Ein Fünftel aller Tiere und Pflanzen in Europa ist vom Aussterben bedroht

Neue Studie Weltweit sind zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Die Zahl ist doppelt so hoch, wie die Vereinten Nationen vor wenigen Jahren geschätzt hatten. Nun weiß man: Besonders um Insekten steht es schlechter als vermutet
Weltweit sind rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben gefährdet
Weltweit sind rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben gefährdet

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Zwei Millionen Arten sind vom Aussterben bedroht, wie eine neue Untersuchung ergab, die in der Online-Fachzeitschrift Plos One veröffentlicht wurde. Die Zahl ist doppelt so hoch, wie frühere UN-Schätzungen prophezeit hatten. Während Wissenschaftler seit langem den Rückgang von Pflanzen- und Wirbeltierarten dokumentieren, herrschte bei Insekten stets große Unsicherheit. Die UNO gab 2019 eine „vorläufige Schätzung“ ab: Zehn Prozent der Insektenarten seien vom Aussterben bedroht. Seitdem sind mehr Daten über Insekten gesammelt worden, die zeigen, dass der Anteil viel höher ist als bisher angenommen.

Der leitende Forscher, Axel Hochkirch vom Nationalmuseum für Naturgeschichte in Luxemburg, sagt: „Unsere Studie macht deutlich, dass Insekten genauso bedroht sind wie andere Tierarten. Und da sie die artenreichste Gruppe von Tieren auf unserem Planeten sind, sollte man sich wirklich damit befassen.“

Es ist schwierig zu verstehen, was mit den weltweiten Insektenpopulationen geschieht – weil es an Daten mangelt. 97 Prozent aller Tiere sind wirbellose Tiere. Von dieser Gruppe werden etwa 90 Prozent als Insekten eingestuft. Sie erbringen lebenswichtige Ökosystemleistungen: Zum Beispiel bestäuben sie Nutzpflanzen, führen den Böden Nährstoffe zu und zersetzen Abfälle. „Ohne Insekten wäre unser Planet nicht überlebensfähig“, so Hochkirch.

Die UNO will die Untersuchung nicht kommentieren

Das Team hatte alle 14.669 Tier- und Pflanzenarten in ihre Studie aufgenommen, die Ende 2020 auf „Roten Liste gefährdeter Arten“ für Europa standen. Das sind zehn Prozent der Arten des Kontinents. Die von der Weltnaturschutzunion (IUCN) herausgegebene Liste gilt als die umfassendste Quelle für Informationen über gefährdete Arten. Die Forscher um Hochkirch fanden heraus, dass ein Fünftel der europäischen Arten vom Aussterben bedroht ist, wobei 24 Prozent der wirbellosen Tiere, 27 Prozent aller Pflanzen und 18 Prozent der Wirbeltiere gefährdet sind. Diese Zahlen wurden dann extrapoliert, um eine globale Schätzung der insgesamt vom Aussterben bedrohten Arten vorzunehmen.

Die Schätzungen blieben mehr oder weniger dieselben wie die der Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen der Vereinten Nationen (Ipbes) im Jahr 2019 – mit dem Unterschied, dass deutlich mehr Insekten gefährdet sind als damals angenommen. „Diese umfassende Analyse von Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste zeigt, dass zwei Millionen Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben bedroht sind“, so die Forscher.

UN-Vertreter lehnten es ab, die Studie selbst zu kommentieren. Anne Larigauderie, Exekutivsekretärin von Ipbes, sagt, dass der zweite globale Bewertungsbericht von Ipbes im Jahr 2028 fällig sei. Es sei „wahrscheinlich“, dass die Schätzungen und Aussagen des ersten globalen Bewertungsberichts „aktualisiert und ergänzt werden.“

Schuld am rasanten Artensterben – die Landwirtschaft

„Es ist vielleicht am wichtigsten, sich daran zu erinnern, dass die Dringlichkeit und Priorität der globalen Biodiversitätskrise bestehen bleibt, unabhängig davon, ob die Zahl, die von Politikern und Entscheidungsträgern verwendet wird, eine Million oder noch mehr beträgt“, sagt Larigauderie. „Wir verlieren die biologische Vielfalt und die positiven Beiträge der Natur für den Menschen in einem Ausmaß, das es in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat.“

Die Ursachen für diesen Rückgang sind gut dokumentiert und werden vom Menschen verursacht: Die Ausdehnung der Landwirtschaft, die zum Verlust natürlicher Lebensräume führt, ist der wichtigste Faktor, gefolgt von der Übernutzung natürlicher Ressourcen, der Umweltverschmutzung und der Siedlungs- und Gewerbeentwicklung. In der Untersuchung heißt es: „Die Feststellung, dass landwirtschaftliche Landnutzungsänderungen eine große Bedrohung für die biologische Vielfalt darstellen, wurde schon oft gemacht. Unsere Analyse ist jedoch die bisher umfassendste und eindeutigste, die das Ausmaß der Auswirkungen dieser Bedrohung auf kontinentaler Ebene bestätigt.“

Hochkirch sagt: „Diese Studie zeigt, dass wir einen sehr hohen Anteil von Arten haben, die vom Aussterben bedroht sind, aber wir können etwas dagegen tun.“ Er wies auf die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen hin, insbesondere auf die Zunahme von Großraubtieren in ganz Europa, wie Wölfe, Luchse, Bären und Seeadler. Er fügte hinzu: „Wir sehen, dass diese Verbesserungen immer dann eintreten, wenn Schutzmaßnahmen ergriffen werden.“

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Geschrieben von

Phoebe Weston | The Guardian

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