Eine Kollegin erzählte vor kurzem, dass ihr immer Fische unter die Kleider schwammen, als sie in ihrer Kindheit im Meer vor der Küste Vietnams badete. Heute sind die Fische weg und ihre eigenen Kinder halten die Geschichte für weit hergeholt. Ein anderer Kollege erinnerte sich an eine Erfahrung, die er erst vergangenes Jahr im südafrikanischen Kapstadt – einem der begehrtesten Tourismusziele der Welt – machte: Mehr als zwei Millionen Menschen waren betroffen, als aus den Wasserhähnen aller Haushalte, Firmen und Geschäfte kein einziger Tropfen Wasser mehr kam.
Diese Vorfälle an Orten, die auf der jeweils anderen Seite der Welt liegen, sind beides Gesichter desselben Problems: sie zeigen den unerbittlichen Druck, den wir auf die Artenvielfalt ausüben, aber auch den Beitrag, den die Natur zu unserem Wohlbefinden leistet, und, wie wir Menschen das Klima der Erde verändern.
Die große Vielfalt der Erde versorgt uns mit der Nahrung, die wir essen, dem Wasser, das wir trinken und der Luft, die wir atmen. Darüber hinaus sorgt sie für zahllose Momente der persönlichen Inspiration, die Menschen erleben, wenn sie Zeit in Wäldern und Bergen verbringen, Strände und Flüsse erkunden oder auch nur in einem stillen Moment dem Gesang eines Vogels lauschen.
Unser grenzenloser Konsum
Wir sind alle davon ausgegangen, dass die Natur immer für uns und unsere Kinder da sein würde. Doch unser grenzenloser Konsum, das kurzsichtige Vertrauen auf fossile Brennstoffe und unsere nicht nachhaltige Nutzung der Natur bedroht jetzt ernsthaft unsere Zukunft. Umweltschützer, Wissenschaftler und indigene Völker läuten seit Jahrzehnten die Alarmglocke. Über diese Zeit hinweg ist die Erkenntnis, dass wir unseren Planeten über die Maße ausbeuten, gewachsen und steht jetzt mit grimmiger Klarheit vor uns. Wir befinden uns in einer Ära des rasant sich beschleunigenden Artensterbens und stehen kurz vor einem nicht mehr umkehrbaren Verlust von Pflanzen- und Tierarten, Lebensräumen und lebenswichtigen Nutzpflanzen. Gleichzeitig beobachten wir die schrecklichen Auswirkungen des globalen Klimawandels.
Allein im Jahr 2018 gab es tödliche Hitzewellen in Europa und Südostasien, während die USA schwere Überflutungen und Waldbrände erlebten. Versicherungsgesellschaften gingen pleite, weil sie nach extremen Wetterereignissen die Kosten für den Wiederaufbau nicht tragen konnten.
Es ist eine steigende Welle kollektiver Wut und Beängstigung zu beobachten. Das Schreckgespenst solcher Umweltschäden hat – insbesondere bei der Jugend weltweit – große Besorgnis über unsere Unfähigkeit ausgelöst, unsere Gesundheit, Produktivität, Sicherheit und unser Wohlergehen zu erhalten. Die neuen Realitäten haben den Vorhang zurückgezogen und Initiativen wie das Verbot von Plastikstrohhalmen als den Tropfen im Ozean entlarvt, der sie wirklich sind, wenn es darum geht, die Zukunft zu sichern – für uns, unsere Kinder und alle Arten, mit denen wir den Planet teilen. Es geht jetzt um nichts weniger als all die Tiere, Insekten, Pflanzen und all die Lebensräume, in denen sie leben.
Trotz der massiven Bedrohung der Biovielfalt wurde lange Zeit der Klimawandel für die dringlichste Umweltsorge gehalten. Das hat sich diese Woche in Paris geändert, als Vertreter von 130 Nationen die umfassendste je erstellte Studie zum Stand der globalen Biodiversität annahmen.
Der unter Führung des Internationalen Weltbiodiversitätsrats (IPBES) verfasste UN-Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die Natur in einer in der Geschichte beispielslosen Geschwindigkeit erodiert.
