Es ist gerade recht trostlos – und auch das Anschließen der Sommerfest-Lampionreihen an die nötigen Stromverteiler fiel im Sommer bereits weitgehend ins Corona. Nichtsdestotrotz müssen wir reden – über das Thema nämlich, um das es in dieser Folge geht. Frei nach dem Motto »Über Schlager redet man nicht – Schlager kennt man« scheiden sich speziell in Deutschland nach wie vor die Geister. Machen wir den Selbsttest anhand zweier Dokus zur popmusikgeschichtlichen Landeshistorie. Die erste, »Deutschland, deine Popmusik« aus der Reihe ZDF History, schlägt den Bogen über sämtliche Genres, die dies- und jenseits der Mauer seit 1945 en vogue waren. Man mag über den das-meiern-wir-jetzt-auch-noch-ab-Gestus des Formats meckern; die Grob-Zeitleiste triste Sixties – erster Deutschrock – neue Deutsche Welle bis hin zu Techno haben die ZDF-Fernsehhistoriker allerdings korrekt in trockene Tücher gebracht. Die zweite Doku hingegen – »Deutschland, deine Schlager« – führt unvermittelt rein in eine musikalische Parallelwelt. Will heißen: Interessant sind die dort getätigten Einblicke schon. Aber 24/7 die Chose hören? 2021 macht das wohl nur noch eine – stetig schwindende – Minderheit.
Schlager und kultureller Aufbruch der 60er: Bis heute sind das zwei verschiedene Paar Schuh’ – in gewisser Weise sogar diametral entgegengesetzte. Und doch hat sich dieses Verhältnis im Lauf der Jahrzehnte ein Stück weit geglättet. Rein praktisch, lebensweltlich hat sich etwas Drittes eingeschoben: der internationale, vorwiegend angelsächsisch geprägte Popmarkt und, mit ihm verbunden, Rock, Techno, Hip Hop. Schlagerhit-Crossovers wie etwa der hier von Schlager-Altikone Vicky Leandros mit Tekkno-Hallenbefüller Scooter sind mittlerweile Business-Normalfall. Klaro: Zumindest laut Adorno ist das Falsche noch immer das Falsche, aber – Hey, wer verspürt schon Lust, im Dickicht des Nahkampfs immer in den Büchern nachzuschlagen? Darüber hinaus tut man dem Metier insgesamt Unrecht. Es gab schon immer die andere Seite im Schlager: Nachdenkliches neben Schunkel-Seligkeit (Beispiel: Alexandra), Widerborstiges gegen Mainstream-Geglättetes (etwa: Lieb Vaterland von Udo Jürgens) und Anspruchsvolles neben allzu Einfachem (das frankophil angehauchte Beispiel von anno 1961: Britt Hagen mit Sag’ Adieu). In vielen Fällen gehen die Brüche direkt durch die Seele der Person. Etwa bei Schlagerparty-Shooter Jürgen Drews, der – wie dieser Kleinauftritt beweist – durchaus gerne in die Fußstapfen der Rolling Stones getreten wäre.
Reden wir über Schlager. Weil eine Mashup-Folge dafür bei weitem nicht ausreicht, beschränken wir uns auf zwei Charakterköpfe: Gunter Gabriel und Juliane Werding. Als zeitweiliges Kreativ-Team waren sie nicht unmaßgeblich beteiligt an der Transformation des Metiers – von einer recht zugeknöpften, Heile-Welt-Spießigkeit zelebrierenden Staatsuntertanen-Grundversorgung in den Sechzigern zu einer vergleichsweise aufgefächerten Szenerie zehn Jahre später. Gunter Gabriel reussierte als Country-Rocker mit glaubhaften Proleten-Appeal sowie Johnny-Cash-Attitüde. Die zu den ersten Wirtschaftswunderkrisen passende Klartext-Ansage 1974 klang lapidar so: Hey Boss, ich brauch’ mehr Geld. Juliane Werding hingegen war eher für die soften Aspekte des Zeitgeists zuständig. Ihrem großen 1972er-Hit Am Tag, als Conny Kramer starb folgten Cover-Einspielungen ähnlicher Machart – nah genug gebaut am Spirit der Love-and-Peace-Kultur, gleichzeitig jedoch Mainstream-kompatibel genug, um in Dieter-Thomas Hecks Hitparade zum Stammgast zu avancieren. Beide – Gabriel wie Werding – lieferten im Lauf der Folgejahrzehnte ein ungewöhnlich vielfältiges, diverses Oeuvre ab. Zwei Schlüsselsongs, zwei Modelle, zwei Biografien: Schauen wir uns an, wohin sie führten und was sie bewegt haben.
