet, die für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte irreversibel sein wird.

Ein Regierungschef, der darauf vereidigt ist, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, sollte wissen, was unter diesen Umständen zu tun ist.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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