Portugal: In der Sozialisten-Hochburg Algarve triumphiert die Rechte

Europa Die Linken müssen und wollen in die Opposition, die Rechte gewinnt die vorgezogene Parlamentswahl – vor allem deren rechtsextreme Ausformung Chega. Woher rührt deren Sieg und wer wird Portugal künftig regieren?
Ausgabe 11/2024
Sieger der Parlamentswahlen in Portugal: André Ventura ist Gründer der rechtsextremen Chega-Partei
Sieger der Parlamentswahlen in Portugal: André Ventura ist Gründer der rechtsextremen Chega-Partei

Vier Abgeordnete des neuen portugiesischen Parlaments werden in Auslandswahlkreisen bestimmt – die Ergebnisse liegen erst in den nächsten Tagen vor und könnten den Spieß noch umdrehen. Doch daran glaubt nicht mal der sozialdemokratische PS mehr. Er hat die absolute Mehrheit verloren und seine Niederlage längst eingestanden.

Weil der neue PS-Chef und Nachfolger António Costas, Pedro Nuno Santos, weder die von Kommunisten und Bloco de Esquerda geduldete Minderheitsregierung von 2015 neu auflegen kann, noch sich in einer großen Koalition als Juniorpartner verschleißen lassen will, läuft es wohl auf eine Minderheitsregierung unter Führung des konservativen PSD hinaus.

Chega hält nun 48 von 230 Mandaten im Parlament

Teil von dessen Wahlbündnis Aliança Democrática sind zwei rechte Splitterparteien; der Chef der einen, der Monarchischen Volkspartei PPM, ist bekannt für seine Stierkampfbegeisterung, Auftritte in Reality-TV-Formaten und für frauenfeindliche Sprüche in Interviews. Nicht Teil dieser Allianz, aber ebenso im Fernsehen zu Popularität gekommen, ist der ehemalige Fußballkommentator André Ventura, der Gründer der rechtsextremen Chega-Partei. Die hatte noch 2019 einen Abgeordneten im Parlament, ihn selbst, drei Jahre später waren es bereits zwölf Abgeordnete. Nach der vorgezogenen Neuwahl hält die Chega 48 von insgesamt 230 Mandaten. Sie holte 18 Prozent der Stimmen; in Südportugal, in der Algarve, traditionell eine Sozialistenhochburg, war sie die meistgewählte Partei.

Wer wählt Chega (auf Deutsch „Es reicht!“)? Viele Menschen, die von sich über Jahrzehnte abwechselnden PS- und PSD-Regierungen enttäuscht sind. Mal kostete eine von Ex-Regierungsmitgliedern gegründete Bank die Steuerzahler fünf Milliarden Euro (PSD, 2008), mal schied ein Vorstandsmitglied eines Staatsunternehmens mit einer halben Million Euro Abfindung aus, um zwei Wochen später als Staatssekretärin der Regierung anzutreten oder Ermittler fanden im Büro neben dem Arbeitszimmer des Premierministers in Büchern versteckte Banknoten im Wert von läppischen 78.500 Euro (PS, 2023). Und dies, während die immer höheren Lebenshaltungskosten viele Menschen erdrücken. (PS, 2023). Premier Costa war vor wenigen Monaten wegen Korruptionsermittlungen in seinem direkten Umfeld zurückgetreten, die Folge waren die vorgezogenen Parlamentswahlen jetzt.

Weil viele Menschen so empört über die Mängel des politischen Systems und der Straflosigkeit vieler Politiker sind – der Strafprozess gegen den ehemaligen Regierungschef José Sócrates hat nach zehn Jahren immer noch nicht begonnen –, wählen sie nun Chega, eine Partei, in deren Reihen es unter den neuen Abgeordneten paradoxerweise von verurteilten Straftätern, Dokumentenfälschern und Rassisten (Ventura selbst) nur so wimmelt. Es ist fast so, als wollte ein stetig zunehmender Teil der Portugiesen, fast 50 Jahre nach der Nelkenrevolution, von neuen, unverbrauchten Politikergesichtern regiert werden, aber auf die „gute“, altportugiesische, faschistische Art und Weise.

Die rechte Aliança Democrática (AD) hatte vor den Wahlen eine Koalition mit den Rechtsradikalen von Chega kategorisch abgelehnt. Es läuft also wohl auf eine schwache, geduldete Minderheitsregierung des PSD hinaus, die mal links, mal weit rechts Kompromisse suchen muss. Oder der Chef der AD nimmt sein Nein zurück, um erneute Wahlen in sechs Monaten zu verhindern – und arrangiert sich Chega. Dafür spräche der konservative, Machiavelli-affine Präsident Portugals, Marcelo Rebelo de Sousa, der dem Ganzen als moralische Instanz Rückendeckung geben könnte. Tempus und Modus beschränken sich in der portugiesischen Politik oft auf den Indikativ Präsens: Vergossenen Wörtern und vergossenem Wein wird nicht nachgeheult.

Miguel Szymanski wuchs in Deutschland und Portugal auf. Er arbeitet als Journalist in Lissabon, ist TV-Kommentator für den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RTP und Autor des Buches Ende der Fiesta. Südeuropas verlorene Jugend. Szymanski hat mehrere in Portugal und unter anderem Frankreich erfolgreiche politische Kriminalromane veröffentlicht.

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