Eine Million Pflanzen- und Tierarten sind bedroht
Eine Million Pflanzen- und Tierarten sind demnach vom Aussterben bedroht. Außerdem untergraben wir die gesamte natürliche Infrastruktur, von der unsere moderne Welt abhängt. Die Natur treibt die menschlichen Unternehmungen an – unterstützt unsere Produktivität, Kultur, ja sogar unsere Überzeugungen und Identität. Aber unsere Ökonomien, Existenzgrundlagen, Nahrungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität sind bedroht. Wir beuten die Natur schneller aus, als sie sich regenerieren kann.
Die IPBES-Untersuchung hat die starke Wechselbeziehung zwischen Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt und dem menschlichen Wohl aufgezeigt. Der Klimawandel wurde als Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt identifiziert, der bereits jetzt jeden Teil der Natur verändert. Gleichzeitig trägt der Artenverlust zum Klimawandel bei. Wenn wir Wälder zerstören, setzen wir Kohlendioxid frei, das bedeutendste „vom Mensch produzierte“ Treibhausgase.
Wir können die Bedrohungen durch den von Menschen verursachten Klimawandel und Biodiversitätsverlusts nicht isoliert bekämpfen. Wir lösen entweder beide Probleme oder keines von beiden.
Der IPBES-Bericht zeigt, dass die Regierungen und Unternehmen nirgends auch nur annähernd genug tun. Weil wir die Natur nur schlecht verwalten, ist die Welt gerade dabei, die Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens ebenso zu verfehlen wie die Aichi-Biodiversitätsziele und 80 Prozent der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Nahrungs-, Wasser- und Energiesicherheit).
Die gute Nachricht ist, dass es sehr viel politische Strategien und Technologien gibt, die den globalen Temperaturanstieg beschränken werden und einen Lösungsansatz für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt bieten. Diese sind auch unsere letzte und beste Chance, den menschgemachten Klimawandel zu begrenzen und eine größtmögliche biologische Vielfalt zu erhalten. Mit der Art und Weise, wie wir unsere Energie produzieren und nutzen, wie wir Landwirtschaft betreiben, die Böden nutzen, die Küstenökosysteme schützen und unsere Wälder behandeln, steht und fällt unsere Zukunft. Letztlich lässt sich damit auch unsere Lebensqualität verbessern.
Die Zeit wird knapp
Noch haben wir Zeit, das Ruder herumzureißen. Allerdings ist diese Zeit beschränkt. Und einfach wird es nicht. Erforderlich sind massive Veränderungen: von der Abschaffung von Subventionen, die zur Zerstörung der Natur und zur künftigen Erwärmung der Erde beitragen, bis hin zur Umsetzung von den Umweltschutz fördernden Gesetzen. Gefragt sind auch die Reduzierung unserer wachsenden Abhängigkeit von Energie aus fossilen Brennstoffen und der Verbrauch von Rohstoffen sowie ein grundsätzliches Überdenken der Definition eines erfüllten Lebens.
Unser derzeitiges Landwirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr. Wenn wir weiterhin Nahrung mittels der vorherrschenden, nicht nachhaltigen Agrarpraktiken produzieren, untergraben wir damit die Nahrungsmittelproduktion in der Zukunft. Dabei sind bereits genügend Nahrungsmittel im Umlauf. Heute gehen 815 Millionen Menschen abends hungrig ins Bett, 38 Millionen mehr als 2015. Gleichzeitig ist die Lebensmittelverschwendung enorm. Wäre sie ein Land, würde der mit ihr verbundene Treibhausgas-Ausstoß sie mit acht Prozent der Emissionen nach China und den USA weltweit auf Platz drei bringen. Wir müssen die staatlichen Subventionen in nachhaltigere und regenerative Landwirtschaft umlenken. Das wird nicht nur dazu führen, Kohlenstoff zu absorbieren und den Ausstoß anderer Treibhausgase zu reduzieren. Es kann auch die erschreckende Dynamik aufhalten, wenn Anbauflächen so überfrachtet werden, dass dort schließlich überhaupt keine Anbaupflanzen mehr wachsen.