Gunter Gabriel
Als Gunter Gabriel mit dem Trucker-Song Er ist ein Kerl (der 30 Tonner Diesel) 1973 in der ZDF-Hitparade reussierte, hatte er bereits einschlägige Naherfahrung mit den businesseigenen Höhen und Untiefen. Die Höhen waren solide: Sein Ruf als Songschreiber hatte sich in der Branche durchaus herumgesprochen. Die Untiefen waren der Preis, den der aus einer kaputten Familie entstammende Schulabbrecher eben hinnehmen musste: prekäre Jobs als Schlager-DJ, Plattenlabel-Promoter sowie andere Türöffner-Jobs. Gunter Gabriel war allerdings gekommen, um zu bleiben. Zum programmatischen Monument geriet vor allem sein 1974er-Hit: Hey Boss, ich brauch’ mehr Geld. Auf den ersten Blick klang das so klassenkämpferisch, wie der ganze Typ rüberkam – informell von der Lederweste hinab zu den Cowboystiefeln, dazu stets einen zweideutigen Joke oder auch mal eine Klartextansage auf den Lippen. Wie schwer sich das Schlager-Establishment mit einem wie Gabriel tat, zeigt die Anmoderation unten in der ZDF-Hitparade. Dass ihm nicht gerade der rote Schlagerteppich ausgerollt wurde, hinterließ rückblickend einiges an Verbitterung – oder, wohlwollend formuliert, Desillusionierung. Nach den Steinen im Weg folgten die Versuche, den widerborstigen Proll wenigstens zu vereinnahmen, zu glätten. Gabriel 2003 im Tagesspiegel: »Mein Produzent sagte: Mach’ doch wieder so was Kuscheliges wie ›Komm unter meine Decke‹. Aber bleib mir mit Deinen Scheißarbeitslosenliedern weg.«
Gabriel zog den Schuh’ mit seinen »Arbeitslosenliedern« weiter durch. Inhaltlich jedoch waren seine Songs meist das Gegenteil davon. Ging es mal nicht um die kleinen Freuden des Lebens, wurde die Arbeit nachgerade vergöttert – mitunter bis zum schweißtreibenden Exitus wie in dem Song Intercity Linie Nr. 4. Hier werden die Schwellen in der angesetzten Frist verlegt – koste es, was es wolle. (Disclaimer: inklusive dem im Song beschriebenen Kollateralschaden, dass beim Bau der Strecke, die ein Bonze am Ende einweiht, tatsächlich einer draufgeht.) Den Appell ans 250-prozentige sozialdemokratische Arbeitsethos wiederum nahmen ihm die Linken übel. Noch übler auf stießen dort Gabriels regelmäßige Bezugnahmen auf die Nation, das Volk und so weiter – eine Aversion gegenüber dem Schlager-Außenseiter, die sich anlässlich eines schlechtlaunigen Arbeitslosenbashings von der Bühne herab zu einer regelrechten Anti-Gabriel-Haltung verfestigte. Der aus der linken Hip-Hop-Szene kommende Produzent und Musiker DJ Koze samplete Gabriels Ausfälligkeiten in einer Nummer, über deren musikalisch-erkenntniswertigen Gehalt man in der Tat stark unterschiedlicher Meinung sein kann.
Gabriel selbst indes war zu jener Zeit quasi von den Toten wiederauferstanden – und zuvor erst einmal richtig abgestürzt. Schuld daran war die übliche Mischung: Alkohol, Drogen, Spielsucht, Frauen, häusliche Gewalt, Immobilienzockerei und schließlich zu viel Schulden. Genauer: viel zu viel Schulden. Nicht wenige im Showbiz geraten in einen derartigen – durch unstetiges Geld, unstetige Arbeitsbedingungen sowie die psychologische Komponente des Ruhms verursachten – Strudel hinein. Die Hartgesottetsten greifen – vor der letzten Stufe, dem finalen Vergessen-Werden – zum letzten Strohhalm: dem Gig im Dschungelcamp. Auch Gabriel hat ihn absolviert. Dauerhaft aus der Flaute herausgerissen haben ihn nach eigenen Angaben jedoch seine Wohnzimmerkonzerte quer durch die Republik. Konkret: für tausend Euro war Gunter Gabriel für einen Abend buchbar.
Ein Sänger zum Anfassen, der sich für nichts zu schade war: Das brachte ihm Achtung und Respekt. Anerkennung in den heiligen Hallen der Kunst war das noch nicht. 2009 holte Gunter Gabriel auch die nach. Sein Album Ein Sohn aus dem Volk. German Recordings enthielt Songs von einer derartigen persönlichen Wucht und Tiefe, dass sich die Diskussion um künstlerische Wertigkeiten erledigt hatte. Das Album ist voll von guten Stücken; paradigmisch der Song Mein Weg – eine Lebensbeschreibung des gereiften Gabriel, nach der es im Grunde genommen nichts mehr zu sagen gab. Mit den German Recordings war Gabriel wieder drin – quasi als ein böser, nichtsdestotrotz jedoch gesellschaftlich anerkannter Vetter von Udo Lindenberg. Die restlichen Stationen: Gunter Gabriel spielte sein großes Vorbild Johnny Cash in einem Musical, mischte sich hier und dort ein – unter anderem für den Erhalt des Bürgerparks Flughafen Tempelhof (Clipvariante: hier; Small-Combo-Version: hier). 2017 verstarb er – womit sich zumindest eine Frage via Sensemann erledigt hatte: Deutschlands ein und einziger Country-Star weilt nicht mehr unter den Lebenden.
Juliane Werding
Ebenso wie Gunter Gabriel war auch die 14 Jahre jüngere Nachwuchssängerin Juliane Werding überdurchschnittlich stark auf Cover-Intepretationen festgelegt. Ihr Opener im Schlager-Biz war die Joan-Baez-Vorlage The Night They Drove Old Dixie Down. Der Song stammte ursprünglich von Robbie Robertson, einem Mitglied von Bob Dylans Begeleitcombo The Band, die 1969 auch die Erstversion einspielten. Baez machte das stimmungsvolle, im Country-Duktus gehaltene Antikriegslied zum Welthit. Die aus Essen stammende Schlager-Debütantin adaptierte die Vorlage – Grundstein ihres langanhaltenden Erfolgs – auf deutsche Drogenverhältnisse. Textlich kann man Am Tag, als Conny Kramer starb auf zwei Weisen interpretieren: zum einen, dass sowas zu sowas führt (im konkreten Fall: ein harmloser Joint geradewegs hinein ins schlimmste Heroin-Elend), zum anderen als Appell zu mehr Verständnis und Empathie. Im wesentlichen wurde Conny Kramer wohl auf die zweite Weise verstanden. Zwar nahmen Texter und Interpretin den Drogenepedemie-besorgten Teil des Publikums durchaus mit. Die Hauptbeschreibung konzentrierte sich allerdings auf die Drogenkarriere jenes omminösen Conny Kramer, dem keiner hilft und der an seiner Sucht schließlich zugrunde geht.
