Onlinedating der Zukunft: Wie ein Russe seine Traumfrau mithilfe von ChatGPT kennenlernte

Love Me Tinder Ein russischer Softwareentwickler hat einen Bot programmiert, der automatisiert mit Tausenden Frauen „flirtete“, bis er die richtige für seinen Erfinder gefunden hatte. Ist das nun die Art, wie wir im 21. Jahrhundert die große Liebe finden?
Ausgabe 07/2024
Im 21. Jahrhundert übernimmt Künstliche Intelligenz unsere Suche nach der großen Liebe ❤️
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Foto: Imago/ Depositphotos

Aleksandr Zhadan hat das Onlinedating-Game durchgespielt. Der russische Softwareentwickler hat am 30. Januar einen Twitter-Thread veröffentlicht. Darin erklärt er, wie er mithilfe von ChatGPT seine Ehefrau kennenlernte. Er brauchte dafür: 120 Stunden Zeit, viel Wissen über Künstliche Intelligenz und 1.432 US-Dollar für die Programmierung der Software. Wahrscheinlich erzählt uns seine Geschichte, wie das Dating der Zukunft aussieht. Aber ich bin da echt raus …

Nach einer Trennung im Jahr 2021 suchte Zhadan in Moskau und St. Petersburg nach einer neuen Beziehung. Doch nichts funktionierte: Manche Frauen tranken ihm zu viel, andere waren zu „steif“ oder „aufbrausend“. Also wollte er die Suche beschleunigen. Zhadan programmierte einen Bot, der von ChatGPT gesteuert wurde und automatisiert mit Frauen auf Tinder kommunizierte. Gespickt war der am Anfang mit nur einer einzigen Information: „Du bist ein Mann, der zum ersten Mal mit einer Frau spricht.“ Und mit einer Mission: „Lad sie auf ein Date ein – aber nicht sofort.“ Mit der Zeit baute Zhadan immer mehr Filter ein, um potenzielle Kandidatinnen auszusieben: Gläubige wollte er nicht daten, und bitte auch keine Frauen, die Fotos mit Blumen oder nackten Brüsten posten.

Der 23-Jährige feilte immer mehr an der Technik. Insgesamt hat seine KI mit 5.239 Frauen „geflirtet“, quasi im Hintergrund, ohne sein Zutun. Sie siebte immer weiter aus, bis nur noch eine einzige Frau übrig blieb: Karina.

Oder bin ich bloß ein Fortschrittsfeind?

Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die beiden sich kennenlernten, stellte Tinder wegen des Ukrainekriegs den Betrieb in Russland ein. Aber das war Zhadan völlig egal. Er hatte SIE ja gefunden, „das bezauberndste aller Mädchen“, wie er schreibt. Fotos zeigen die beiden bäuchlings auf dem Bett liegen, beim Beachvolleyball und zusammen auf einem Boot. Sie sehen glücklich aus. Zhadan schätzt, ohne ChatGPT hätte er fünf Jahre gebraucht, um unter den Tausenden Frauen die Richtige zu finden. Ganz zu schweigen von den Millionen Rubel, die er für Restaurantbesuche ausgegeben hätte! Sollten wir also, um Zeit und Geld zu sparen, seinem Beispiel folgen und eine KI darauf ansetzen, das perfekte Match zu finden? Nennt mich einen Romantiker, aber ich finde: nein.

Der Bot von Zhadan hat ein Jahr lang mit Karina geschrieben, bevor sie sich persönlich trafen. Das heißt, das erste Jahr ihres Kennenlernens war eine Beziehung auf Autopilot. Ist das nicht pure Dystopie? Klar, der Kapitalismus versucht schon lange, unser Liebesleben zu „optimieren“. Jede Datingapp ist ein Beispiel dafür. Aber bis dato komme ich nicht drum herum, in dem Prozess auch Leute zu treffen, die nicht zu mir passen. Wenn das bald eine KI für mich übernimmt, werden noch mehr soziale Blasen entstehen – und wir Menschen ein bisschen dümmer. Der Bot von Aleksandr Zhadan hat ihm sogar, bei vielversprechenden Kandidatinnen, Locations für das erste Date vorgeschlagen und ihm Tipps gegeben, was er da am besten sagen sollte – oje!

Oder bin ich nur ein Fortschrittsfeind? Immerhin haben irgendwelche Spießer bei der Einführung der ersten Navigationsgeräte auch lautstark davor gewarnt, dass wir Menschen unseren Orientierungssinn verlieren werden. Aber hatten diese Leute nicht recht?! Der Unterschied ist: Ob ich mit oder ohne Navi das richtige Autobahnkreuz erkenne, macht mich nicht weniger menschlich. Aber wenn ich irgendwann nicht mehr dazu in der Lage bin, ohne KI meine große Liebe zu erkennen, obwohl sie direkt vor mir steht, dann sieht das schon anders aus.

Dorian Baganz studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und recherchiert dort vornehmlich zu Klimathemen und sozialen Umbrüchen. Die Kolumne Super Safe Space schreibt er im Wechsel mit Alina Saha, Elsa Koester, Tadzio Müller und Özge İnan.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

Dorian Baganz

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