Wer Bonusmama sagt, versteht das Patriarchat nicht

Super Safe Space „Bonusmama“: das klingt kuschelig, weich, warm – viel besser als das kalte, böse nach dem „Stiefmutter“ sich anhört. Warum Autorin Elsa Koester, sich nie Bonusmutter nennen wird und was das mit dem Patriarchat zu tun hat, verrät sie hier
Ausgabe 48/2023
Idee des Patriarchats: Einzig die Mutter allein ist mit Superkräften ausgestattet
Idee des Patriarchats: Einzig die Mutter allein ist mit Superkräften ausgestattet

Foto: Imago/Pond5 Images

Super Safe Space

Elsa Koester ist Freitag-Redakteurin. Am 11. Oktober 2023 erscheint ihr zweites Buch, Stiefmutter sein, bei Penguin. Abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Tadzio Müller und Alina Saha schreibt sie die Kolumne „Super Safe Space“.

Warum nenne ich mich nicht Bonusmutter? Das fragen alle. Keine Übertreibung. In 100 Prozent der Interviews zu meinem Buch Stiefmutter sein ist das die erste Frage. Ich frage mal zurück: Ist es echt das, was euch stört? So stellt ihr euch das vor: Ich nenne mich Honigkuchensuperkuschelextramami, und damit sind 10.000 Jahre Mütterkonkurrenz im Patriarchat beiseitegeknuddelt?

Natürlich fände ich das toll! Wenn sich vor 10.000 Jahren bei der Sesshaftwerdung der Menschen nicht die Patrilokalität durchgesetzt hätte, also die Dynamik, dass der Mann Haus und Hof besitzt und die erwachsenen Töchter ihre solidarischen Frauennetzwerke verlassen müssen, um in das Haus ihres neuen Mannes zu ziehen – dann wäre das toll! Dann wären Frauen gleichberechtigt. Dann müssten Mütter nicht jeden Zentimeter Macht in der Familie verteidigen, den sie großzügigerweise zugestanden bekommen dafür, dass sie sich aus der Öffentlichkeit raushalten. Und verteidigen heißt: Gegen die anderen Mütter, die sich um diesen Machtraum streiten. Früher war das die Schwiegermutter, heute es die neue Freundin des Ex: die Stiefmutter.

Und wenn Jean-Jacques Rousseau und seine männerbündischen Denker-Kumpels der Aufklärung nicht darauf bestanden hätten, auch die letzten noch vorhandenen Frauennetzwerke zu zerstören, indem sie forderten, Mütter mögen sich gefälligst selbst um ihre Kinder kümmern – statt sie, je nach Stand, an Ammen, Mägde, Nachbarinnen oder Großmütter abzugeben –, ja dann wären wir womöglich tatsächlich in der Lage, mehrere Co-Mütter in einer Familie zu denken. Dann gäbe es nicht nur die eine (völlig überforderte) Mutter, die dank ihres Naturtriebes weiß, was ihre Kinder brauchen – sondern, stellt euch vor! Dann könnte es mehrere Co-Mütter geben, die sich um die Kinder kümmern. Oder, verrückt: Dann könnte es vielleicht sogar mütterliche Väter geben, und emotionale Fürsorglichkeit wäre kein Monopol der Frauen!

Aber wir leben nun mal im Patriarchat. Wir gehen noch immer davon aus, dass die Mutter als einziger Mensch der Welt Superkräfte für Kinder hat und damit das (alleinige) Recht, das emotionale Leben ihrer Kinder zu gestalten. Wenn eine Stiefmutter in die Familie kommt, dann bricht sie in diese Machtsphäre der Mutter ein. Wie bitte, Papas neue Freundin lässt die Kinder Nutella zum Frühstück essen? Was maßt sich diese Frau an, die Macht einer Mutter dermaßen infrage zu stellen?

Die Mama bestimmt, wie es zu Hause läuft. Diese Zuständigkeit haben wir verinnerlicht, und auch, wenn wir uns wünschen, dass Mütter entlastet werden, dass Väter mehr Sorgearbeit übernehmen: Eigentlich denken wir noch immer, dass niemand das so gut kann wie Mama. DIE MAMA. Also die richtige, die einzige, die heilige. Und nicht diese falsche, also: die Stiefmutter.

Die patriarchale Normfamilie kennt keine zwei Mutterplätze, da ist nur einer. Von wegen Bonus: Eine Stiefmutter wird von Anfang an in einen Konkurrenzkampf zu einer mystifizierten Superheldin geschickt. Keine Honigkuchensuperkuschelextramami kann es mit der MAMA aufnehmen. Die Stiefmutter ist wenigstens so ehrlich, das alles im Namen zu tragen: 10.000 Jahre Patriarchat und das Wissen, dass Frauensolidarität darin nie selbstverständlich ist, sondern immer erkämpft werden muss. Sie wird uns nicht als Leckerli geschenkt, sondern entsteht in den tiefsten Schichten unserer Verletzlichkeit, im Ringen um Zugehörigkeit und Identität. In der Familie eben. Nutella zum Frühstück, das ist dann der Bonus.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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