Summa summarum liegt man nicht ganz falsch, wenn man die 1972 veröffentlichte Conny-Kramer-Eloge als nicht unwesentliches Indiz nimmt in Sachen Umschwenker zu einer humaneren Drogenpolitik. Im Verlauf der Siebziger nahm nicht nur die Politik zunehmend Abstand vom Modell nackter, unvermittelter Repression. Parallel, wenngleich auch allmählich, wandelte sich auch die Haltung breiter Bevölkerungsschichten. Finaler Ausdruck dieser veränderten Betrachtungsweise waren der Erfolg des Buchs Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von Christiane F. sowie der gleichnamige Film aus dem Jahr 1981. Gründeln darüber, inwieweit Heroes von David Bowie, der bekannteste Song aus dem Film, ebenfalls mit zur Popularisierung des Themas beitrug, würde an der Stelle zu weit führen. Fakt ist, dass Juliane Werding mit Conny Kramer einen Karriere-Grundstein von echtem Schrot und Korn vermauert hatte. Erst einmal lieferte die privat durchaus rockaffine Sängerin (Vorlieben: Jimi Hendrix und Deep Purple) Cover-Versionen einiger international bekannter Popsongs wie beispielsweise Lady in Black von Uriah Heep oder My Sweet Lord von George Harrison. Doch auch Liedgut aus deutschen Landen verschmähte sie keinesfalls. Beispiel: Wenn du denkst, du denkst von Komponist Gunter Gabriel.
Trotz anhaltenden Erfolgs war absehbar, dass das Konzept teils in Sichtweite zur Country Music gebauter, teils am angelsächsischen Pop-Mainstream orientierter Songs nicht ewig weitertragen würde. Behutsam, quasi Album für Album erfand sich Werding im Lauf der Neunzigerjahre neu – hin zu einer erwachseneren, Popmusik-affineren Form von Schlager. Rockige Untertöne waren bei Werding zwar stets präsent. Der neue Sound mit seinem Mix aus Synthie-Pop und Dire-Straits-ähnlichen Gitarrenriffs war allerdings aus einem Stoff, mit dem sich auch Rockenthusiasten anfreunden konnten. Textlich kaprizierte sich Werding zunehmend auf den Sinn des Lebens sowie ähnliche Fragen zeitüberdauernder Wichtigkeit. Zusammen kam mit der Zeit ein beachtliches Oeuvre unterschiedlicher Titel: Bist du da für mich etwa als bange Frage, was die Zukunft bringen mag, Zeit der Banden als vielschichtig verstehbarer Weckruf in Sachen zu viel Machismo, Ans Meer zurück als musikalisches Storytelling in Sachen letzte Wünsche vor dem Tod oder der desillusionierte Noch-einmal-von-vorn-anfangen-Song Es gibt kein Zurück.
Bühnenbestimmend – und auch auf Platte – blieb Conny Kramer, mit Techno-Elementen aufgefrischt in einer 2000er-Version, der Ankerpunkt in ihrem Oeuvre. Der Rest: feministisch angehauchte Gesellschaftskritik (Mitarbeit am Theaterstück Vagina-Monologe) und schließlich, als Einstieg in die Zehner-Jahre, der Abschied von der Bühne. Nichts Dramatisches; vermutlich eher die Clausewitz-Lösung nach dem Motto: Man soll gehen, so lange man es noch gut kann. Der Rest: ein solider Zweitberuf, der zum Erstberuf wurde (Heilpraktikerin) – manchmal können Popgeschichten auch richtig unspektakulär zu Ende gehen.
Die Transformation des Schlagers
Klar gehört ein persönlicher Disclaimer in einen Beitrag wie diesen mit rein. So sei es auch. Biografisch habe ich den deutschen Schlager erst mangels anderer Wahl, später dann mit gebotenem Sicherheitsabstand verfolgt. Klaro – punktuelle Fraternisierungen waren immer drin. Die beiden Epigon(inn)en dieses Beitrags indes waren bei mir ab Mitte der Siebziger weit vom Schirm. (Wieder-)Annäherungen erfolgten in eher behutsamer Form. Essentiell hinzu kam im Lauf der Jahre die große Chanteuse Hildegard Knef. Etwas verblüfft hat mich das Statement eines alten Freundes, mit dem ich mich über den »Conny-Kramer«-Hype Anfang der Siebziger unterhielt. Der Song, so seine Aussage, sei auch in seiner dörflichen Motorradclique rauf und runter gelaufen. Für einen Indierock-Enthusiasten wie mich firmierte Conny Kramer bis Ende der Neunziger unter »fernere Musikgeschichte«. Dann stieß ich – zuviel verbrachte Zeit in Plattenläden mögen der Anstoss gewesen sein – auf die neue, zeitaktuelle Werding. Und war begeistert. Die neue musikalische Begeisterung half mir nicht nur über eine etwas komplizierte Lebensphase hinweg. Auch in allgemeinen Sinnfragen avancierte Juliane Werding einige Jahre lang zu einer Art obersten Kompetenz. Zuviel Sentiment, Sentimentalität gar? Zum Teufel – Why Not?
Einer meiner Lieblingssongs ist übrigens ein Stück aus den Siebzigern: Drei Jahre lang. Es ist nicht von Gabriel, hat allerdings den Vorteil, dass es durchaus von ihm stammen könnte. Textlich geht es um die Freundin eines JVA-Insassen, der drei Jahre abzusitzen hat, um die Schwierigkeiten, die Treue zu halten und um Kontakt, der nur durch Briefe aufrechterhalten werden kann. Sicher lässt sich die Song-Konstruktion als Schwulst abklassifizieren, als musikalische Untermalung von Selbstmitleid in jedweder Form. Bezieht man allerdings den Gedankengang mir ein, dass Schlager nicht die großen Welterklärer sind (und das auch nicht sein wollen), wird in meinen Augen durchaus ein Schuh daraus. Letztlich geht es darum, über die Tage zu kommen – allein, wenn es gut läuft, vielleicht mit einem Partner. Gunter Gabriel wiederum hat mich 2009 ins Grübeln gebracht – zumindest über meine musikalischen Koordinaten und das, was wirklich gute Musik ausmacht. Für einige vielleicht eine schmerzhafte Einsicht: Auch Künstler(innen), von denen uns politisch / mental / sonstwie Welten trennen, können Hammer-Werke abliefern.
