GDL und Co. im Arbeitskampf: Streiks sind in Deutschland schon genug „eingehegt“

Meinung Kaum machen Beschäftigte in Deutschland ernst, wird ihnen vorgeworfen, ihre Arbeitsniederlegungen seien nicht „verhältnismäßig“. Die Forderung nach einer verpflichtenden „Schlichtung“ vor den Streiks wurde laut. Warum das realitätsfern ist
Ausgabe 07/2024
Lufthansa-Mitarbeiter streiken am 7.Februar 2024 in Frankfurt am Main
Lufthansa-Mitarbeiter streiken am 7.Februar 2024 in Frankfurt am Main

Foto: Thomas Lohnes/ Getty Images

Die jüngsten Streiks auf den Flughäfen, im Nah- und Fernverkehr schlagen Wellen – auch in der Presse. Das ist nicht selbstverständlich, berichten doch streikende Beschäftigte oft davon, wie schwer es ist, die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen. Doch hier streiken nicht Einzelhandelsbeschäftigte, Krankenpfleger oder Erzieher in der Kita. Stattdessen wurde der Verkehr lahmgelegt. Das ist in Deutschland immer ein sensibles Thema. Das, plus die Nachricht, dass die Gewerkschaften an Mitgliedern gewinnen (zumal an jungen Menschen und im Osten), scheint viele Redaktionen unvermittelt getroffen zu haben. Jetzt sind sie auf der Suche nach Antworten: Wo kommen denn jetzt auf einmal die Gewerkschaften wieder her?

Doch genauso schnell, wie sich viele Redaktionen für die Gründe der Streiks interessierten, wurden auch Mahnungen nach Verhältnismäßigkeit laut. Vor allem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hätte „den Bogen überspannt“, konnte man nach ein, zwei Tagen lesen. „Für die Menschen ist die Stimmung jetzt gekippt“, stand da. Da fragte man sich schon, ob die Kollegen bloß sich selbst befragt hatten …

Ein Vorschlag zur Vermittlung lag schnell vor: Dem Streik vorgeschaltet werden sollen Schlichtungen. Solche Ideen verkennen aber das Ungleichgewicht zwischen den Beschäftigten und ihren Arbeitgebern. Denn Arbeitskampf ohne Streik ist nur „kollektives Betteln“. Das ist nicht etwa ein Zitat von GDL-Chef Claus Weselsky, sondern des Bundesarbeitsgerichts, welches im Wesentlichen das Streikgeschehen in Deutschland regelt und erkannt hat, dass Beschäftigte nur wenige Mittel haben, um ihre Interessen durchzusetzen. Tarifauseinandersetzungen sind in Deutschland sowieso schon eingehegt: Es herrschen vereinbarte Friedenspflichten, es dürfen lediglich Lohnforderungen und keine politischen Forderungen gestellt werden.

Außerdem brauchen Streiks lange Vorbereitungszeit, Ansprache von Kollegen und untereinander. Gerade in jüngster Zeit fordern viele Beschäftigte verkürzte Arbeitswochen auf Grund hoher Arbeitsbelastung. Und trotzdem müssen sie Streiks vorbereiten, um diese Forderungen überhaupt erst aufzustellen. Wer jetzt von „Verhältnismäßigkeit“ spricht, ignoriert die verzweifelte Lage vieler Menschen – und die vielen Jahre, in denen sie immer wieder zurückgesteckt haben, weil gerade Eurokrise oder Corona war, weil der Betrieb zusammengestrichen wurde oder der Arbeitgeber mal wieder mit Abwanderung gedroht hat.

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