Wir können uns die Kosten des Nichtstuns schlicht nicht leisten. Ein Wandel mit dem erforderlichen Ausmaß bedeutet ein anderes Leben für alle, aber wenn nichts getan wird, sind die Kosten noch viel höher. Die G7-Umweltminister, die jüngst im französischen Metz zu einem Vorbereitungstreffen für einen G7-Gipfel im August in Biarritz zusammen kamen, haben die Chance, mit dem frisch angenommenen IPBES-Bericht in der Tasche in ihre Hauptstädte zurückzukehren. Die Welt braucht sie, um den derzeitigen Stand der Krise in das Treffen der Staatschefs zu tragen.
Während Politiker auf der ganzen Welt mit der zweifachen Bedrohung von Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt kämpfen, ist entscheidend, dass sie die Verbindung zwischen den beiden verstehen, damit ihre Entscheidungen und Maßnahmen beide Probleme angehen.
Die Welt muss erkennen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt und der menschengemachte Klimawandel keine rein ökologischen Themen sind, sondern auch Entwicklung, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte, Sicherheit, Gleichheit und moralische Fragen betreffen. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, jetzt zu handeln. Wenn wir es nicht tun, werden es uns unsere Kinder und zukünftige Generationen nie vergeben.
Kommentare 10
"Während Politiker auf der ganzen Welt mit der zweifachen Bedrohung von Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt kämpfen, ist entscheidend, dass sie die Verbindung zwischen den beiden verstehen, damit ihre Entscheidungen und Maßnahmen beide Probleme angehen.Die Welt muss erkennen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt und der menschengemachte Klimawandel keine rein ökologischen Themen sind, sondern auch Entwicklung, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte, Sicherheit, Gleichheit und moralische Fragen betreffen."
!!!
Zugegeben, so vehement kämpfen die POLITIKER gar nicht, sie lassen vielmehr konsequentes Handeln vermissen. Doch die Schuld allein bei ihnen abzuladen, ist falsch. Wenn ich mir das reale Konsumverhalten ansehe, müssen wir alle noch viel dazulernen und vor allem endlich anders handeln. Zwischen Umweltrhetorik und der täglichen Praxis klafft nämlich noch eine große Kluft. Das Wahlverhalten ist ebenso wenig förderlich. Trotz der existenziellen Bedrohung werden nach wie vor (wenngleich mit abnehmender Tendenz) hauptsächlich Parteien gewählt, die für das traditionelle Wirtschafts- und Wachstumsmodell stehen. Wir haben alle noch nicht richtig kapiert, welcher Tsunami da auf uns zurast.
''Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, jetzt zu handeln'' und die imperialistische Gesellschaftsformation zu überwinden und aufzuheben.
Wir brauchen demokratisches Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmitteln. Gemeineigentum an: Grund und Boden, Luft und Wasser, Rohstoffen und Bodenschätzen, Tier -Natur- und Pflanzenwelt. Die Überführung aller Konzerne, Monopole, Immobilien, Villen und Aktiengesellschaften in demokratisches Gemeineigentum. Die Aufhebung der sozioökonomischen Existenz der Bourgeoisie, insbesondere der Finanz- und Monopolbourgeoisie. Deren soziale, ökonomische und demokratische Gleichstellung mit der großen Mehrheit der Erwerbsbevölkerung. Dazu gehört auch die entschädigungslose Enteignung von deren Kapital und (persönlich leistuungslosen) Privatvermögen. Ziel ist die demokratische, freiheitliche und menschenrechtliche Gleichheit aller Menschen - von Geburt an! Gleichheit beinhaltet keine ''Gleichmacherei'', wie bürgerliche Ideologen der Bourgeoisie es gerne behaupten. // Wir brauchen Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln für die Schaffung einer hochqualitativen und sozioökologischen Kreislaufwirtschaft. Dafür müssen wir den Kapitalismus beseitigen. Auf der Grundlage der sog. ''Marktwirtschaft'', bzw. ''sozialen Marktwirtschaft'' [Kapitalismus] können wir die Umwelt, Natur, Tier und Menschheit nicht schützen. {...}
09.05.2019, R.S.
und so affirmativ: statt überhaupt ein Problem zu lösen.
Das mag ich ja:entweder bifurkationen oder wehklagen.
Danke für die klaren Worte........