Ansonsten hat Gunter Gabriel seine letzten Jahre massig genutzt für Interviews sowie die weitere Kultivierung seiner Wohnzimmerformate. Was blieb bis zur letzten Stunde waren Klartextansagen. Man mag mit vielem nicht konform gehen. Fakt ist, dass Gabriel mit seiner Biografie gezeigt hat, dass man nicht um jeden Preis mit den Regeln spielen muss (sprich: sich ihnen unterwerfen), um am Ende zu gewinnen. Ob im Guten oder im Schlechten: Am Ende hat er es doch noch in die Cash-Liga geschafft. Unter anderem auch mit einer bemerkenswerten Adaption des Cash-Stücks A Boy Named Sue (Ein Junge namens Susie). Juliane Werding hat – ähnlich übrigens wie die in der Beziehung stark vergleichsfähige Marianne Rosenberg – an der Veredelungsfront des deutschen Schlagers ebenfalls ihre Verdienste erworben. Bemerkenswert erscheint mir hier vor allem der Umstand der von langer Hand eingefädelten Absetzbewegung – hin zu einer Form deutscher Popmusik, die ernsthafter ist und vor allem stärker zugeschnitten auf die interpretierende Person auf der Bühne.
Unter den genannten Aspekten haben beide den Schlager ehrlicher gemacht – Gabriel und Werding. Eine Leistung, die die Welt zumindest ein kleines Stück angenehmer und aushaltbarer gemacht hat.
Info
»Mashups« (siehe Wikipedia) sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Die Beitragreihe »mashupt« Themen, Künstler(innen) und Stile der Pop- und Rockmusik.
Staffel 1: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben | (6) Clash versus Cure | (7) Der »Club 27« | (8) Reggae-Time | (9) Venus, Glam & heiße Liebe | (10) Raves & Bytes
Staffel 2: (1) Die Hüter der Tradition | (2) Die Weitergabe der Staffel
In der nächsten Folge geht es hinaus in die große weite Welt. Thema: Popmusik und World Beats im Global Village.
Kommentare 24
Schöne Schlagergeschichte mit einem fairen Blick auf die Künstler. Aber auch die besseren Teile des deutschen Schlagers sind in der Regel melancholisch, ernst bis zumindest humorlos. Das war mal anders, nämlich in den zwanziger Jahren, als der jüdische Witz durch das deutsche und vor allem berliner Schlagerleben tobte. Heute nur noch gelegentlich zelebriert von Max Raabe.
Nicht nur die "Hitparade" selbst tat sich mit ihm schwer. Ich erinnere mich noch an die Empörung meiner äußerst spießigen Oma, als der Kerl ihr das Vorabendprogramm mit seinem Song versaute. Dass sich dort außerdem ihr Held Heino noch dazu hergab, "Hulahula" zu singen, schlug dem Fass die Krone aus.
Schlagerstars sind auch ziemlich normale Menschen. Ob es dazu eines Blogs bedurfte?
Schauen Sie sich mal im Zeitschriftenregal einer Tankstelle um. Was glauben Sie wohl, was es da alles gibt, was keine Zeitschrift bräuchte?
Nun, meine Frage war nicht, ob wir Schlager brauchen, brauchen ist vielleicht zu viel gesagt, aber zweifelsohne wissen viele Menschen Schlager zu gebrauchen. Ebenso wie viele Menschen wissen, Zeitschriften von Horoskop über Knobelei, Kochen, schöner Wohnen bis beauty-Tipps, nicht zu vergessen Autos und Fußball zu gebrauchen. Meine Frage war, ob wir das reflektieren müssen. Vielleicht sollten wir (hier ist die Community gemeint) das, das würde ich dann aber anders machen.
Fußball sollte man vor allem spielen - geredet wird darüber tatsächlich zuviel. Aber ein Artikel wie dieser ruft bei mir eine vergessene Erinnerung wach. Das ist vielleicht ökonomisch sinnfrei, mir aber trotzdem ein schöner Moment.
Lieber einen beschränkten Nostalgiker als ein verschränkten Dogmatiker.
Früher gab's viel mehr Bahnübergänge ohne Schranken!
So wir als Dichter, dad' wird nix...
:-(
Sag ich ja. Viel zu beschrankt.
Aber diesen Text habe ich schon als Teenager geschrieben. Muss ihn nur noch auf "bis in vier Jahren" umtexten und ihn Trump widmen.
»Nun, meine Frage war nicht, ob wir Schlager brauchen, (…) Vielleicht sollten wir (hier ist die Community gemeint) das, das würde ich dann aber anders machen.«
Nicht nur »anders machen« – meiner nun ja nicht gerade unbekannten Meinung nach sollte auch jede(r) hören, was er oder sie möchte. Da mir deine Qualitätsbegrifflichkeiten bereits in früheren Diskussionen etwas vage blieben, antizipiere ich mal ins Blaue hinein das von dir (vermutlich) favorisierte Wertigkeits- oder auch Qualitätsmodell:
– klassische + avantgardistische Klassik; Avantgarde = gut; volle Qualität
– anspruchsvolle Popmusik; eventuell inklusive einiger Arten der Populärklassik = okay bzw. geht noch so durch
– Mainstream-Pop, Schlager; noch weiter darunter vermutlich völkstümlicher Schlager, Partyschlager und ähnliches = minderqualitativ und von daher durch die Bank zu verurteilen.
