Mathias Döpfner: Das Unwissen des Besserwessis

Meinung Ostdeutschland als Agrar- und Produktionszone mit Einheitslohn? Die Gedanken von Springer-Chef Mathias Döpfner zeigen sein dröhnendes Unwissen. „Typisch Besserwessi!“, findet Marlen Hobrack
Ausgabe 16/2023
Matthias Döpfners Aussagen sind – so wie die der „Bild“ – menschenverachtend, nicht selten sexistisch und rassistisch
Matthias Döpfners Aussagen sind – so wie die der „Bild“ – menschenverachtend, nicht selten sexistisch und rassistisch

Foto: Imago/Jürgen Ritter

Neulich stehe ich im Supermarkt sinnierend vor dem Zeitschriftensortiment. Soll es Mein schöner Garten sein oder doch lieber, sehr traditionell, die Gartenflora? Da stößt mich eine Rentnerin sanft mit ihrem Rollator zur Seite, um zur Bückware greifen zu können: Dutzendfach ausgebreitet liegt die Bild zu ihren Füßen. Und ich wundere mich noch, warum das Blatt nicht prominenter präsentiert wird. Der Laden hat Anspruch, denke ich, Zeit und Süddeutsche Zeitung und FAZ stehen auf Augenhöhe, nur greift keiner zu.

Mit den Ostdeutschen und den Zeitungen ist es so eine Sache; ich habe oft darüber geschrieben. Von Kleinstauflagen eigentlich bedeutender Zeitungen und Magazine mal abgesehen, scheinen wir Ossis so eine Art masochistische Lust an unserer eigenen Erniedrigung zu erleben. Wie sonst könnte es sein, dass unsereiner dem Springer-Konzern das Vierbuchstabenblatt aus der Hand reißt?

Jetzt sollen wir also kollektiv empört sein angesichts der Äußerungen des Springer-Vorstandsvorsitzenden im Futur II (er wird Vorstandsvorsitzender gewesen sein) aka Mathias Döpfner. Der befand in einem geleakten Chatverlauf, man solle das wahlweise faschistische oder kommunistische Ostdeutschland in eine Agrar- und Produktionszone mit Einheitslohn umwandeln. Hier natürlich offenbart sich – bitte entschuldigen Sie! – das Unwissen des Besserwessis, denn wenn der Osten eins ist, dann eben eine Agrar- und Produktionszone mit Einheitslohn. Davon hätten selbst Stalinisten nur träumen können!

Wenn man auf der Landstraße nicht gerade riesige Monokulturen mit Raps und Sonnenblumen, mit punktuell eingestreuten Windkraftanlagen oder mutig großflächig ausgebrachten Solarparks passiert, erblickt man die verödeten Dorfgemeinschaften, in denen Hartz IV, nein, es heißt jetzt Bürgergeld, den Mindest- und Einheitslohn markiert. Da helfen dann auch keine Leuchttürme wie Leipzig, in denen das neue Kreativprekariat von ehemals niedrigen Mieten nur noch träumt, weil ihnen Westdeutsche oder internationale Immobilienfonds längst die Wohnungen unterm Hintern weggekauft haben.

Aber darum geht es ja nicht. Eigentlich geht es doch um einen Restwert bürgerlichen Dekorums. Obgleich Menschenverachtung wohl zur eigentlichen Berufsvoraussetzung der Döpfners und Reichelts dieses Landes zählt, hätten wir alle es eben doch lieber, wenn sie sich ihren Teil dächten, statt ihre allergisch anmutende Abneigung in mangelhafter Rechtschreibung in Chatverläufen auszubreiten. Alle klagen über ChatGPT, aber der kann wenigstens Orthografie. Gut, Döpfner ist Stratege, kein Duden-Herausgeber. Man kann nicht alles haben.

Trotzdem: Mathias Döpfner kann nicht einmal rohe Bürgerlichkeit, dafür fehlt ihm die feine Fassade. Ob das nun zu schweren Umsatzeinbußen der Bild im Osten führen wird? Ach Quatsch. Denn jene, die zur Bild greifen, lesen gar nicht erst die Zeit oder die Süddeutsche und fühlten sich ja schon immer angezogen von antibürgerlicher Rohheit. Womit sie also bekommen, was sie wollen und wofür sie bezahlen. Ist ein bisschen wie bei einem, der zur Domina geht. Der will wohl auch nicht zärtlich gestreichelt werden.

Darüber hinaus ist es für Ostdeutsche keine allzu große Überraschung, dass Westdeutsche sie wahlweise für autoritätsgläubig, weinerlich, passiv oder aggressiv halten. Selbst die ein oder andere tadellose Zeitung soll hierüber schon einmal einen Text veröffentlicht haben.

So zucken wir Ossis die Schultern. Und da nicht wenige von uns zur „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Fraktion gehören, muss man dasselbe doch Mathias Döpfner zugestehen.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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