"Allein im Jahr 2018 gab es tödliche Hitzewellen in Europa und Südostasien, während die USA schwere Überflutungen und Waldbrände erlebten."
Sorry, genau dieses ist der Punkt, der unseriöser nicht geht. TÖDLICHE Hitzewellen.
Nein, das war nicht ein besonders heißes Jahr. Die Wärme war auch nicht tödlicher als in manchen anderen Jahren. Und wieso überhaupt "tödliche Hitze". Welche Temperatur hätten sie denn gerne und wann war es denn mal so?
Tödliche Kälte mag wohl auch keiner.
Heute hat s geregnet, das ist der Klimawandel und so kühl wie dieser Mai gab es noch keinen.
#Fridays4Future: NATO Kriege? 'Nicht unser Thema'.
»Weiß die Jugend, dass für das Silizium in ihren Handys chilenischen Ureinwohnern das Wasser weggenommen wird, da Minenfirmen wie FMC oder Albemarle für die Herstellung von einer Tonne Lithiumsalz zwei Millionen Liter Wasser benötigen?
Was nützen uns E-Auto und tolles Klima, wenn wir eine weitere 3. Welt schaffen?
Bei Protesten zu diesen Themen fehlt die Jugend. Ist es ein Versagen der Bildungspolitik? Ist die Friedensbewegung eingeschlafen? Hat die Friedensbewegung komplett versagt? Oder ist #Fridays4Future eine geschickt inszenierte Kampagne zum Ankurbeln der Wirtschaft?«
Siehe: Ein kurzes Gespräch am Rande des Ostermarsches in Dresden mit Dirk Pohlmann und Julia Szarvasy. Das Interview führte Sascha Vrecar.
Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=a7W7Nt3E9Es
10.05.2019, R.S.
>>Nein, das war nicht ein besonders heißes Jahr.<<
Stimmt, der Sommer 2015 (schon vergessen, Dr. Alzheimer lässt grüssen) war heisser. Im Juli und August hier ebenfalls ohne Regen. Rasenflächen im August gelbbraun, und beim Gehen raschelte das abgefallene Baumlaub unter den Füssen: Gespenstisches Szenario.
2018 war längerzeitig trocken, aber nicht so heiss wie 2015.
>>Heute hat s geregnet,...<<
Hier auch, und im Januar wurde über das "Schneechaos" gejammert.
Wer sich die bekannten Diagramme anschaut sieht, dass sie zackig verlaufen. Eine Jahreszacke ist Wetter, der Verlauf der Zackenlinie über mehrere Jahrzehnte ist Klima.
Dass mit zunehmenden Extremwetterlagen zu rechnen ist hat sich bislang bestätigt: Tendenziell zunehmende Hitzewellen, zunehmende Trockenphasen, zunehmende Starkregen mit Überflutungen*, zunehmende Windstärken auch in Mitteleuropa. Nur nicht in jedem Jahr alles zugleich ;-)
*wäre der Starkniederschlag des diesjährigen Janaurs im April gefallen, dann wäre es Starkregen mit Überschwemmungen gewesen. Der Schnee hingegen konnte abgebaggert werden und zu grossen "Gletschern" aufgeschüttet, die mittlerweile via Donau im Schwarzen Meer verschwunden sind. Falls der Sommer wieder sehr trocken wird werden wir sie vermissen.
>>Wir brauchen neue Parteien, die bereit sind, alternative Wirtschaftsordnungen anstelle des Kapitalismus zu setzen,...<<
Die dann auch wieder per Firmenspenden, "Sponsoring", "Beraterverträge" und sonstige Korruptionsmodi gekauft werden.
Eher könnte eine breit angelegte ausserparlamentarische Bewegung Zwänge nach oben ausüben: Die französischen Gelbwesten sind noch nicht Alles, aber offenbar inhaltlich entwicklungsfähig. Das halte ich für richtungweisend.
Lieber Robert Watson, stellen Sie Ihren Chemiker nicht so raus, daß ist blamabel. Es gibt keine Plastik-Stroh-Halme. So hat es die EU auch nicht geschrieben. Hier fängt seriöser Journalismus an. Auch für Sie gilt, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Und wenn Sie die Niederungen nicht mögen, lassen Sie es und sonnen Sie sich!