Falls das ungefähr hinkommt, wirst du sicher keine Schwierigkeiten haben, die Kriterien dieses Modells sowie seine Berechtigung so zu erläutern, dass man sich etwas darunter vorstellen kann. Sonst ist es leider etwas nebulös respektive in Richtung des klassistischen Geschmacksurteils »degoutant« gehend.
Vernunft ist etwas Unnatürliches, Vernunft ist nicht der Ozean, in dem das Leben schwimmt. Wir können nicht einmal sicher sein, daß die real mögliche Vernunft dem menschlichen Leben zum Vorteil gereicht. Vielleicht wäre es besser, wir blieben von allzuviel Vernunft verschont. Das denke ich nicht, aber das kann man denken. Jedenfalls ist Leben die evolutiv ausgebildete Rationalität der Lebenserhaltung, rational ist alles, was dem dient.
Daß der Mensch Musik macht, läßt sich rational unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität vor allem für das Zusammenleben verstehen. In dieser Funktionalität spielen Kriterien der Schönheit, der musikalischen Qualität keine Rolle; und auch wenn mir wie einem Großteil der Menschen die Kunst wichtig ist, leugne oder verachte ich nicht die auch in mir wirksame Realität der funktional gebundenen musikalischen Praxis, nennen wir es vereinfacht das kultische Moment. Musik wird zu Kunst, und damit kommt ein Aspekt der Vernunft ins Spiel, wo sie autonom (gegenüber ihrer ursprünglichen Funktionalität) wird. Das ist ein Überfluß, den niemand braucht, in dem aber eine Idee der Freiheit aufscheint, ohne die das Menschsein arm wäre. Nochmal: das muß man nicht so empfinden, aber ich bin mit unserem Menschsein sehr zufrieden, weil das für die meisten Menschen gilt. Für sie ist Funktionalität nicht alles, sondern es gibt das Wahre, das Gute und das Schöne. Und dafür gibt es mehr oder weniger gute Kriterien.
Was ich nicht verstehe, lieber Zietz, ist dieses Leugnen, dieser Verzicht auf ästhetische Urteile. Denn tatsächlich spielen sie auch bei Dir meistens eine große Rolle. Du stellst ganz überwiegend „gute Musik“ vor, meistens teile ich Dein Urteil, relativ zu anderem aus der gleichen Etage. Natürlich ist populäre Musik von vornherein gegenüber der elaborierten Kunstmusik minderkomplex, das muß aber nicht zu einem negativen Urteil führen, im Gegenteil, der größte Kitsch ist das Überladen von einfachem musikalischem Material. Kinderlieder sind naturgemäß äußerst schlicht, es ist schon infantil, wenn man als Erwachsener dabei stehenbleibt. Aber das ist nur eine Facette in der Bewertung. Eines der schönsten Kinderlieder, die einem nicht als Erwachsener peinlich sein müssen, ist der Baby Tree von Jefferson Airplane, der kann es mit jedem hard-rock-Stück aufnehmen. Oder ich denke mal an Schlager der Art „oh mein Papa“, „bei mir bist du schön“ oder My Favourite Things, über die Coltrane schon mal stundenlang improvisiert hat. Chilly Gonzales hat gezeigt, wie man Einfaches veredeln kann.
Was ich entsetzlich finde, ist das, wogegen Weill und Eisler so vehement gekämpft haben, die Dummheit in der Musik. Und elitär ist es, sich auf dem Guten genüßlich einzurichten und auf die Ungebildeten herabzublicken und sie abzuschreiben, man ist was Besseres. Aber die Ungebildeten hatten nie eine Chance auf Bildung, im Gegenteil, sie wurden zugemüllt und mit musikalischem fast food gemolken. 68 war ganz wesentlich auch eine autonome Befreiung vom Kulturmief der Gesellschaft.
Meines Erachtens gibt es von politisch fortschrittlicher Seite aus drei Wege, an Musik heranzugehen. Zwei davon halte ich für wenig ergiebig. Die erste läuft auf die Frage der qualitativen Wertigkeit hinaus. Kann man machen – man steht dann halt nur vor dem Problem, stetig die Kriterien festzuklopfen. Den zweiten Fehler – den der politischen Vereinnahmungsversuche – kann ich mir biografisch selbst an die Jacke nähen. Da fragt man in Interviews halt ab: »Ja, die Musik ist dolle, aber jetzt mal zum Wesentlichen: Wie stehst du zu Kampagne X oder Y?«
Die dritte ist eine chronologisierende oder begleitende. Dass ich sie hier – wenn auch, wie weiter oben bemerkt, mit starker nostalgischer Schlagseite – selbst betreibe, ist ja nun kein Geheimnis. Im Grunde geht es dabei darum, das Augenmerk zu richten auf Aspekte, Sounds, Künstler, stolze und auch weniger stolze Momente. Dass das Konzept in den Sechzigern bis Achtzigern gut getragen hat, darüber sind wir uns, glaube ich, einig. Warum also nicht (wieder) mit dem Alltag achtsamer umgehen?
Ansonsten denke ich eh, dass jede(r) hört, was er oder sie hört, siehe oben. Aus dem Grund kann die Reihe eh nicht viel mehr liefern als Erinnerungsmomente. Dass die unterschiedlich gesehen werden, liegt in der Natur der Sache. Im Übrigen ist es auch eine stark generationelle Angelegenheit – was jeder generationell nicht kurz vor Rente stehender Redakteur, w + divers mitgemeint, mittels eigener Vorlieben bestätigen kann. Hinzu kommt, dass Rockmusik als Massenphänomen oder dominanter Stil bereits seit Jahren auf dem absteigenden Ast ist (manche meinen gar: in freiem Fall). Was derzeit funzt, ist Hip Hop (im Verein mit RnB), Metal noch (aus dem Rockbereich) und im Schlager vielleicht die mit Pop und Techno aufgebretterte Variante. Um die Betrachtung hier nicht zu lang zu machen: zumindest nach meinem subjektiven Dafürhalten gibt es in den meisten Richtungen gute und weniger gute Sachen. Da wir alle mit diesen Musikarten mehr oder weniger sozialisiert wurden, ist es – denke ich – nicht verkehrt, diese Gemeinsamkeiten auch in rein betrachtender Weise zu thematisieren.
"Und elitär ist es, sich auf dem Guten genüßlich einzurichten und auf die Ungebildeten herabzublicken und sie abzuschreiben, man ist was Besseres. Aber die Ungebildeten hatten nie eine Chance auf Bildung, im Gegenteil, sie wurden zugemüllt und mit musikalischem fast food gemolken. 68 war ganz wesentlich auch eine autonome Befreiung vom Kulturmief der Gesellschaft."
Ja, aber wenn Du nun schreibst, dass es um eine Musik derer gehe, "die nie eine Chance auf Bildung" gehabt hätten, ist das nicht in gleichem Maße herabschauend? Sagst Du damit nicht, das ist etwas, mit dem zu befassen von vornherein keinen Wert hätte? Ist das nicht ein "Spiel' nicht mit den Schmuddelkindern" wenn du bessere Voraussetzungen und Möglichkeiten hast, es bringt dich eh nicht weiter? Wenn ich das jetzt nicht überinterpretiere, so lese ich da eine Haltung, die ein wesentliches sozialpolitisches Problem gerade auch unserer Zeit reflektiert. Ich spanne den Bogen ein bisschen weiter: Ein Problem, dass sich die politisch als am ehesten "linksliberal" und wirtschaftlich im Mittelstand anzusiedelnden Schichten zunehmend schaffen: Man ist schon für Gerechtigkeit, aber irgendwie kann man mit sozial und wirtschaftlich "niedriger" stehenden Schichten doch nichts wirklich anfangen, weil die so "dumm" und "plump" und eher unangenehm agieren.
Zurück zur Musik. Über den Schlager oder "unterkomplexe" Popularmusik zu schreiben, sich mit ihr auseinanderzusetzen, bedeutet nicht gleich und zwingend, sich mit ihr gemein zu machen (was Zietz ja auch nicht tut) oder es an objektiver Distanz fehlen zu lassen. Gleichermaßen problematisch würde, eine eventuell vorhandene Ferne oder gar Verachtung zum Gegenstand nicht verhehlen zu können, weil das eine schlechte, den Blick trübende Voraussetzung wäre. Eine Waage zwischen affirmativ und fremdelnd zu halten, ist immer die Schwierigkeit in kulturtheoretischen oder soziologisch-ethnologischen Betrachtungen. Natürlich muss zunächst ein Interesse da sein, das immerhin so stark ist, um Zeit und Mühen der Beschäftigung aufbringen zu wollen. Aber auch, um überhaupt erst einmal zu Urteilen wie "minderkomplexe", "nur Affekte triggernde" oder gar "dumme" Musik zu kommen, sollte eine Beschäftigung, ja Analyse, vorangestellt sein. Allein schon deshalb sollte man sich dann mit Schlager befassen, auch wenn man persönlich nur schwer, oder nur mit ganz viel Alkohol, einen Schlagerabend bei Tante Gertrud oder im Sportlerheim von Grün-Weiss Hintermoos durchstehen würde. Vielleicht kann es aber auch gerade da zu sympathischen Momenten, zu einer unerwarteten Weitung des Blicks auf die Menschen und gerade auch ihren Umgang mit der Musik kommen, so man bereit ist, sich darauf einzulassen.
Ich persönlich finde gerade Letzteres sehr interessant. Zunächst mit einem soziologischen Auge, aber auch nicht allein im Sinne einer Terrarienschau.
Die mit Abstand meisten Menschen haben einen wenig vergeistigten Blick auf die Welt oder haben die intellektuelle Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt für sich entdeckt. Die Gründe dafür sind auch nicht zwingend eindimensional und bei weitem bedeutet eine damit einhergehende relative kulturelle Armut nicht gleich Dummheit. Vergeistigung, Intellektualität und kulturelle Vielfalt hier einzufordern und bei ihrer Absenz gleich in Abwendung zu gehen, bedeutet, den größten Teil unserer Welt schlicht ignorieren zu wollen. Zurück auf's Kulturelle gewendet, heißt das, auch gar nicht verstehen zu können, warum in den meisten Fällen ein Zugang Widerständigeren, die geistige Beschäftigung Fordernden oder dialektischen Genuss Erzeugenden fehlt bzw. nicht hergestellt werden kann.
Und ist es nicht am Ende so, dass noch der zur "verkopftesten" Musik Strebende sich furchtbar hingezogen fühlt zu affektiv anrührenden Klängen? Selbst ein Schönberg konnte sich nicht verkneifen, sein Komponieren als "geistige Gymnastik" zu bezeichnen. Mozarts "Zauberflöte" galt ihm als vergleichsweise schwaches Werk des Komponisten, weil zu sehr auf's Populäre zielend, und doch hat Schönberg selbst mit großer Freude Wiener Lieder und Strauß-Walzer arrangiert. Helmut Lachenmann habe ich selbst sagen hören, wenn er einfach nur auf dem Klavier spiele, dann ist das "ganz tonal". Ich persönlich behaupte, dass ich viel an strukturell schwieriger Musik verstehe bzw. mich für sie begeistern kann, aber auch bei vielen Kompositionen unserer Zeit abwinke, weil ich sie einfach für reines Ingenieurswerk ohne sinnlichen Gehalt halte. Dann höre ich manchmal einfach auch furchtbar gern ABBA, ohne mich dafür zu schämen oder kurz vor der musikalischen Verdummung zu fühlen.
„… nicht überinterpretiere“ - nein, Du überinterpretierst nicht. Nur mißinterpretierst Du meine Aussagen dazu. Ich weiß auch nicht, wie ich dieses Mißverständnis auflösen soll, denn ich habe doch auf einschlägige Beispiele hingewiesen, mit denen man die musikalisch Unerfahrensten mitnehmen kann.
Nein, ich sage nichts gegen einfache, „minderkomplexe“ Musik, nein, ich habe nichts dagegen, daß Musik Affekte anspricht, im Gegenteil, es ist das ureigenste Merkmal der Musik, Gefühle zur Sprache zu bringen, und selbstverständlich muß man begründen, warum man Musik für dumm hält, man muß auch begründen, warum die Sprache der Bildzeitung Dummensprache ist. „Verkopfte“ Kunst ist eher ein Indiz für schlechte Kunst, nur bedeutet das nicht, daß das Denken einen Bogen um die Kunst machen muß.
Nein, ich kritisiere nicht die musiksoziologische Untersuchung der Popularmusik, also der Musik als funktionaler, wenn Zietz das macht, hat er meine volle Zustimmung. Ich kritisiere nicht einmal den funktionalen Gebrauch, das machen wir doch mehr oder weniger alle, lassen das Autoradio dudeln, oder das Radio zuhause, zur Synchronisation gymnastischer Übungen, wir finden es angenehm, zur Unterhaltung in der Kneipe von Jazz aus dem Hintergrund berieselt zu werden, und wir fänden es sehr komisch, unangenehm, wenn Filme keine Musikspur hätten, wir trällern Ohrwürmer vor uns hin. Nein, ich habe nichts gegen den funktionellen Gebrauch von Musik gesagt, und ich möchte keineswegs herablassend sein gegenüber Leuten, die der Musik naiv gegenüberstehen. Ich werfe ja auch keinem Analphabeten sein Manko vor, sondern der Gesellschaft, die ihn zum Analphabeten gemacht hat, und wenn er eine angeborene kognitive Schwäche hat, erst recht nicht. Aber die meisten Analphabeten sind es fremdverschuldet. Der schlechte Geschmack der Leute ist fremdverschuldet. Es sind die Musiker, die Komponisten, Sänger, Instrumentalisten, die das Publikum auf (musikalische) Infantilität festlegen. So wie es die rechten Demagogen sind, die viele naive Menschen auf Rassismus festlegen. In einer guten Gesellschaft ist der Faschismus ein marginales Problem.
Nein, man muß die Leute politisch nicht beim Rassismus, und man muß sie musikalisch nicht beim Kitsch abholen. Rassismus und Kitsch sind keine natürliche Grundlage, sondern Mißbildungen. Aber nur wenige Menschen sind nicht in der Lage, das Falsche daran intuitiv zu verstehen (spätestens, wenn man sie darauf aufmerksam macht).
Um es mal an einem Beispiel zu demonstrieren. Die stampfende Marschmusik ist rhythmisch äußerst simpel. Sie wird bekanntlich beim Militär eingesetzt, um das Denken auszuschalten, sie wurde bei den Baumwollpflückern eingesetzt, um die repetitive Arbeit besser zu ertragen. Sie wird noch von den Ungebildetsten „verstanden“. Aber deswegen kann man den genialen kleinen türkischen Marsch von Mozart fast jedem vorsetzen und der findet ihn gut, eines der zurecht beliebtesten Stücke von Mozart. Und die schwarzen Baumwollpflücker haben aus dem Marsch den Blues und den Jazz entwickelt, naja, vielleicht ist mein Narrativ nicht ganz richtig, aber es ist eine Überlegung wert. Die Menschen sind offen für das Bessere, man sollte ihnen nicht die Tür dazu zuschlagen. Musiker haben die Verantwortung dafür, zum Schönen, zum Fortschritt, zumindest aber nicht zur Regression beizutragen, wie Politiker Verantwortung dafür haben, die Menschen zum Besseren zu animieren, nicht sie in den Irrsinn zu (ver-)führen.
Okay.
"Nein, man muß die Leute politisch nicht beim Rassismus, und man muß sie musikalisch nicht beim Kitsch abholen. Rassismus und Kitsch sind keine natürliche Grundlage, sondern Mißbildungen."
Aber davon ist doch auch nicht die Rede. Und mit einer "natürlichen Grundlage" wird es schwierig. Alle Musik ist künstlich.
Wenn Gabriel "Hey, Boss, ich brauch' mehr Geld!" singt, so spricht das einr grundsätzliche und zentrale Frage und Problematik der Menschen an. Im Grunde spielt Wagners "Der Ring des Nibelungen" zunächst auf der gleichen Ebene. Allzumenschliches. Nur die Verarbeitung und Beleuchtung des Sujets spielt auf einem anderen Niveau.
Über die Frage, ob Schlager auch eine Beschäftigung unter psycholgischen, soziologischen, auch kunstsoziologischen, Gesichtspunkten erfahren darf, brauchen wir, folgend Deinem Kommentar, nicht mehr zu reden. Dein Punkt ist ja wohl vielmehr ein Unbehagen über die weitverbreitete Rezeption. Deine Kommentare provozieren viel mehr die direkte Nachfrage, ob es, abseits des Kinderlieds, allzu einfache und einfältige Musik überhaupt geben sollte.
„Alle Musik ist künstlich“, selbstverständlich. Gemeint war aber eine kulturelle Fehlentwicklung. Eine musikalische Fehlentwicklung; die Texte der Schlager sind NICHT mein Thema, zumal Text und Musik in diesem Metier oft beliebig zusammengestellt sind, ein hervorragender Text kann von einer widerlichen Musik vertont sein (und umgekehrt). Ich sehe auch keine Notwendigkeit, mich mit der politischen/psychologischen (Be-)Deutung von Schlagertexten zu beschäftigen, natürlich gäbe es da viel an heilen Scheinwelten und Gefühlsschmalz auszusetzen. Aber ich denke, das wird in der Community ähnlich beurteilt und ist selten des Aufhebens wert. Der Text von „Hey Boss, ich brauch‘ mehr Geld“ ist nicht gerade umwerfend, keine Sprachkunst, aber pc, manche gute Songs haben peinlichere Texte, aber Gabriels Musik ist dürftig. Ich möchte das hier nicht begründen, es ist nichts, worüber man sich aufregen müßte, ich will es gar nicht kritisieren, mir würde reichen, es zu beschweigen. Warum darüber reden, das war meine Frage zu diesem blog.
Verbrechen sollte es nicht geben, es gibt sie. Einfältige, regressive Musik sollte es nicht geben, aber es gibt sie. Und sie steht oft in funktionalen Kontexten, die berechtigt sind. In diesem Sinn kritisiere ich das nicht. Nur wenn wir schon darüber reden, sollte man ein begründbares negatives Urteil nicht verschweigen. Aber ich sagte ja, dies ist keine Kritik an einfacher Musik per se, ich habe Beispiele gegeben von einfachen Musiken, die mich wie die meisten berühren, sogar beglücken. Da würde ich nicht von Kinderliedern für Erwachsene reden. Kinderlieder wären solche, deren Schlichtheit nicht wie bei manchen Wolfliedern semantisch begründet ist und tatsächlich sogar große Raffinesse verbergen kann, sondern an die Aufnahmefähigkeit von Kindern angepaßt ist. Richtig gute Kinderlieder sind gar keine.
Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Es kommt aber noch eine weitere Komponente hinzu, die in den 1950ern bis 1970ern ein eklatantes Problem waren. Diese unsägliche und elitäre Trennung zwischen U- und E-Musik. Die gab es in den 1920ern halt noch nicht. ich habe einige Schlagersänger live gesehen. Paul Kuhn, Biill Ramsey und Gitte Haenning. Alle haben Jazz oder Swingkonzerte gegeben. Besonders lustig war die Begebenheit bei einem Gitte-Konzert im Berliner Tränenpalast, als ich dort mit einer Ukrainerin war. Nach dem Konzert brauchte ich bestimmt eine Stunde, um ihr vergeblich zu erklären, weshalb die Sängerin in Deutschland sehr bekannt ist, aber eben nicht mit der Musik, die sie beim Konzert gespielt hat. Bei Gunter Gabriel hatte ich vor zwei Jahren das Vergnügen, seinen Gitarristen in einer Kneipe ums Eck kennenzulernen. Der sagte klipp und klar, Gabriel war wie er selbst nie am Schlager interessiert, sondern am Country. der nun einmal auch so etwas wie das proletarische Ethos enthält, wenn man nicht grad an der Nashville-Scheiße interessiert ist. Man sieht, auch die Künstler in den USA hatten ein ähnliches Problem wie ihre deutschen Kollegen...
»Bei Gunter Gabriel hatte ich vor zwei Jahren das Vergnügen, seinen Gitarristen in einer Kneipe ums Eck kennenzulernen. Der sagte klipp und klar, Gabriel war wie er selbst nie am Schlager interessiert, sondern am Country.«
Entspricht auch sämtlichen mir vorliegenden Informationen. Das macht Country erstmal nicht besser, markiert allerdings das Terrain, auf dem sich Gabriels Musik abgespielt hat. Auch Juliane Werding wird die Pauschalbezeichnung »Schlager« allenfalls in Teilen gerecht. Aber das Etikett ist, ob wir’s wollen oder nicht, nunmal in der Welt. Wobei man in meinen Augen gut daran tut, die Haupt-Genres – also RnB & Hip Hop, Pop, Rock und so weiter – als Märkte zu betrachten und weniger als Stilbezeichnungen im eigentlichen Sinn.
Wobei meine Erfahrung mit Stil-Schubladen generell die ist: Kritiker, Musikwissenschaftler & Co. bemühen sich nach Kräften, entsprechende Schubladensysteme aufzubauen – Musiker wiederum tun alles in ihrer Macht Stehende, sie wieder einzureißen ;-).
Country besteht wahrlich nicht nur aus Nashville. Gunter Gabriel (wie auch der Gitarrist) hatte als großes Vorbild Johnny Cash. Es ist wahrlich nicht so, ich mag alle Cash-Songs. Gunter Gabriel offensichtlich schon... Mir ist der Country eines Townes van Zandt oder eines Hank Williams III. eh lieber (zumindest musikalisch betrachtet)...
Bei den Schubladen von Musikkritikern etc. mußte ich schmunzeln. Mir waren musikalische Grenzgänger wie Little Axe oder Harry Manx schon immer sympathischer. Aber deren "Markt" ist ohnehin überschaubar. Ganz ohne Schubladen komme ich daheim aber zugegebenermaßen auch nicht aus. Was an der Größe der Sammlung und der Faulheit geschuldet ist, zu viele Buchstaben zu überprüfen, damit die alphabetische Reihenfolge paßt. Das wiederum kann ich in großen Plattenläden gut verstehen, damit der Kunde weiß, in welche Ecke des Ladens er gehen muß. Nur ich war da immer am Wandern zwischen den Sparten.
"Das wiederum kann ich in großen Plattenläden gut verstehen [...]"
Ach, wenn es die mal noch gäbe ...
Eine gibts in Hannover noch. In Corona-Zeiten ist das irgendwie witzig. Man kommt nicht rein, bekommt aber durch ein Gitter die LPs durchgeschoben, die man vorher bestellt hat. Wobei die das Glück haben, ganz so oft nerve ich sie nicht mit meinen absurden Anfragen...